Music

October 8, 2015

Sag es laut, gib es zu! Maurice Ernst von Bilderbuch spielt mit uns

Nadja Röggla
Kunigunde Weissenegger
Achtung, sie kommen erneut + nach ihrem Auftritt am Full Tension Festival zum 2. Mal nach Südtirol: Bilderbuch mit Maschin, Plansch, Spliff und Schick Schock sind im Anmarsch. Am Samstag, 10. Oktober tritt die Band im UFO in Bruneck auf. Vorab ein Interview, das ihr so noch nie gelesen habt.

Buntes Getümmel, lang gezogene Vokale, U-Bahn-Türen, die auf- und zuknallen, mehr oder weniger gestresste Passagiere, die von einem Punkt der Stadt zum nächsten gebracht werden. Frischer Wind zieht um die Ohren und in den Schaufenstern leuchten die neuesten Herbsttrends. Ein ganz normaler Tag in Wien. Wir sitzen im Orange One, einem typischen, aber trotzdem sehr hippen Wiener Lokal im 4. Bezirk, und schlürfen Bier. Ein ganz normaler Tag eben. – Fast. Denn uns gegenüber sitzt Maurice Ernst, Frontman und Sänger der Band Bilderbuch.

Mit goldenem Auto im Ohr [ja, das trägt er nicht nur für's Maschin-Video] und Beinen, die fest am Boden haften, lässt er sich [anfangs wohl noch etwas skeptisch] auf unser Spielchen ein und beantwortet unsere Fragen. – Nicht einfach und niemand der Anwesenden [uns mit eingeschlossen] weiß wohl, was in der nächsten Stunde passieren wird – wir spielen mit Maurice Zubi*: Ein Stapel roter, kleiner Kärtchen liegt vor uns dreien und liefert allerhand ungewöhnliches und herausforderndes Material und eher nicht so häufig gestellte Interviewfragen, die zu weiteren Fragen führen… Wir – gespannt und erwartungsvoll – lauschen ihm, dem wasserstoffblonden Oberösterreicher und Wahlwiener – der immer etwas zu erzählen weiss. let's play ZubiErste Karte gezogen und los: Hattest du einen Spitznamen in deiner Schulzeit? 

…es haben viele probiert, mir einen Spitznamen zu geben, aber es ist eigentlich nie etwas hängen geblieben. Vielleicht ist Maurice ja an sich schon ein so komischer Name, dass viele einfach dabei geblieben sind. Es gab zwar ein paar Versuche, zum Beispiel von meiner Lateinlehrerin, die nannte mich eine Zeit lang Momo. Aber eigentlich war ich immer einfach nur Maurice.

Begrüßt du unerwarteten Besuch von Freunden?

Ja, natürlich. Wenn auch vielleicht nicht immer. Eigentlich ist es extrem aufregend; es passiert aber nur mehr so selten, dass man wirklich die Tür aufmacht und da steht wer. Vor allem in der Stadt gibt’s das leider nicht so oft. Grundsätzlich begrüße und schätze ich Besuch immer. Im schlimmsten Fall kann man ja immer noch sagen: du, ist grad schlecht oder stressig.

Zwischenfrage: Und wenn Fans vorbei kommen?

Fans wissen nicht, wo ich wohne. Das wäre vielleicht dann doch etwas zu überraschend, wenn da auf einmal irgendwelche Leute vor der Tür stehen würden und Kaffee möchten. Mich freut es aber immer sehr, wenn zu mir auf der Straße oder beim Fortgehen Leute mal kurz Servus sagen oder ein Foto machen wollen …außer ich bin wirklich schlecht drauf oder krank… Zwischen Öffentlichkeit und Privatem schließ ich gern die Tür, denn ich bin grundsätzlich ein Wolf: Obwohl ich eine Band habe und viel unterwegs bin, liebe ich es, alleine zu sein. Ich brauche meinen Wahnsinn und der gehört mir ganz alleine. 

Die nächste ist keine Frage, sondern eine Bitte: Mal ein tierisches Selbstportrait.Maurice Ernst SelbstportraitUnd wieder Frage: Welche Websites besuchst du mehr als dreimal täglich?

…Nachrichten-Seiten, zeit.de oder auch orf.at, relativ oft. Und natürlich auch unsere eigenen Seiten – also die Bilderbuch-Seite, die betreuen wir selbst, ebenso Facebook usw. Es gibt auch Tage, wo wir nicht rein schauen, vor allem wenn wir mit der Band in Deutschland oder Italien unterwegs sind, weil wir da kein Internet haben. Das Roaming zwingt uns sozusagen dazu, ein bisschen Abstand zu nehmen. Und das ist eigentlich manchmal auch ganz angenehm. Und dann ist es spannend wieder rein zu schauen, was so “passiert” ist…

Facebook und Instagram betreut ihr also selbst? 

Ja, klar. Ich habe das Gefühl, dass im Moment noch keiner außer mir und der Band richtig weiß, was Bilderbuch wirklich bedeutet. Wenn vielleicht irgendwann dieses Image oder diese Message, die wir weitergeben wollen, ganz klar ist, dann können wir diese Aufgabe auch an eine vertraute Person weitergeben. Außerdem zwingen wir uns nicht in eine soziale Diktatur. Gepostet wird vielleicht mal ein Witz oder eine Info, damit die Leute wissen, was wir gerade machen. 

Die nächste wird kritisch: Wenn du eines deiner Kleidungsstücke entsorgen könnest, welches wäre es? – steht auf der Karte.

Jetzt gerade steht bei mir Zuhause ein großer, blauer Sack – und auf meiner To-Do-Liste: Gwand-Check. Also ist es nicht nur ein Kleidungsstück: Es gibt einige Sachen, die nur so rumliegen, weil man sie vielleicht irgendwann mal geschenkt bekommen hat oder sie einfach nicht mehr passen. Kleidungsstücke, die ich nie trage und einen emotionalen Wert für mich haben, würde ich aber niemals weggeben: beispielsweise die Bluse vom Maschin-Video – die habe ich vielleicht dreimal angehabt, hängt aber weiterhin in meinem Schrank. Das soll jetzt nicht selbstverliebt wirken, aber ich will sie einfach nicht weghauen. 

Wo bringst du die Klamotten hin? 

Einfach zu Kleiderkammern oder ähnlichem in der Gegend.

Und dort werden sie dann unter dem Label Bilderbuch-Gwand zu horrenden Preisen weiter vercheckt? ; )

Ach, die Wiener sind da eher unverkrampft…

Also eher bodenständig und gleichgültig? – Du lebst ja seit mittlerweile acht Jahren in Wien, kannst du dieses Wiener Klischee bestätigen?

Ein bisschen Wahrheit steckt da natürlich drin. Aber trotzdem, heutzutage gibt es diese Unterschiede im städtischen Bereich gar nicht mehr so wirklich. Es sind in Wien zwar Tendenzen da, die in Richtung “is ma Wurscht” gehen: Die Wiener lügen dir auf jeden Fall nicht ins Gesicht. Wien ist vielleicht ehrlicher und das mag ich. Grundsätzlich ist hier alles ein bisschen anders gepolt.Weiter mit Karte und Frage: Sollte es im Schlafzimmer einen Fernseher geben?

Nein, wenn man woanders Platz dafür hat, dann finde ich, eher nicht. Man hat ja sowieso die ganze Zeit den Laptop am Schoß und nimmt ihn mit ins Bett. Ich mag Fernsehen zwar, weil mich manchmal die Auswahl der TV-Theken nervt – ab und zu will ich einfach keine bewusste Entscheidung treffen, was ich schauen will: Wenn arte vielleicht sagt, schau, die kochen in der Normandie Würstchen, dann lass ich mich da gerne auch mal mitziehen. Dieser Überraschungsfaktor, das ist die letzte Hochburg des Fernsehens, finde ich. Den kann man so schnell auch nicht ersetzen. 

Ja, auch diese Frage stand auf einer Karte: Welcher Berühmtheit siehst du deiner Meinung nach ähnlich?

In der Schulzeit war es Adam Green, dann war es für eine Zeit lang Clueso, mit den blonden Haaren war es dann Eminem. Aber der schaut so böse, ich glaub und hoff, ich hab eine freundlichere Ausstrahlung…

…aber die Haare würden passen…

Mal sehen, wie lang die blonden Haare bleiben… Ich lass mich nicht von meiner Haarfarbe diktieren. Man muss ja nicht noch gleich einen drauflegen. Aber mal sehen… …ich mach das nach Bauchgefühl und auch nach der Musik, die aus uns raus kommt. Es ist für mich nicht nur eine modische Entscheidung. Wenn wir mal Singer-Songwriter-Musik machen, dann lass ich mir einen Bart wachsen… [grins]

Was kochst du dir am liebsten? 

Ich muss zugeben, ich komme sehr selten zum Kochen, weil ich so viel unterwegs bin. Meistens geh ich aus essen. Gerne hier im 4. Bezirk in Wien. Zum Beispiel hierher, ins Orange One. Und man kann hier in der Gegend auch sehr gut Böhmisch, Indisch, Mexikanisch oder Serbisch essen.Bilderbuch MauriceWelches ist die unmöglichste Frisur, die du jemals hattest?

Vielleicht die langen, glatten Haare, die ich als Teenager hatte. Aber ich glaube, die hatte jeder so mit 15–16. Ihr wisst ja, wie diese Jungs aussahen – mit Skateboard unterm Arm, American-High-School mäßig. Gottseidank mit Seitenscheitel. Der offensive Mittelscheitel bei einem Mann ist ein Statement, den muss man tragen können. …aber eigentlich sind Seitenscheitel oder Stirnfransen auch ein Statement. Hängt immer davon ab, wie man etwas trägt. Man kann’s aber auch immer auf die Spitze treiben…

Kannst du im Laufe des Älterwerdens feststellen, dass du dich mehr und mehr wie deine Eltern verhältst?

Ja. Nein. Jein. Ich mach manchmal extrem gern meinen Großvater nach. – Meine Bandkollegen sagen oft, du wirst irgendwann mal wie dein Großvater. So ein Schimpfer, der sich über alles aufregt. Klar gibt es ein paar Parallelen, die man von klein auf mitkriegt. Ich bin zum Beispiel auch ein bisschen pedantisch, wie meine Mutter. Und ich glaube, das werd ich mit dem Alter nicht weniger. Vielleicht durch die Umstände, ich hab ja im Moment keine regelmäßigen Abläufe, bin viel unterwegs. – Was ich sicher noch von meinen Eltern habe, ist die Geselligkeit: sie waren Wirten und deshalb immer sehr offene Leute. Wir hatten damals 6–7 Nachtclubs in Kremsmünster und Umgebung, Bars und Pubs – das war in den goldenen Zeiten ganz cool. 

Welches Buch hat dein Leben verändert?

So richtig verändert, so dass ich es bewusst gemerkt habe, das ist schwierig zu beantworten… Ich könnte sagen, jedes Buch hat mein Leben verändert und doch keines so richtig. Wahrscheinlich auch so eines wie das vom kleinen Regenbogenfisch mit der einen bunten, gold-silbernen Schuppe, die so glänzt. Das hat mein Leben in dem Sinne verändert, weil auch das Schick-Schock-Album eine Art goldene Schuppe hat. Der kleine Regenbogenfisch hat auch etwas gehabt, das keiner hatte, und niemand wusste, wieso er es hatte. Was mich noch unheimlich beeindruckt hat, ist Alfred Kubin mit dem Buch Die andere Seite. Der Maler aus Österreich hat dieses surrealistische Buch in den 20er Jahren geschrieben. Das hat mich wegen seiner absurden, prophetischen Gedanken so fasziniert: Das Buch ist irgendwie aus einer Wahnvorstellung heraus geschrieben, auf komplett absurde Art und Weise beschreibt er diesen riesengroßen Traum von einem Dritten Reich, einer fiktiven Stadt, die es nicht gibt und so nicht geben kann. Ein richtig schräges Buch.

Und was liest du im Moment?

Das letzte Buch, das ich ausgelesen habe, war von Michel Houellebecq – Die Unterwerfung. Ein mutiges Buch. – Kunst darf auch manchmal mutig sein, wenn man etwas zu sagen hat. Das hat Houellebecq gut getroffen, weil er Leute verwirrt. Zum Beispiel auch Leute wie mich, die eigentlich ganz genau wissen, welche Meinung sie haben. Am Ende weiß man nicht, was man davon halten soll, ob das Buch schlecht oder gut ist und das ist dann wiederum irgendwie gut.Nächstes Frage-Kärtchen: Welchen Namen würdest du deinem Kind niemals geben?

Hm… Meine Mutter hat bei mir zwischen Maurice und Fabrizio ausgewählt. Sie ist total italophil, das habe ich von ihr geerbt. Vielleicht wäre ich von dem her ein besserer Fabrizio gewesen. Aber irgendwie finde ich Maurice Ernst flutscht besser, als Fabrizio Ernst. Vielleicht werde ich mein Kind deshalb nicht Fabrizio nennen…

Du liebst also Italien…?

Ja. Wenn es  irgendwann einmal, rein theoretisch, ein bisschen zu bunt werden sollte in Wien – obwohl ich das nicht glaube, weil ich die Stadt total gern mag – aber wenn ich irgendwo hinziehen müsste und ich mir das leisten könnte, dann würde ich nach Italien ziehen. Am ehesten vielleicht nach Triest. Ich war ein paar mal dort, es gefällt mir. Die Stadt ist einerseits sehr vertraut für einen Österreicher und doch total anders. Österreicher wollen ja keine Deutschen sein, sondern tendenziell eher Italiener. Wenn wir uns irgendwohin orientieren, dann eher nach Italien. – …vielleicht weil wir genau mitten drin liegen… Wir haben nicht die Genauigkeit der nordischen Länder, sind aber auch nicht so temperamentvoll wie Italiener. Zumindest mit dem romantischen Auge flunkert man dann schon lieber in die temperamentvolle Richtung. …vielleicht ist das auch das Schöne an Südtirol, man kann beides machen. Und das ist ein Geschenk, dessen man sich bewusst sein muss. Ich hab nie das Glück gehabt, zweisprachig aufzuwachsen, da kann jeder Südtiroler stolz sein, dass er die Möglichkeit hat, so offen zu sein von Geburt an und sich nicht entscheiden muss. 

Live, vollständig als Band und vielleicht sogar zum Anfassen gibt’s die glänzenden Jungs von Bilderbuch in Südtirol zum zweiten Mal nach dem Full Tension Festival am Samstag, 10.10.2015 im UFO in Bruneck. OM! Mehr dazu hier.

*Let’s play Zubi
Es begann an einem kleinen und sehr feinen Flohmarktstand im 8. Bezirk in Wien – dort liegt eine durchsichtige Kassette, in deren Inneren sich 100 rote Fragekärtchen befinden. franz zückt sofort die flinken Finger und packt die kleine Box ein. Für Interviews mit Überraschungsfaktor. Fragen, auf welche meistens schlichte Antworten folgen [können] und sich dann, zum Glück und im besten Fall, sehr oft Geschichten spinnen. Und so manch eine_r allerhand aus dem Nähkästchen erzählt…

Foto: franzmagazine

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