Music

May 20, 2015

“Wir können alles.” – Bilderbuch im Interview

Nadja Röggla

Ich befinde mich in einem Buchladen in Bologna, als plötzlich ein leises, wienerisches Raunzen an meine Ohren dringt: “Bitte gemma raus!” Ich drehe mich um: Vor mir steht ein genervter Maurice Ernst, dessen Mimik so aussieht, als würde er nasse Socken tragen, die wahrscheinlich aber bloß auf die Übersättigung italienischer Literatur zurückzuführen ist. Aus solidarischen nicht-noch-mehr-nerven-wollenden Gründen folgt auf den flüchtigen Blickkontakt nichts. Kein Selfie, kein Blabla, nur Grinsen und 50 Meter unbemerktes Stalking meinerseits. 

Maurice, der gut gekleidete Typ mit den wasserstoffblonden Haaren, ist der Sänger der österreichischen Band Bilderbuch. Eine Band, die alle Klischees sprengt, indem sie Klischees anhäuft. Die vier Mitglieder – Ex-Klosterschüler – tragen feinste Seide, schicke Sonnenbrillen und bunte Stoffe mit Tropenmuster. Und weil konsumkritisches Denken und der Ökowahnsinn schon wieder Mainstream sind, trinken sie Champagner, räkeln ihre mit Gold besprühten Körper unter Orchideen und genießen die Schickeria im Pool. 
Ihre Schick-Schock Tour, anlässlich des Albumreleases, ist schon nach kurzer Zeit sold out. Als Vorband (??!!) von Juli feiern sie beim Full Tension Festival am 31. Mai in Bozen ihre Italienpremiere. 

…und ich habe sie weiter verfolgt. – Dieses Mal bemerkt und mit Interview. Auf die 50 Meter in Bologna folgten sieben Fragen per E-Mail –  auf die mir Michael, der Gitarrist von Bilderbuch, mit einem “Hi, hier Mizzy von Bilderbuch” antwortet, weiter ging’s dann so:

Neulich habe ich Maurice in Bologna gesehen. Wie reagiert ihr auf spontane Fans, die Selfies mit euch wollen. Popstarallüren oder seid ihr am Boden geblieben?

Wir freuen uns, wenn die Leute Positives mit uns und unserer Musik verbinden, dass man das ab und an mal auf einem Digitalfoto festhalten will, gehört wahrscheinlich einfach dazu, das stört uns nicht im Geringsten. Und in Italien passiert einem so etwas nicht so oft.

Ihr habt in eurer Anfangszeit Märchentexte vertont. Daher auch der Name Bilderbuch. Wieso denn eigentlich?

Du gründest eine Band und willst natürlich so schnell wie möglich raus aus deinem Proberaum und spielen, das kann man aber nur dann, wenn man auch Songs hat, und da man als 15 jähriger Rocknroll-Jungspund im Normalfall nicht vor gehaltvoller Lebenserfahrung strotzt, knallt man den Leuten besser einen Märchentext um die Ohren, anstatt belanglose, schlecht geschriebene englischsprachige Platzhalter. So konnten wir uns am Anfang auf das Wesentliche konzentrieren, den Sound und den Vibe entstehen lassen, der Rest kam dann mit der Zeit.

Bei euch stimmt alles zusammen. Konzept, Texte und Bilder. Was könnt ihr nicht?

Das ist das Schöne an Bilderbuch, wir können alles. Wir können jedenfalls alles probieren, was wir wollen, und haben nicht das Gefühl, in einer Schublade zu stecken.

Ihr werdet als Retter der deutschen Popmusik gefeiert. Wieso denn eurer Meinung nach? Was unterscheidet euch von anderen Bands?

Wenn du Musik machst, reagierst du automatisch immer auch ein bisschen auf die Geschehnisse in deinem Umfeld. Am Ende des Tages will man weniger ein Retter sein, sondern man versucht eher für sich selbst herauszufinden, wohin der Weg gehen soll, was einen erfrischt und wieder zurück ins Jetzt holt. Wir haben etwas gemacht das uns und anscheinend auch vielen anderen in der Popmusik gefehlt hat.

“SCHICK, SCHOCK” ist der Name eures neuen Albums. Womit wollt ihr schockieren?

Mit unserem Schick natürlich. Die Kombination aus diesen beiden Worten hat uns lange begleitet, auch schon als wir die Songs für die Platte produziert haben. Wir wussten lange Zeit nicht genau, was sie für einen Platz im Bilderbuch-Universum einnehmen würden, am Ende aber haben sie alle Songs und deren Feeling am Besten zusammengefasst.

Warum finden jede und jeder eure Songs so sexy?

Wahrscheinlich, weil sie Platz für Interpretation lassen, und das ist sehr wichtig. Man kann sich natürlich das lyrische Hemd aufknöpfen und sagen “ich liebe dich, du böses Mädchen”, interessanter ist es jedoch, zwar mit solchen Dingen zu spielen, sie aber eben nicht broternst und “swaglos” runterzurotzen, sondern ihnen diesen Spielraum zu lassen.

Was erwartet uns am 31. Mai beim Full Tension Festival in Bozen?

Dieser Tag ist voller Premieren für uns.Wir spielen zum ersten Mal in Italien und das Full Tension Festival ist das erste Open Air der Festival-Saison 2015. Euch erwartet die beste Vorband, die Juli je hatte. Liebste Grüße aus Wien, MIZZY

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.