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August 20, 2015

Es knistert: öffentlicher Raum bei Hotel Amazonas im Diskurs

Anna Luther

Fast ans Ende der Welt luden erneut die MacherInnen des Artist-in-Residency-Projektes und -Festivals Hotel Amazonas: Der Veranstaltungsort Aspmayr Hof ist einer der letzten Höfe des wenig bekannten Dorfes Wangen am Ritten. Doch ist das Hotel Amazonas nach vielen Kurven einmal gefunden, gibt es ordentlich Gelegenheit Kulturlücken zu füllen
Unterschiedliche KünstlerInnen entspannen und arbeiten hier für einen Sommermonat, zwischendurch, wie am 13. August 2015, gibt es außertourliches Programm für Interessierte: An diesem Abend zeigt der Südtiroler Regisseur Andreas Pichler seinen Film “Ausverkauf Europa – Europe for Sale” [tv-documentary, 72/52 min, 2014], in der Dämmerung auf einer kleinen Leinwand im Freien, im Hintergrund spielten Grillen Musik.  

“Ausverkauf Europa” ist eine packende Mischung aus Reportage und Dokumentation über den Verkauf öffentlichen Raums an private Unternehmen in europäischen Ländern. “Diese Tendenz gibt es schon seit 10 oder 15 Jahren, hat sich dann aber durch die Finanzkrise beschleunigt”, erzählt der Regisseur. Im Film wird der Schwerpunkt auf die Länder Österreich, Irland, Spanien, Deutschland, Italien und Griechenland gelegt. Berge, Wälder, Denkmäler oder Namen von U-Bahnstationen – die Konsolidierung von Staatshaushalten versucht alles zu Geld zu machen. 
Die Reaktion der Bevölkerung kommt oft erst spät, dann aber umso heftiger, aufgerüttelt und empört protestiert sie. Räume und Orte sind für die Bevölkerung eines Landes identitätsstiftend, ein alter Grieche sagte im Film: “Wenn die Akropolis nicht mehr steht, brauchen wir nicht weiterzuleben.”Ausverkauf Europa – Europe for Sale – Hotel Amazonas Ritten WangenAndreas Pichler reiste quer durch Europa, um die Menschen ihre Meinung erzählen zu lassen und den Fragen nachzugehen, wem eigentlich eine Stadt oder ein Raum gehört und wer über Raumplanung entscheidet. Im Zuge seines Filmschaffens in Venedig wurde er mit dem dortigen Massentourismus konfrontiert und auf die Problematik aufmerksam. In Zusammenarbeit mit Enrica Capra aus Turin und vielen anderen entstand so ein beeindruckender Einblick in die Geschäfte und Strategien der Regierungen Europas. “Es war bemerkenswert, dass diese Thematik in der Öffentlichkeit oft nicht wahrgenommen wird”, meint Andreas Pichler. “Interessant war für mich aber, dass die Leute sich rühren, wenn Orte und Räume plötzlich nicht mehr nutzbar sind, und wie identitätsstiftend sie für das kollektive Gedächtnis einer Bevölkerung sind.”

In der an den Dokumentarfilm anschließenden Diskussion hebt Pichler besonders hervor, dass es den Menschen nicht nur um Besitz, sondern auch um Nutzung geht: “Die Menschen in Irland wurden dann aktiv, als sie Angst bekamen, nicht mehr in den Wald gehen zu können.” Probleme, was nun öffentlich oder was privat ist, “[…] gibt es in allen Städten, auch in Bozen beispielsweise mit Benko. Ich glaube, dass man privaten Raum öffentlich nutzen kann. Zur Zeit ist aber die öffentliche Hand weltweit sehr schwach. Sie hat Angst oder lässt alles gleich machen, das Kräfteverhältnis zwischen Investoren und öffentlicher Hand stimmt nicht mehr, Politiker mit Visionen fehlen. Deswegen braucht es neue Modelle,” so der Filmemacher. 

Die Verantwortlichen von Hotel Amazonas betrachteten die Frage etwas anders: Simon Steinhauser bemerkte, dass Privatisierung öffentlichen Raums nicht gleich negative Folgen für die Bevölkerung haben muss – dadurch könnten beispielsweise Arbeitsplätze geschaffen und eine Gegend attraktiver für die Jugend werden. Margareth Kaserer lächelte und sagte: “Wir bei Hotel Amazonas stellen die Frage umgekehrt: Wie wird das Private öffentlich?” Sie deutete damit an, dass der Aspmayrhof privaten Eigentümern gehört, aber für die Öffentlichkeit über Hotel Amazonas zugänglich wird. 

Auf den Abschluss des Residenzprogramms am 14. August 2015 am Aspmayrhof mit der Ausstellung “Die Muscheln an Land tragen” von neun KünstlerInnen, die zu spannender Auseinandersetzung einladen, folgt am Freitag, 21. August 2015 um 19–24h in Bozen in der Rosministr. 47 die abschließende Vernissage + Ausstellung “Die Muscheln ins Dorf tragen”. [Öffnungszeiten: 22. + 23.8. 14–19h]

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