Culture + Arts > Literature

September 7, 2015

“Ich bin hier und schreibe mir die Orte ins Wohnzimmer” – Margit Mössmer

Anna Luther

Die Autorin Margit Mössmer schlendert durch das Gedrängel der Touristen in Wien, im gelben Kleid und mit leichtem, flottem Gang. Ich folge ihr – so gut es geht – in die Altstadt, wir landen in einem Pub, vollgehängt mit Plakaten. Zigarette angezündet, Spritzer bestellt, sie schaut mich abenteuerlustig an. Ihr erstes Werk “Die Sprachlosigkeit der Fische” erhielt positive Resonanz – anscheinend dürstest das Lesevolk nach mehr als einem durchschaubaren Liebesdebakel oder spannungsgeladener Sciencefiction, denn ihr Genre müsste noch erfunden werden. 

Wie ist dein Buch entstanden? 

Die Heldin meines Buches heißt Gerda. Sie ist irgendwann an einem heißen Maitag zu mir gekommen. Ihre Geschichte ist über Jahre gewachsen, bis man sie in ein Buch packen konnte. Es ist seltsam, eine Figur, die einen so lange begleitet hat, gehen zu lassen. Glücklicherweise ist vor kurzem die zweite Auflage meines Buches erschienen und ich habe die Gelegenheit genutzt, sie wieder zu treffen – jetzt ist die zweite also eine erweiterte Auflage. Theoretisch könnte man den Roman ja unendlich ausbauen. Er kann von vorne nach hinten, aber auch von hinten nach vorne gelesen werden. Es würde denselben Sinn oder Nicht-Sinn machen, vielleicht andere Gefühle erwecken. Wenn man so möchte, ist das ein etwas anderer Ansatz einen Roman zu schreiben. Ich interessiere mich weniger für eine clevere Konstruktion der Handlung: Eine Protagonistin hat etwas durchgemacht, dann hat sie ein Problem, muss sich dem Problem stellen und ist dann eine andere –ich glaube nicht wirklich daran. Angenommen es läuft so, wir stellen uns einem Problem, wachsen und  verändern uns. Niemand sagt uns, dass wir nicht ein Jahr später die von vorher sind oder überhaupt wieder ganz jemand anderer. Man kann “Die Sprachlosigkeit der Fische” wie eine Biografie lesen, aber im Bewusstsein, dass Biografien nie linear ablaufen. Ich gebe Hinweise auf eine Biografie, die hoffentlich dem Leser so viel Platz lassen, um selbst etwas reinzulegen. Wie bei einem abstrakten Bild, bei dem die Farben und die Linien klar vorgegeben sind, aber was in der Interpretation passiert, ist natürlich unendlich. So verhält es sich auch mit dem Magischen. Wie wortwörtlich man die Ereignisse, die Gerda erlebt, für sich übersetzt, bleibt einem selbst überlassen. 

Die Hauptfigur Gerda reist gern, auch du? 

Ja natürlich, ich denke, nicht mehr oder weniger als andere Leute. Wenn es die Zeit zulässt, reise ich ganz gerne. Es besteht aber ein Missverständnis mit diesem Reisen Gerdas. Wenn man genau hinschaut, reist Gerda nicht, sondern sie ist einfach an den Orten. Es gibt ganz wenige Stellen im Buch, an denen man beobachten kann, dass sie gerade unterwegs ist. Wir steigen immer gleich dort ein, wo sie gerade ist. Sie lebt dort meist nicht als Urlauberin, sondern hat Jobs zu erledigen. Einmal ist sie Bürgermeisterin auf Sizilien, in Wien Kellnerin, in London Kindermädchen und in Ecuador hat sie möglicherweise ihren Alterswohnsitz. Und was sie im hohen Norden sucht, ist ziemlich unerklärlich. Wenn es ums Reisen gehen würde, müsste ich die Schritte dazwischen beschreiben. Es handelt sich also nicht um ein “Weltenbummeln”, sondern um einen Dialog mit Orten. Nicht nur Gerda, sondern auch ihr jeweiliger Aufenthaltsort ist Protagonist, die beiden stehen in einem Gleichgewicht. Man weiß nicht, wer was vorgibt. Wir sind von unserer Umgebung bestimmt, aber bestimmen sie natürlich ebenso. Im besten Fall spürt man beim Lesen, dass Ort und Mensch ausgeglichene Partner sind. Und auch wenn ich selbst einige dieser Orte bereist habe, ist es keine Autobiografie. Ich bin hier und schreibe mir die Orte ins Wohnzimmer. Margit Moessmer (c) Edition AtelierMargit Mössmer (c) Edition Atelier 

Was hast du aus deinen Studien – Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Hispanistik – mitnehmen können? 

Hispanistik habe ich aus Leidenschaft zur spanischen Sprache gemacht, als Zweitfach. Aus Theater-, Film- und Medienwissenschaft habe ich hoffentlich eine gewisse Art zu hinterfragen mitgenommen. Bilder und Texte zu analysieren, zu überlegen, welche Ebenen es dazu geben kann. Wobei es ein Gemeinschaftsprojekt ist, kritisch zu sein. Meine Freunde machen mich oft auf Themen aufmerksam. Jeder weiß etwas anderes und du kannst niemals alles wissen, das ist Teamwork.  

Wie würdest du Wien in drei Worten beschreiben?

Schön, brutal*, schaumamal
*brutal im Geiste, denn es ist ja lebenswert hier und sicher im Vergleich zu anderen Großstädten

Hast du Lust neue Bücher zu schreiben?

Ich habe begonnen über den ecuadorianischen Arzt und Fabrikleiter Doktor Jorge Oswaldo Muñoz zu schreiben. Jorge taucht bereits im aktuellen Buch auf. Es gibt ihn wirklich, ich habe ihn in Südamerika kennengelernt und in meinen Augen ist er ein Held. Er trägt Verantwortung für unzählige Menschen, bringt haufenweise Babys auf die Welt und kümmert sich um das Wohlergehen seiner Arbeiter. Gemeinsam mit seiner Frau leitet er eine Fabrik mit 600 Arbeitern und hat Schulen für deren Kinder errichtet. Er ist ein richtiger Macher in dieser Gegend, und wenn man im Dunstkreis von diesem Doktor ist, hat man mit ziemlicher Sicherheit ein besseres Leben. Ich bin totaler Südamerika-Fan und war letztes Jahr zum ersten Mal dort. In Südamerika liegt das Magische auf der Straße, da braucht man gar nichts erfinden. Ich habe aber das Gefühl, dass ich es trotzdem nicht lassen kann…

Margit Mössmer wurde 1982 in Niederösterreich geboren und studierte in Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaft als auch Hispanistik. Nach der Arbeit als Redakteurin beim Freien Magazin FM5 merkte sie, dass Journalismus kein großes Interesse bei ihr weckte. Die Literaturliebhaberin arbeitet nun seit 2007 im quartier 21 im MuseumsQuartier in Wien und schreibt. Ihr erstes veröffentlichtes Buch heißt “Die Sprachlosigkeit der Fische”.  

Margit Mössmer wurde mit diesem ersten Buch “Die Sprachlosigkeit der Fische“ für den Franz-Tumler-Literaturpreis 2015 vorgeschlagen, dessen Finale am 17. und 18. im September 2015 stattfindet. 

Aufmacherfoto: (c) Margit Mössmer

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.