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August 21, 2015

Vorstoß, Aufprall, Wirkung: Klausen + ihre Kunst-boden_nah-Künstlerinnen

Kunigunde Weissenegger

Die Kirchturmglocke schlägt. Die Geschäfte – so es sie noch gibt – öffnen, schließen, öffnen, schließen pünktlich. Das Eisackwasser rinnt stetig abwärts. Durch dieses verschlafene Städtchen hat Ursula Schachenhofer – nicht unbemerkt – von Mitte Juli bis Mitte August 2015 ihre Spuren gezogen. Es könnte überall in Südtirol oder auf der Welt sein, doch wir sind in Klausen. Ehemalige KünstlerInnenstadt auf dem besten Weg, sich als solche wieder einen Namen zu machen. pop up franzmagazine 2015 Klausen Kunst boden_nah Ursula SchachenhoferDie Spuren, die sie als Kunst-boden_nah-Residenzkünstlerin gezogen und gezeichnet hat, die Fragen, die sie aufgeworfen hat, die Meinungen, die sie aufgefangen und verarbeitet hat, haben wiederum Spuren und neue Fragen hinterlassen: Was bleibt von mir an Orten zurück, die ich besucht habe, und was nehme ich selbst von diesen Orten mit? Ursula Schachenhofers “Spurensuche” – so auch der Titel ihrer abschliessenden Präsentation, ist ein Philosophieren und Reflektieren des Alltäglichen. Zeichnung, Video, GPS-Aufzeichnung oder eine mit Farbe gefüllte Plastikflasche mit Loch, die bunte Linien zieht, dienen ihr zur Verbildlichung ihrer Gedanken- und Fußreisen durch einen Ort. 
UND wo und wie hinterlässt du im Leben Spuren?pop up franzmagazine 2015 Klausen Kunst boden_nah: Elena KairyteDen Kopf frei haben und sich nicht immer darauf konzentrieren müssen, sein Leben zu organisieren, ist auch für Elena Kairyte wichtige Voraussetzung für ihre Arbeit als Künstlerin. Sie führt Regie. Das Set: Klausen – nicht wirklich der optimalste Ort fürs “dolce far niente”, trotzdem hat die Filmemacherin das Städtchen als Ausgangspunkt und Konzeptdefinierung für ihr Dokumentarfilmprojekt “dolce far niente” gewählt [Residenz von Anfang Juli bis Anfang August]. Gefunden habe sie hier nicht wirklich viele, die diesem Lebensstil frönen. Vielleicht liege das auch an der österreichischen Mentalität und Kultur und daran, dass du hier vor allem etwas giltst, wenn du eine “ordentliche” Arbeit hast. Stimmt, das süße Nix-Tun ist in Südtirol eher verpönt, [wird vielleicht neidvoll aus der Ferne beäugt], wenn wir ehrlich sind. “Für mich könnte Dolce Far Niente bedeuten, wenn ich mich darauf konzentrieren kann, meine Ideen zu verwirklichen und nicht daran denken muss, wie ich beispielsweise zu Essen komme, was ich koche…”, meint Elena Kairyte. Drei müßiggängerische Männer und eine Frau habe sie in den 4 Wochen ihrer Vollpension-Residenz bei Kunst boden_nah trotzdem ausfindig gemacht. Und auch das drumherum gefilmt. – Milieustudie geglückt: Das Ergebnis ist in einem Kurzfilm über Klausen und sein Völkchen zu sehen. 
UND was bedeutet Dolce far niente für dich? pop up franzmagazine 2015 Klausen Kunst boden_nah: Inga ShalvashviliÜber das sogenannte intimste Örtchen eines Menschen, hat sich Inga Shalvashvili der Stadt Klausen genähert: Ihre Studie konzentriert sich auf Toiletten und Badezimmer, ihre Eigentümlichkeiten und Besonderheiten. – Wie beeinflussen verschiedene Kulturen diese Räume in Grenzregionen? Welche kulturellen Eigenheiten sind bis in diesen Ab-Ort vorgedrungen beziehungsweise haben vordringen dürfen? Worauf legen BesitzerInnen wert? Inwiefern unterscheiden sie sich? Wie beeinflussen sogar Politik und Moral diese versteckten Orte? Inga Shalvashvili spürt Intimspähren auf, betritt sie – respektvoll, saugt auf, nimmt Eindrücke mit. Die Fotografie und Skizze gefolgt von Malerei ist Mittel zum Zweck und hilft ihr beim Reflektieren und Filtern der Beobachtungen. “Anthropology of bathrooms and society” nennt die Künstlerin es. Was am Ende heraus kommt, ist die Dekonstruktion und Enthüllung einer Gesellschaft. Deshalb vielleicht auch “Reflection” als Titel ihrer All-Inclusive-Residenz-Abschlussausstellung in Klausen [resident von Ende Juli bis Ende August]. 
UND was hat in dein Badezimmer [und Leben] Einzug gehalten? pop up franzmagazine 2015 Klausen Kunst boden_nah: Inga Shalvashvili, Elena Kairyte, Ursula SchachenhoferDie Residenz ist aus, die Künstlerinnen fahren nach Haus. Die Drei bleiben den Klausnerinnen und Klausnern und der Stadt zum Glück erhalten: Die Spur vor der Haustür, das gewechselte Wort, der Gedankenaustausch ohne dieselbe Sprache zu sprechen, das spannende Neue, das Entdecken der eigenen Neugierde, das Vergessen von Verbissenheit, Entkrampfung. 

Die Kirchturmglocke schlägt. Die Geschäfte – so es sie noch gibt – öffnen, schließen, öffnen, schließen pünktlich. Das Eisackwasser rinnt stetig abwärts.  Irgendwie ist irgendetwas jedoch anders und hallt im Gemäuer der Stadt nach. …vielleicht ist Klausen dem Schritt wieder ein Treffpunkt für Künstlerinnen und Handeltreibende zu werden, Köpfe zu öffnen, Blicke zu weiten, stutzig und etwas anders zu machen… einen Schritt näher. pop up franzmagazine 2015 Klausen Kunst boden_nah: Inga Shalvashvili, Elena Kairyte, Ursula SchachenhoferUrsula Schachenhofer (*1985 in Innsbruck) arbeitet an der Schnittstelle zwischen Videokunst, Performance und Konzeptkunst. Von 2005 bis 2012 studierte sie Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich mit der Frage, wie gesellschaftliche Konventionen unsere Gedanken und unser Leben beeinflussen. Weitere Themen sind die Wahrnehmung von Zeit und die Frage, wie sich Erinnerungen, Orte und Gedanken im Gehirn manifestieren. ursulaschachenhofer.wordpress.com 

Elena Kairyte (*1988) ist eine Filmemacherin aus Litauen, der Vater ebenso Filmemacher, die Mutter Musikerin. Sie studierte Theater an der Lithuanian Music and Theatre Academy in Vilnius und belegte High Courses of Film Directors and Scriptwriters in Moskau, mit Fokus auf Spielfilmregie. Elena Kairytes Interesse und Arbeitsbereich liegt besonders im Spielfilm, Dokumentarfilm und in der Fotografie sowie in deren Verschmelzung – und das beschreibt auch am besten ihre Arbeitsweise und ihren Filmstil. www.elenakairyte.com

Inga Shalvashvili (*1983 in Tbilisi, Georgien), studierte Malerei und Illustration an der Tbilisi State Academy of Arts (TSSA). 

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