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October 9, 2015

Kulturbackstube meldet kritikgeladenen Bombenalarm

Anna Luther

An einem kalten Herbstabend schlug in der Kulturbackstube Die Bäckerei in Innsbruck eine nicht lebensbedrohliche Bombe ein, Zündstoff waren drei junge Querdenker_innen. Eine ehrliche Radieschenprinzessin unterhielt sich dabei ganz angeregt mit einem etwas pessimistischen Literaturprofessor, während ihnen eine leidenschaftliche Besserwisserin einen Smoothie-Mixer andrehen wollte und nicht nur das – sogar die richtige Atemtechnik und die Selbstfindung hatte sie im Angebot.  

Es war der 28.9.2015, sanftes Vogelgezwitscher empfing die Neugierigen, wie die Ruhe vor dem Sturm der Performance. Die Bühne hätte das Wohnzimmer einer kitschliebhabenden Hobbygärtnerin sein können und ja, so war es auch:Stabile Seitenlage – Martin FritzDenn Radieschenprinzessin führt beseelt Haushalt und Garten zu ihrer niewährenden Pracht, schon wächst das Unkraut wieder und der Staub gesellt sich zu den Möbeln. So hat die besondere Schönheit in Tirol, die sogar als Poster in Kinderzimmern hängt, immer etwas zu tun und findet zwischen Frühstück aufdecken und Wäsche aufhängen ihren Lebenssinn; natürlich – der Blümchensex darf auch nicht fehlen. Da hat es der Literaturprofessor schon erheblich schwerer mit dem Lebenssinn. Bleibt ihm doch nur seine Traurigkeit über eine Welt, die blind ihre Kinder zur Schule fährt. Auf der Fahrt nämlich geht es an Radieschenfeldern vorbei, an denen Menschen durchschnittlich für weniger als 5 Euro die Stunde Kisten füllen. Die Kisten landen im Supermarkt, regional sind sie, das steht fett oben. Die Produktionsbedingungen werden außen vor gelassen und der Melancholiker ist seine Hoffnung auf echte Verbesserung los, da helfen nur Bücher. Oder Smoothie-Mixer.  

Es klingelt an der Tür des Literaturprofessors. Die kluge Besserwisserin steht da und hat leider Recht. Recht damit, dass jetzt alle spinnen und ein Smoothie-Mixer vielleicht mehr mit unserer Identität gemeinsam hat als unser Lebenslauf für Bewerbungen. So schnell wie die messerscharfen Klingen des Mixers alles in eine Pampa – ganz im Zeitgeist, nämlich schön erdfarben – verwandeln, so schnell werden wir verlegen bei der Frage, wer wir eigentlich sind. Noch schlimmer die Frage, was wir alles zu verantworten haben.Stabile Seitenlage - Lia Sudermann + Franz-Xaver FranzDeshalb ist Herr Literaturprofessor auch sichtlich erleichtert, nur eine Verrückte mit einem Smoothie-Mixer, vielleicht auch eine Künstlerin, vor der Haustür stehen zu haben, als afrikanische Flüchtlinge oder Gastarbeiter. Denn Kunst darf kritisch sein, sogar die Wahrheit sagen, sind wir doch allein durch den Begriff Kunst versichert, sie nicht ernst nehmen zu müssen. 

Das findet die Radieschenprinzessin zum Weinen, sogar umbringen würde sie sich deswegen. …aber nein, das geht doch nicht! Da sagt sie lieber schlaue Worte wie “meine Realität ist mein Widerstand” und putzt weiter. Die Smoothie-Mixer-Vertreterin, die aber auch den Professor beehrt, lässt die Flucht in die Intellektualität nicht gelten. Radieschenprinzessin wird von ihr einer Therapie unterzogen: Da steht sie mit ihrer Krone und wird mit Wäscheklammern und Salatblättern verziert. Über ein Tonband lädt die Besserwisserin zum Loslassen ein, da die esoterischen Lehren mit dem Loslassen zu ihrem Unverständnis und Ärgernis doch stimmen. 

Die Performance*Inszenierung trug den Titel “Stabile Seitenlage”, ein Widerspruch in Anbetracht dessen, dass stabile Seitenlagen immer dann zur Verwendung kommen, wenn die Situation so ganz und gar nicht stabil ist, wie bei Unfällen, bemerkte der Literaturprofessor. Ein widersprüchlicher Titel braucht auch eine widersprüchliche Darbietung – Franz-Xaver Franz, Lia Sudermann und Martin Fritz überzeugten mit ihrer angedachten Sinnlosigkeit, die sich aber wieder in gut gepflegten Zimmerpflanzen verlor.  

Fotos: Anna Luther

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