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September 18, 2015
All that graphics! 34. Grafikwettbewerb Innsbruck
Barbara Unterthurner
Grafik ist schon lange nicht mehr nur Zeichnung, Holzschnitt oder Lithografie. Was man heute alles unter “Grafik” verstehen kann, zeigen die GewinnerInnen des Grafikwettbewerbs 2015, die aus Österreich und Südtirol stammen und in insgesamt elf Kategorien ausgezeichnet wurden. Eine wunderbar poetische Position kommt dabei der Gewinnerin Judith Fegerl zugute, die den Hauptpreis des Landes Tirols entgegennehmen durfte. Rückseite von #10 hot-wired, 2014 , Judith Fegerl
Kurz zum Wettbewerb: Wer hat’s erfunden? Eigentlich Paul Flora. Er, der Vorzeigegrafiker der Tiroler Kunstgeschichte der Nachkriegszeit rief 1952 den Österreichischen Grafikwettbewerb ins Leben. Während Flora noch durchaus mit Tusche oder in klassischen Grafikgattungen gearbeitet hat, präsentieren die aktuellen GewinnerInnen neue Techniken, die das Gebiet Grafik um mehrere Ebenen erweitern. So bringt etwa die Südtirolerin Sylvia Barbolini (wurde von unseren Vorarlberger Nachbarn ausgezeichnet) collagenartige Grafiken ins Spiel, bei denen neben Stift und Papier auch Faden und Nadel eine Rolle spielen. In ihren Werken wird die Künstlerin also zusätzlich zur Stickerin. Das Ergebnis: eine Verbindung von grafischen und stofflichen Details, die vielleicht erst auf den zweiten Blick auffallen, dann aber umso mehr überraschen und viele Assoziationen wecken.
Ein Blatt Papier hat immer einen Körper, es ist ein dreidimensionales Objekt – Judith Fegerl. Was bei den GewinnerInnen wirklich auffällt: Viele Arbeiten vereint ein Zug ins Dreidimensionale, Themen wie Architektur und Bildhauerei sind omnipräsent und die Gattungen verschwimmen. So auch bei Judith Fegerl selbst, die in ihre feinen grafischen Arrangements ebenfalls fremde Materialien einwebt: Ihr prämiertes Werk besteht aus zehn beidseitigen Blättern, die jeweils von einem Kupferdraht durchdrungen werden. So entstehen feine Linien im Bildraum, ähnlich wie bei den “Raumzeichnungen” von Fred Sandback (1943–2003), den sie als Vorbild für die Arbeit nennt. In ihrem Werk sollen nun nicht nur einzelne Punkte im Raum verbunden werden, wie bei Sandback, sondern ein geschlossener Kreislauf nachgezeichnet werden – deshalb wird der Draht konsequenterweise auch von Judith Fegerl zusammengelötet. Vorder- und Hinterraum werden sozusagen kurzgeschlossen. Die Künstlerin erklärt: “Die meisten meiner Papierarbeiten haben valide Vorder- und Rückseiten, auch der Prozess der Entstehung einer ‘Zeichnung’ wird oft erst durch die Rückseite entschlüsselt. Bei der jetzt im Grafikwettbewerb prämierten Serie #10 hot-wired ist die entstandene Rückseite sogar zur ‘Vorderseite’ geworden.”Phasenraum Museion, Judith Fegerl, 2013
Das Blatt und der Raum als Körper. Das Spiel dem Hinten und Vorne spielte die junge Wienerin bereits vor zwei Jahren in einer Intervention im Project-Room des Museion in Bozen, bei der sie richtig zur Sache ging und sogar Mauern aufreißen ließ, um das Innere der Wände offenzulegen und Architektur als Körper erfahrbar zu machen. Zentral ist hier auch die Energie, die sie fließen lässt, wenn sie die verbundenen Drähte etwa am Strom anschließt. Architektur oder das Blatt sind gleich einer Hülle, ähnlich wie der menschliche Körper. So soll beim Aufoperieren der Wände jede_r sehen, dass der Raum auch eine Art “Puls” hat (so gesehen bei aufleuchtenden Drähten im Museion) oder wenn die Brennspuren beim Zusammenlöten des Kupfers auf dem Papier feine Spuren hinterlassen (jetzt in der prämierten Arbeit des Grafikwettbewerbs zu entdecken). In jedem Fall wird klar, hier ist etwas im Gange, dem Papier bzw. dem Raum wird Leben eingehaucht.
Mein Interesse gilt dem Raum und Umraum, den ein Blatt kreiert – Judith Fegerl. Die Geschichte mit dem Raum greift auch der Gewinner des 33. Wettbewerbs Roman Pfeffer in seiner Personale auf, die zur Zeit parallel mit der Ausstellung des Grafikwettbewerbs im unteren Teil des Ausstellungsraums in Innsbruck gezeigt wird. Eine zentrale Spielregel des Grafikwettbewerbs besagt nämlich: Dem jeweiligen Gewinner wird gleichzeitig mit der nächsten Ausgabe des Wettbewerbs eine Einzelausstellung gewidmet. Deshalb also Roman Pfeffers Ausstellung Brain Twister (Mazzocchio) im Keller der Galerie im Taxispalais, die das Konzept der Grafik im eigentlichen Sinne komplett sprengt und in der man stattdessen von unerwarteten Objekten (unter anderem ein modifiziertes, 17,5 m langes Sportruderboot der Österreichischen Nationalmannschaft) empfangen wird. Eine kleine Ecke am Beginn der Ausstellung referiert noch auf den vergangenen Wettbewerb und zeigt Roman Pfeffers prämierte grafische Kompositionen – allesamt Notenblätter, in denen einzelne Notenzeilen ausbrechen und zu Linien im Raum werden.Judith Fegerl, Installation Cauter, Kunsthaus Glarus, 2015
Diese Ehre der Einzelausstellung wird also auch Judith Fegerl 2017 zuteil. Welche Ideen ihr dafür vorschweben, lässt sie für mich ein wenig durchblicken: “Ich freue mich sehr auf die Ausstellung im Innsbrucker Taxispalais. Schon 2010 hatte ich die Gelegenheit einen Eingriff im Rahmen der Gruppenausstellung ‘Die Welt als Kulisse’ vorzunehmen. Die Arbeit ‘Implantat’ beschrieb eine reduzierte Kopie des Ausstellungsraumes selbst, ein künstlicher Raum in eine Nische des Untergeschosses eingepasst, der mit dem Taxispalais entnommen Elementen wie Licht- und Deckenpaneelen und Steckdosen ausgestattet war. Die verpflanzten Dinge haben dann anderenorts in den Galerieräumen gefehlt. Drähte, Löcher und offene Kabelstränge waren beiläufig wahrzunehmen. Es ist sehr spannend für mich, die Möglichkeit zu haben diesem Raum noch einmal und damit auch auf eine vertiefende Weise begegnen zu können.”
Lassen wir uns also von der Personale von Judith Fegerl während der Ausstellung des Grafikwettbewerbs 2017 in Innsbruck überraschen und freuen wir uns, was beim Thema “Grafik” in zwei Jahren noch so auf uns zukommen wird… Definitiv nicht nur Papier und Stift. – Was würde Paul Flora wohl dazu sagen?
Aufmacherbild: Vorderseite von #10 hot-wired, 2014 , Judith Fegerl
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