“Die Glücklichen” von Tumler-Literaturpreis-Finalistin Kristine Bilkau

08.09.2015
Kristine Bilkau - Die Gluecklichen

Titel: Die Glücklichen

Autor: Kristine Bilkau

Darum geht’s: Das mittelständische Akademiker-Ehepaar-Großstadtleben von Georg und Isabell löst sich Stück für Stück auf. Georg verliert seinen Job als Redakteur, die Musikerin Isabell kann erst nur mehr mit zitternden Händen und dann gar nicht mehr Cello spielen. Mit den äußeren zerbröseln auch die inneren Strukturen der kleinen Familie. Die Angst vor dem sozialen Absturz und einem von den eigenen Ansprüchen weit entferntem Leben verdrängt Liebe und Verbundenheit. 

Lieblingszitat: “Auf dem Heimweg schaut er wieder in die Fenster der anderen, dringt mit seinem Blick in ihre hellen Räume ein. […] Regalwände voller Bücher, geschmackvoller Deckenlampen, moderne, offene Küchen, die bunten Vorhänge der Kinderzimmer. Signale gesicherter Existenzen, die ihnen immer ein wohliges Gefühl gaben. […] Inzwischen freut er sich, wenn irgendwo vergilbte altmodische Gardinen oder rebellisch schmutzige Bettlaken in den Fenstern hängen.”

Riecht…nach getrockneten Wildfeigen, Rosenkandis und Bio-Maronencreme aus sündteuren Feinkostläden, die man sich bald nicht mehr leisten kann. 

Schön: Die unprätentiöse, stille und präzise Sprache.

Weniger schön: Man möchte Isabell – angesichts der Kriege und Krisensituationen in aller Welt – daran erinnern, dass sie in einem der sichersten und wohlhabendsten Länder der Welt lebt. Das Selbstmitleid der Protagonistin ist so zäh wie Bio-Honig mit Lavendelblüten – und vielleicht hie und da ein wenig zu dick aufgetragen.

Unbedingt lesen, wenn… man verstehen möchte, was in den Köpfen der heute 30- und 40-jährigen Mittelschichts-Großstadtmenschen und -familien so vor sich geht. 

Gut für… verregnete Herbsttage, an denen man eh nicht unbedingt fröhlich sein wollte.

Resümierend: Die treffende Analyse einer Generation, die mit prekären Arbeitsverhältnissen und der verinnerlichten Maxime des”homo oeconomicus” aufwächst  –  und sich durch Konsum und Arbeit definiert. 

Seitenzahl, Verlag, Jahr, Preis: 301 Seiten, Luchterhand Literaturverlag, 2015, € 19,99 [D] | € 20,60 [A] | CHF 26,90; ISBN: 978-3-630-87453-1

Infos: www.facebook.com/kristine.bilkau

Kristine Bilkau wurde mit diesem ersten Buch “Die Glücklichen“ für den Franz-Tumler-Literaturpreis 2015 vorgeschlagen, dessen Finale am 17. und 18. im September 2015 stattfindet. Kristine Bilkau hat mit “Die Glücklichen” den Franz-Tumler-Literaturpreis 2015 gewonnen.

UPDATE 19.9.2015: Jurybegründung 2015 – Franz-Tumler-Literaturpreis
Kristine Bilkau erzählt in „Die Glücklichen“ mit großer Präzision von einem Paar, dem das scheinbar selbstverständliche Glück nicht mehr gelingt. Die allgemeine Krise wird zur persönlichen, sie bildet sich in ihren Körpern ab, in ihrer Beziehung zu einander, und sie trübt die Freude an ihrem kleinen Sohn. So erweist sich diese Geschichte als eine durch und durch gegenwärtige. In einer Komposition von beeindruckender Geschlossenheit beschreibt Kristine Bilkau bedächtig und subtil den stufenweisen Abstieg in ein städtisches Prekariat. Der Roman ist eine empathische und zugleich satirische Milieustudie der „Bobos“, die sich nicht zwischen Bourgeoisie und Bohemiendasein entscheiden können und denen scheinbar alle Lebensplanung aus den Händen genommen wird. Und es ist ein Buch über die Angst, ein melancholisches Buch, das aber sehr wohl den Ausweg aus der Lebenslüge und den Lichtblick in ein anderes Leben zulässt.

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