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July 20, 2015

Theater als Statement mit gesellschaftspolitischer Dimension: Christina Khuen im Interview

Anna Luther

Die gebürtige Wienerin kam vor ziemlich genau 20 Jahren mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Sohn nach Meran und zog mitten in die Innenstadt, ins Schloss Kallmünz am Sandplatz. Für unser Treffen kommt Christina Khuen in den Sissipark geradelt und wir machen einen gemeinsamen Spaziergang. Es gibt viel zu bereden und die Sommerhitze verschlägt uns bald auf eine Bank zwischen hohen Bäumen und dem Rauschen der Passer. Christina Khuen ist Schauspielerin und Moderatorin, Regisseurin und Theaterpädagogin, Kostümbildnerin und Journalistin, Mutter (mittlerweile sind’s 2 Kinder) und Ehefrau – facettenreich

Gibt es eine Rolle, bei der du Schwierigkeiten hattest, dich mit ihr zu identifizieren?

Erstaunlicherweise kann man sich mit sehr vielen Rollen identifizieren. Nach meiner Meinung ist Schauspiel nicht, dass man sich möglichst gut verstellen muss, sondern, dass man diese Dinge in sich erkennen muss, die man für eine bestimmte Rolle benötigt. Es geht mir mehr um die Wahrheit und weniger um die Lüge. Toll ist es, wenn man die Fähigkeit hat, sich einen Gedankengang so zurechtzulegen, dass es für die Figur, die du spielst, ganz natürlich so passiert – das kann ein Mord sein oder ein Tränenausbruch. Äußere Mittel oder Technik können helfen, aber im Grunde geht es vom Kopf aus. Du lässt dir vom Publikum beim Denken und Fühlen zusehen. 

Musstest du schon mal etwas Anderes als eine Frau spielen? 

Männer oft, Tiere nicht so. Da kommt es sehr auf das Stück und den Typ Mann darauf an. Bei Rollen denke ich mir oft, welches Tier diese Figur wäre. Das gibt mir Orientierung für Bewegung und Charakter einer Rolle: eine Gans fühlt sich anders an als ein Adler. Letztes Jahr war es wieder der Fall, dass ich eine Männerrolle hatte, einen fürchterlichen Macho. Eigentlich ein armes Würstchen in Ledermantel und Springerstiefeln, der sich in Wirklichkeit vor den Frauen fürchtete: Beim Stück “Die Troerinnen” haben wir alle mehrere Rollen gespielt und uns auf der Bühne umgezogen, unter anderem ich als dieser Mann. Die Troerinnen sind die Frauen von Troja, nämlich Königin, Königstöchter und Königsschwiegertöchter sozusagen. Nachdem die Griechen mit dem trojanischen Pferd gewonnen hatten, wurde um die Frauen gewürfelt und sie kamen nach Griechenland. Das ist ein total aktueller Stoff in Bezug auf Menschenhandel. Eine solche Relevanz der Stücke ist das Spannende und das, was mich am Theater interessiert. 

War es schwierig, von einer Rolle zur anderen zu wechseln? 

Wenn ich innerhalb eines Stückes mehrere Rollen spiele, brauche ich ganz klare körperliche Vorstellungen, ob die Figur unter Spannung steht oder sich eher schlaff fühlt. Durch den Körper kann ich dann relativ leicht einsteigen, dadurch verändert sich Stimme, Sprache, Mimik und Gestik. Ich rede jetzt vom Idealfall, wenn alles fließt, was auf der Bühne nicht immer so ist. 

Wie ist es, wenn das Publikum nicht so anspricht, wie gedacht?

Das ist fürchterlich. Abgesehen davon, dass die Stille des Publikums nicht immer die Wahrheit vermittelt. Ein stilles Publikum, bei dem man Angst hat, dass es gleich einschläft, ist manchmal danach ganz ergriffen und begeistert. Kommt das Stück beim Publikum nicht an, dann ist das schrecklich und man erkennt, wieso “man für das Theaterspielen Geld bekommt”… In diesen Situationen wird den SchauspielerInnen eine große Konzentration und Offenheit abverlangt, es muss trotzdem weitergespielt werden, obwohl man am Liebsten im Erdboden versinken würde. Das ist echt mühsam. Dadurch, dass ich als Schauspielerin Verzweiflung kenne und das Gefühl, dass es einfach nicht stimmt, kann ich meine SchülerInnen beim Theater gut verstehen. Ich sage ihnen dann, dass die eigene Empfindung nicht dieselbe des Publikums sein muss.  

Welche Funktionen erfüllt für dich das Theater?

Theater war für mich während der Schulzeit die beste Freizeitbeschäftigung – prinzipiell mit Leuten zusammen zu sein, die das Gleiche wollen. Du kannst in andere Rollen schlüpfen, dich ausprobieren und geistig und körperlich in Bewegung sein, deine Rollen als Ventil für Emotionen benutzen. Theater ist ohne Sekundärerscheinungen wie Eifersucht, Alkohol usw. (…) sehr gesund. Theater kann zwar nicht die Welt verändern, aber in diesen zwei oder drei Stunden jemanden berühren, in welcher Form auch immer. Es ist Statement und hat eine gesellschaftspolitische Dimension, wie beim neu bearbeiteten griechischen Stück “Die Schutzsuchenden”, das auf eines der absolut wichtigsten Themen unserer Zeit, die Flüchtlingsproblematik, anspielt – Elfriede Jelinek hat es neu bearbeitet: “Die Schutzflehenden” steht in österreichischen Theatern überall auf dem Spielplan.

Wie sieht das Verhältnis zwischen Schauspiel und Authentizität aus?

Ich finde, je authentischer desto besser ist es. Die wirklichen KönnerInnen schlüpfen in alle möglichen Figuren als wär’s ihr Leben. Authentizität ist für mich absolut ein Qualitätsmerkmal.Christina Khuen franzmagazineWar Meran für dich damals vor 20 Jahren ein Kulturschock? 

Es war für mich mehr ein “Lebensphasenschock” als ein Kulturschock. Als ich hergezogen bin, war mein Sohn ein halbes Jahr alt. Beim ersten Kind durchlebt man sowieso einen Kulturschock oder was auch immer, denn das Leben ändert sich plötzlich sehr. Natürlich hatte auch der Wechsel von einer Großstadt in eine Kleinstadt, von einer normalen Wohnung in ein großes Haus, von Familie und wahnsinnig vielen Freunden in eine Stadt, in der wir niemanden gekannt haben, auch etwas Schockierendes. Wobei ich jetzt aber nicht sagen kann, ob’s nur ein Kulturschock war. Erst mit dem zweiten Kind habe ich mich eingewöhnt. Trotzdem war von Anfang an klar, dass ich ein Großstadtmensch bin und hin, und wieder zieht es mich wieder nach Wien. Hier wohnen wir natürlich im Paradies und gerade mit den Kindern war das schon ein sehr gemütliches Leben, da hier alles viel lockerer ist. 

Hast du die Leute hier eher als konservativ empfunden? 

Eigentlich schon, in einer Großstadt gibt es eine viel größere Vielfalt an Menschen, denen du begegnest – zumindest oberflächlich betrachtet. Aber was mir total zugute gekommen ist, war, dass ich ein relativ offener Mensch bin und mich nicht verstellt habe. Das fing bei meinem Kleidungsstil an. Es war mir wichtig, nicht meine Identität zu verändern, um da wohnen zu können. Ich weiß auch, dass viele Leute über uns redeten und sich wunderten. Aber das war mir relativ Wurscht, Kritik an der Kleidung ist eine Oberflächlichkeit, hätten sie mich an meinem Charakter kritisiert, hätte mich das getroffen.  

Spielst du mehr Stücke von zeitgenössischen oder verstorbenen Autoren und Autorinnen? 

Schwierig, das zu beantworten. Ich spiele zur Zeit relativ selten – das hat sich verschoben im Laufe. Als ich anfing, hatte ich vier bis sechs Produktionen im Jahr, jetzt ein oder zwei. Der Grund ist, dass Theater eigentlich nicht mehr meine große Leidenschaft ist. Wieso das so ist, hat viele Aspekte – das führt hier allerdings vielleicht zu weit. Auf alle Fälle ist die Theaterszene hier eine Amateurszene im positivsten Sinn, viel familiärer und intimer als oft in Deutschland oder Österreich… Dadurch hatte ich auch das wahnsinnige Glück, meine Kinder aufziehen zu können und daneben auf der Bühne zu stehen – oft im Altstadttheater von Meran. Ein weiterer Aspekt, der mir sehr an kleinen Theatern gefällt, ist, dass es die Möglichkeit gibt, den Beruf auf viele verschiedene Arten auszuüben, mal mache ich Kostüme oder wir machen uns gegenseitig die Technik. Was allerdings in Südtirol für mich ein Thema wurde, war, dass du nur drei, vier Theater hast. Wenn die dich nicht engagieren und keine Rollen für dich haben, dann geht einfach nichts. Warum ich weniger spiele, kommt sicher auch daher, dass ich vor Theateraufführungen nicht mehr im positiven Sinn aufgeregt bin, sondern mich eher frage, wieso ich mir das jetzt eigentlich antue.
Um auf die Frage zurückzukommen: Ich bin eigentlich eine große Klassikerliebhaberin. Viele gute Klassiker im weitesten Sinn, von Shakespeare, Tschechow bis zu den Autoren der griechischen Mythologie, sind für mich zeitlos. In diesen Stücken geht es um die wichtigen Dinge im Leben, um Beziehungen zwischen Menschen, Philosophie, Geschichte, Entwicklung, um alles Mögliche. Das findet man bei zeitgenössischen Stücken seltener. Darunter gibt es viele Tolle, aber auch viele, die sehr an der Oberfläche plätschern. Und das mag ich überhaupt nicht – ich habe auch den Ruf, dass ich immer nur die ernsten Sachen spielen will… Das stimmt bedingt, auch wenn nicht ganz, denn für absurdes und skurriles Theater bin ich sehr gern zu haben. Wichtig ist mir dabei nur, dass es einen ernsten Hintergrund gibt, der mich zum Nachdenken bringt. Wissend, dass ich es durch die Jahre hindurch verlernt habe, Boulevardkomödien zu spielen, die nämlich auch Können verlangen. Deshalb habe ich auch Hochachtung vor SchauspielerInnen, die Komödien spielen können.  

Welche Projekte verfolgst du im Moment unter anderen?

Ich arbeite mit SchülerInnen des Humanistischen und Sozialwissenschaftlichen Gymnasiums in Meran als Regisseurin und Theaterpädagogin. Da hab ich auch viel mehr Freude daran, sie auf der Bühne spielen zu sehen – mit Wissen um ihre Entwicklung – als selbst zu spielen. Auch wenn sich einer mal dumm aufführt, ist mir das Wurscht, mit 16, 17 kann ich nicht von ihnen verlangen, professionell zu sein. Ich mag sie sehr und es macht mir Spaß, zu sehen, was in ihnen steckt, welche unterschiedlichen Fähigkeiten sie haben, die man auf der Bühne brauchen kann. Es gibt schon immer wieder Leute, die anfangs am Theater überhaupt kein Interesse zeigen, dann stelle ich ihnen die Frage, ob es irgendetwas gibt, das sie am Metier Theater interessiert. Und wenn’s sein muss, kann einer den Scheinwerfer halten. Am Ende spielen dann meistens alle. Gerade die, die anfangs zögern, sind dann am begeistertsten, weil sie neue Seiten an sich entdecken oder einfach Spaß haben. Zwingen aber würde ich im Theater überhaupt nie jemanden. 
Bei minet-TV, einer Sendung auf RAI Südtirol, mache ich die Moderation und zwischendurch auch selbst Berichte, was immer eine Herausforderung ist, weil ich das nie gelernt habe. minet-TV ist vor 12 Jahren von Mediaart Production Coop gegründet worden und berichtet über Minderheiten weltweit. minet ist die Abkürzung für “Minderheitennetzwerk”. Die Sendung dauert eine halbe Stunde und wird monatlich mit Sommer- und Winterpause auf RAI Südtirol ausgestrahlt. Dadurch wird der Horizont vom Rai-Sender Südtirol extrem aufgemacht. 

Fotos: franzmagazine/Anna Luther

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