Music

September 2, 2015

Du gehst + wächst dem Ende zu: Koto-Spielerin Karin Nakagawa

Anna Luther
Koto – noch nie gehört? Das Seiteninstrument und die Spielerin kommen aus Japan: Fasziniert von unserer Lebenswelt in Europa hat es die Japanerin Karin Nakagawa in verschiedene Länder wie Schweden, Tschechien, Spanien oder Italien verschlagen, um dort ihre Musik der Entfaltung zu überlassen.

Als sie von der Dolomitenregion hörte und noch dazu Fotos von den Bergen sah, stand für sie fest: Sie will auch nach Südtirol. Karin Nakagawa ist in der traditionellen japanischen Musikwelt aufgewachsen, nicht nur das, auch die Lebenseinstellung ihrer Religion beeinflusst ihr Leben. Umso interessanter ist es dann auf den christlichen Organisten Dieter Oberdorfer zu treffen und gemeinsam Musik zu machen. – In Südtirol arbeitet sie mit anderen MusikerInnen zusammen [unter anderem auch mit Emanuel Valentin, der das Hang spielt] und gemeinsam entwickeln sie ungewöhnliche Kombinationen. Bei einem Kaffee in Glurns im Obervinschgau reden wir im Schatten von Sonnenschirmen über ihr Leben… 

Woher kommst du? 

Ich bin aus Japan. Jetzt lebe ich in der Stadt Yokohama, aber ich bin in einer ländlichen Gegend zwischen Tokyo und Fukushima aufgewachsen.  

Welches Musikinstrument spielst du?

Ich spiele Koto, ein japanisches traditionelles Instrument, es sieht aus wie eine große Zither. Es ist 180 cm lang, also ein wenig groß, und wird mit drei Fingern gespielt.

Welche Musik spielst du damit?

Ich selbst spiele hauptsächlich meine Kompositionen, habe aber auch traditionelle, japanische Stücke gelernt. Mit drei Jahren fing ich an Musik zu machen, ich spielte auf dem Klavier westliche Musik. Als ich 12 wurde, hörte ich auf Klavier zu spielen und begann mit Koto. Mein Koto ist ein wenig größer als das traditionelle. Das traditionelle Koto hat 13 Seiten und, wenn du darauf spielst, verbreitet sich gleich japanische Stimmung. Mein Instrument hingegen hat 25 Seiten und ist wirklich sehr einfach aufgebaut: auf jeder Seite kann mit einer Brücke die Tonlage verändert werden, wie mit einem gespannten Gummiband auf einer Box. Ich würde gern die Möglichkeiten dieses Instrumentes ausweiten. Mein Lehrer hat das 25-seitige Koto gerade erfunden, als ich mit dem Spielen begann. Es gab noch keine Stücke, die ich spielen hätte können, also sagte mein Lehrer: “Komponier!” Ich kannte europäische Musik, also versuchte ich auf dem Koto Bach zu spielen. Was ist dein Stil? 

Ich weiß nicht, welcher Musikstil es ist. Wenn ich mit jemanden zusammen spiele, dann erschaffen wir etwas. Manchmal ist es Jazz, World Music, Klassik, Improvisation oder traditionell japanische Musik. Es hängt davon ab, mit wem ich Musik mache. Größtenteils spiele ich Solokonzerte, weil ich es mag, imstande zu sein allein zu arbeiten. Wenn ich jemanden treffe, dann lasse ich mich auf seine Welt ein, die Person ist Inspiration und Arbeitspartner für mich. 
Hier in Südtirol arbeite ich mit dem Organisten Dieter Oberdorfer und dem Gitarristen Andreas Unterholzner. Dieters Einfluss kommt aus der christlichen Musik. Im August hatten wir ein Konzert im Marmorbruch Göflan im Vinschgau. Bei diesem Projekt komponierte ich nur ein Lied. Wir legten sozusagen alles, was wir hatten, auf einen Tisch – japanische Lieder und Orgelmusik – und entschieden dann, was wir spielen würden. Wir haben versucht gemeinsam zu spielen. Ich habe noch nie gehört, wie japanische Stücke auch mit Orgel und E-Gitarre gespielt werden. Es war ein sehr interessantes Projekt, denn Dieter arbeitet als Organist in Schenna. Ich komme von Außen und trage den Buddhismus und Shintoismus in mir. So war es ein Zusammentreffen von Kirchenmusik und Japanischer Musik. Wir hatten leider nicht so viel Zeit, wie ich es mir gewünscht hätte, um zu reden. Es ist mir ein Anliegen, nicht nur Musik zu machen, sondern auch zu verstehen, wie andere denken. Ich bin eine sehr langsame Person und mag lange Projekte, die nie enden und langsam wachsen. Das ist auch mit dem Leben so: Du gehst und wächst – dem Ende zu. 

Wie lange lebst du schon in Europa und wann warst du zum ersten Mal hier? 

Das erste Mal war ich im Jahr 2000 in Schweden: Ich war wegen eines klassischen Konzertes dort und davor total nervös. Es war ein ziemlicher Kulturschock: Zum ersten Mal sah ich gepflasterte Straßen und Häuser aus Stein, bei uns gibt es nur Schotterwege oder Asphalt und die Häuser werden meist aus Holz gebaut. Es war sehr schön, die Unterschiede zu Japan wahrzunehmen. Ich war im Sommer dort – der Tag begann um 2 oder 3 Uhr morgens und es blieb bis 23 Uhr hell. Ich verlor jedes Gefühl für Zeit. Zurück in Japan versuchte ich aus der geschlossenen Gesellschaft der traditionellen Musik auszubrechen und das Interesse der Jugendlichen und Gleichaltrigen für Koto zu wecken. Die traditionelle Musik ist wirklich schön, aber sie passt sich nicht der jetzigen Generation an. Wir sind viel schneller. Wenn die Musik sehr langsam ist, dann kommt sie langweilig rüber und wir haben keine Geduld, sie zu verstehen. Ich versuchte mich auch an Pop-Songs, aber es war nicht möglich, die Brücke zur neuen Generation in Japan zu überschreiten, sie sagten: “Ich kenne Koto, das ist uninteressant.”Karin NakagawaUnd wie bist du in Südtirol gelandet?

Neujahr 2009, um 6 Uhr früh, gerade mit einem Job im Bereich der traditionellen Musik in einer Radiostation abgeschlossen, blickte ich in meinen Kalender: null Jobs, nichts. Ich entschied, zum ersten Mal allein nach Europa zu gehen, weil der Kontinent mich sehr interessierte. Ich kam mit meinem Instrument und spielte jeden Tag auf der Straße. Ich wollte die Reaktionen der Leute hier sehen und reiste von Stadt zu Stadt. Als erstes suchte ich mir immer einen Schlafplatz, ging dann hinaus, suchte einen Platz zum Spielen. In dieser Zeit konnte ich noch kein Englisch, machte nur Musik auf der Straße, einen Monat lang. Dann passierten interessante Dinge: Ich bekam eine E-Mail von einem Unbekannten, der mich bat, mit ihm ein Konzert zu geben. So spann sich in diesem Frühling langsam ein Kontaktnetzwerk. Einen Sommer spielte ich auf der Shikoku Insel in Japan, dort gibt es eine sehr bekannte buddhistische Pilgerroute. Auf der Insel gibt es 88 Tempel, dort hatte ich Konzerte und traf einen Südtiroler. Er lernte gerade in Japan auf der Shakuhachi-Flöte zu spielen und zeigte mir ein Bild der Dolomiten und wir redeten viel. 
In mir wuchs mehr und mehr der Wunsch, da hin zu fliegen, um in den Dolomiten zu spielen: Er zeigte mir die hohen Bergen, die Steine und das Grün und jemanden, der dort oben Klavier spielte. – Verrückt! Und ein beziehungsweise mein Traum. 
2010 kam ich dann nach Südtirol und reiste sehr viel, zwischendurch kehrte ich auch wieder nach Japan zurück. Deshalb kann ich nicht sagen, dass ich hier tatsächlich lebte. Seit ungefähr zwei Jahren bin ich nun in Deutschland registriert und lebe dort, denn in Italien ist es sehr schwer, ein Visum zu bekommen. Mir gefällt es hier aber sehr gut, nur mit meiner Musik ist es hier unmöglich zu überleben. Was ich mache, ist nicht kommerziell und witzig, nicht einfach – manchmal schwer und nicht verständlich. Auf diese Weise möchte ich unseren Lebensstil in Frage stellen; ich weiß nicht, was gut und was schlecht ist, aber ich will anfangen über meine Entscheidungen nachzudenken. 

Karin Nakagawa wurde 1979 in Iwaraki (Japan) geboren. Als Tochter einer Komponistin und eines Flötenspielers lernte sie als Kind Klavier und später das japanische Seiteninstrument Koto. Seit 2009 tritt sie häufig mit dem Koto in Europa auf und lebt nun seit 2013 in Deutschland. www.karinnakagawa.com

Fotos: Anna Luther/franzmagazine

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