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July 14, 2015
Enkeltauglichkeit in Balance: think more about 2015
Greta Sparer
Balance in der Ökologie, im Sozialen, in der Wirtschaft. Eine Balance jenseits aller Extreme. Das war das diesjährige think more about – Tage der Nachhaltigkeit vom 21. bis 23. Mai 2015. Es gibt so viele Bezeichnungen für Nachhaltigkeit, in dem Sinn, in dem ich sie hier verwende – die Definition vom Nachhaltigkeitsrat trifft’s ganz gut. Nicht vergessen: Man kann auch einen Wald nachhaltig abholzen, sodass kein Baum mehr nachwächst. Und man kann ihn nachhaltig aufforsten und bewirtschaften. Etwas wirkt nachhaltig, das heißt, es wirkt lang anhaltend, also langfristig, ob das gut oder schlecht ist, steckt in dem Wort noch nicht drinnen. Diese Diskussion war uns auch beim think more about nicht ganz erspart. Landesrat Achammer erklärte die Nachhaltigkeit vorsorglicherweise – da es ja selten etwas Gutes bedeute, wenn die Politik diesen Begriff verwendet.
Da sind wir wieder bei den Extremen und aus der Balance. Wenn mir ein Politiker mit Nachhaltigkeit kommt, denke ich an das so genannte grüne Wachstum: Die Welt mit Photovoltaikanlagen zuzubauen ist [zumindest vorläufig] super-nachhaltig für die Bilanz der Photovoltaikanlagenproduzenten, für nordfinnische Einfamilienhäuser wird das nicht ganz, oder sagen wir: nur das halbe Jahr nachhaltig sein.
Nachhaltigkeit ist wohl eher eine Denkweise als eine Maßnahme. Und damit zur Balance. Nehmen wir das Beispiel Palmöl: Palmöl könnte tolle Vorteile für die Umwelt haben, aber der abrupte Anstieg der Produktion der letzten Jahre bringt die Natur aus dem Gleichgewicht [dazu gibt es einiges auf Utopia nachzulesen]. Fazit: Nachhaltigkeit ist kein Massenprodukt.
Zukunftsfähigkeit, Enkeltauglichkeit, das waren die Begriffe, die man nach Aufrufen aus dem Publikum bitte verwenden solle. Also zur Enkeltauglichkeit und der Balance: Ich habe mich bei diesem think more about nicht um die Umweltthemen gekümmert, ganz ehrlich gesagt. [Natürlich habe ich beim Mittagessen angemerkt, dass ich lieber Leitungswasser als abgefülltes Mineralwasser trinke, aber es gibt auch noch andere Probleme.] Mein think more about war ganz der persönlichen Entwicklung und damit der sozialen Zukunftsfähigkeit gewidmet. In den Dialogrunden und im Seminar waren meine Schwerpunkte Bildung und soziale Innovationen in der Arbeitswelt. Das Leben vom Kind zur Angestellten: Was braucht der Mensch zum Leben, was will er und wie wird man zum Menschen?
Selbstverständlich ist das alles nicht. In unserer Welt musst du dir deine Rechte verdienen, du hast sie nicht einfach, weil du ein Mensch bist, meint Riccardo Petrella, Wirtschaftsprofessor und einer der Keynotespeaker am Kongresstag [22.5.].
Die Wirtschaft ist da, um Geld zu machen, haben seine Studierenden gemeint. Falsch, sagt Petrella, die Ökonomie regelt das Leben in der Gemeinschaft, oikos = das Haus, nomos = die Regeln. “Und die Kunst in der Wirtschaft ist die Balance – sfortunatamente gli artisti non sono tanto bravi.” Oder wie könnte es sonst sein, dass die reichsten 89 Menschen dieser Erde gleich viel besitzen wie die 3,62 Milliarden ärmsten?Was ein Leben lebenswert macht, scheint eine ökonomische Frage zu sein, nur, dass wir schon zu lange “ökonomisch” mit profitabel in Geld gleichgesetzt haben. Aber abseits der Regeln der Gemeinschaft gibt es Versuche, kleine Menschen zu einem unbeschnitteneren Verständnis des Menschseins zu führen.
Kinder brauchen keine Vorschriften und vor allem keinen Plan, und was sie tun wollen, schaffen sie, solange keine Erwachsenen sie ausbremsen aus Angst vor aufgeschürften Knien, sagt Gabriela Bergmann vom Kindergarten Schpumpernudl in Telfs in Tirol. Sie und ihre Kollegen und Kolleginnen wollen die Kinder dabei unterstützen, in sich selbst hineinzuhorchen und sich zu spüren: Was will ich? Was ist mir wichtig? Anstatt: Was soll und darf ich tun und was kommt dabei raus? An die kindlichen Aktionen wird nicht auf der “Du darfst nicht”-”Dann tu ich’s erst recht”-Ebene herangetreten, sondern [sehr kurz gefasst] eher nach dem Motto: “Erklär mir, was dich antreibt” oder “Ich bin gespannt und observiere”.
Gerade bauen einige von Bergmanns Schützlingen eine funktionierende, kleine Seilbahn. Die Kinder gestalten übrigens alles aus Eigeninitiative und den Fotos nach zu urteilen, wissen sie sich selber sehr gut zu helfen.
Das Denken [wenigstens der nächsten Generation] befreien von vorgefertigten, in sich erstarrten Mustern. Da könnte man nostalgisch werden, aber da es für die Förderung meiner frühkindlichen Entwicklung schon zu spät ist, greife ich lieber auf Bücher zurück. Zum Thema Entwicklung gibt es zwei, die zwar nur ungefähr zum Thema passen, dafür meinen Beitrag aber umso interdisziplinärer machen: “Beratung ohne Ratschlag” von Sonja Radatz und Mahatma Gandhis Autobiographie. – Letzteres empfehle ich allen, die gerne über die Welt nachdenken, vor allem jenen, die glauben, dass unsere moderne, aufgeklärte [mittel]europäische/Südtiroler Kultur den Einfluss der [christlichen] Religionen überwunden hat, oder jenen, die sich fragen, warum es in anderen Ländern andere Sitten gibt. Und allen, die sich im Denken freier fühlen wollen.
Radatz empfehle ich ganz pragmatisch für eine praxisnahe Einführung ins Einzel-Coaching im Unternehmenskontext. Und das führt mich zurück zu think more about: Scheinbar ist Radatz das Standardwerk für die Einführung ins Coaching oder aber die Methoden verschiedener Coaching-Theoretiker und -innen ähneln sich einfach sehr.
Ich habe Tendenzen aus Radatz’ Buch sowohl bei der Schpumpernudl-Dame bemerkt – die immerhin mit Klein- bis Mittelkleinkindern und nicht für ein profitorientiertes Unternehmen arbeitet – als auch bei einer der Vortragenden meines “Augenhöhe”-Seminars. Bei beiden war ich zunächst etwas irritiert. Die Methode hinter ihrem wertschätzenden Umgang zu erkennen, raubt dem Ganzen seinen Zauber. Gleichzeitig ist es angenehm, weil es scheinbar funktioniert, zumindest bei mir. Inhaltlich hat Radatz’ Buch jedenfalls einiges zu bieten, nicht nur für den Umgang mit speziellen Situationen im Berufsleben, sondern auch für den alltäglichen zwischenmenschlichen Umgang miteinander.Augenhöhe zwischen Unternehmen und Kundschaft, Unternehmen untereinander, Unternehmen und Mitarbeitenden – Roswitha Schalk, Unternehmensberaterin mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit, und Jörn Wiedemann, Vertreter der Gemeinwohlökonomie und Berater für unter anderem Organisationsentwicklung haben mit uns im Seminar “Augenhöhe” verschiedene Ansatzpunkte für eine sozial nachhaltige Unternehmenskultur diskutiert. Ein paar Beispiele, keine Best Practices, eher Beobachtungen, gab es in der per Crowdfunding finanzierten Doku “Augenhöhe“ – die übrigens online gratis und legal verfügbar ist – zu sehen. “Soziale Innovationen in der Arbeitswelt” war eines der ersten Schlagworte. Wie kann ein Arbeitgeber individuell passende Arbeitsbedingungen schaffen? [Spoiler: Indem er oder sie etwa die Mitarbeitenden fragt, was sie brauchen.]
Die Doku an sich war interessant, hat aber mehr Fragen aufgeworfen, als beantwortet. Sie hat gezeigt, dass es zusätzlich zu den klassisch hierarchisch strukturierten Unternehmen und der partizipativ organisierten Genossenschaft noch viele Zwischenformen gibt. Welche genau das sein können und für welche Organisation und Menschentypen sie passen, ist zwar nicht klar geworden. Aber genau da liegt die Crux: Es gibt kein Rezept für das ideale, sozial verträgliche Unternehmen. Es gibt nur Beispiele, die zeigen, dass man einiges ausprobieren oder zumindest einmal durchdenken kann. Es muss oder kann nicht alles gleich funktionieren und vor allem nicht in allen Unternehmen in gleicher Weise. Aber eher als nur zu tun, was sich andere vor einem ausgedacht haben, lieber ein bisschen experimentieren.
Das war think more about: Viel zum Nachdenken [nomen est omen], viele interessante Gespräche mit faszinierenden Menschen, neue Perspektiven und viel Inspiration für neue Geschichte, zum Beispiel darüber, wie eine Professorin die Enkeltauglichkeit im Controlling thematisiert, dafür jahrelanges Kopfschütteln erntet und mittlerweile total im Trend liegt. Es ist nicht zu übersehen: Die Zukunftsfähigkeit tritt aus der Nische.
Fotos: think more about 2015
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