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February 23, 2015

Stillbach oder Die Sehnsucht: Getriebene, Suchende, Sehnsüchtige

Christine Kofler
An Welt mangelt es der Bühnenfassung von Sabine Grubers großem Roman "Stillbach oder Die Sehnsucht", deren Premiere die VBB am Samstag, 21.2. im Stadttheater Bozen feierten und die bis 1.3. zu sehen ist, nicht.

Die Programme von Theatern lesen sich immer öfter wie Bestsellerlisten: Das Publikum verlangt nach neuem Stoff, und überhaupt, meinen einige, ist der Roman das bessere Drama – mit mehr Figuren, mehr Handlung und mehr Welt. 

Emma, Ines, Clara – und Stillbach

Drei Frauen, aus demselben fiktiven Südtiroler Ort Stillbach stammend, stehen im Mittelpunkt von Sabine Grubers Stück “Stillbach oder Die Sehnsucht” der Vereinigten Bühnen Bozen: Emma, toll gespielt von Krista Posch, die in den 1930er-Jahren als Dienstmädchen nach Rom kommt und, schwanger, den Hotelbesitzer Remo Manente heiratet. Ines, die 1978 im Hotel der Manente arbeitet, und Clara, die 2010 nach Rom reist, um den Nachlass ihrer soeben verstorbenen Freundin Clara zu ordnen – ebenfalls souverän dargestellt von Gerti Drassl in einer Doppelrolle. 

Fixpunkt für den Zuschauer ist die heruntergekommene Hotelhalle der Emma Manente in Rom, von wo aus sich Zeitfenster öffnen: zu Emma, der “porca tedesca” im faschistischen Italien und der “Heimatverräterin” für die Südtiroler Familie, der Zeit der Bombenanschläge in der Via Rasella und dem darauffolgendem Gemetzel in den Ardeatinischen Höhlen von 1944; zu Ines und dem nie zustande gekommenen historischen Kompromiss zwischen Katholiken und Kommunisten, den Stadtindianern und Aldo Moro; zu Clara und einer Zeit, in der NS-Größen unbehelligt durch Rom spazieren und die Chance einer Aufarbeitung vergeben wurde.

Von der Hotelhalle auf Zeitreise

Wie die Geschichte selbst sind die Figuren miteinander verwoben, sie spiegeln und verwischen sich. Emma glaubt in Clara Ines zu erkennen, Clara denkt darüber nach, in Ines’ Leben zu schlüpfen und alle drei Frauen sind Getriebene, Suchende, Sehnsüchtige. Weil das Stück jedoch auf eine für die TheaterbesucherInnen zumutbare Spielzeit eingedampft werden musste und die vielen Handlungsebenen des Romans übernommen wurden, können sich die Figuren und Dialoge nur bedingt entwickeln. So bleibt dem Zuschauer die Sehnsucht irgendwie fremd, auch weil dieser sich darauf konzentrieren muss, die Zeitfenster richtig einzuordnen. Trotzdem lohnt es sich, sich auf die ineinander übergehenden Handlungen einzulassen, auf die sich kreuzenden Leben, die an den Fäden der großen Geschichte hängen. Zwischen all den Schicksalen blitzt auch Heiteres, zum Beispiel dann, wenn Herr Steg für einen Augenblick zum Zombie wird oder Ada Cocola mit Inbrunst über den Tod des Papstes klagt, für den sie den “presidente partigiano” Sandro Pertini verantwortlich macht.

“Es war alles noch da, auch das, was längst gewesen ist” 

Gedanken, Reflexionen und Erzählerkommentare spicken Grubers Roman, diese auf einer Bühne darzustellen, ist kein Leichtes. Es gelingt wunderbar, wenn Clara Szenen aus Ines’ Roman liest, die sich gleichzeitig im Hintergrund abspielen. Es gelingt auch, als Paul ausführlich das Massaker von 1944 in den Ardeatinischen Höhlen schildert, vom Cognac erzählt, den Erich Priebke den mordenden Soldaten verordnete, und die dann, im Rausch, keinen finalen Todesschuss mehr zustande bekamen, sondern nur mehr durchlöcherte Gesichter, weil sie das Genick nicht mehr trafen. Es wirkt seltsam dort, wo Paul gerade noch den Nacken von Clara betrachtet, um dann plötzlich in die Erzählform zu wechseln und darüber spricht, wie er ihren Nacken betrachtet. 

Auch das Ungesagte bricht sich seinen Weg

“Es war alles noch da, auch das, was längst gewesen ist”, sagt Emma im Roman, als sie an ihre Familie in Stillbach denkt, mit der sie längst keinen Kontakt mehr hat. Auch auf der Bühne sind tatsächlich noch alle da, der tote Geliebte Johann sitzt still im Zimmer, das junge Dienstmädchen Emma von einst wäscht sich am Bidet, um das Sperma von Remo loszuwerden, die Geister der Vergangenheit sind stets präsent, selbst unter der Erde lauern die Schatten in den Katakomben. Manchmal stehen einige Figuren da wie Gespenster, unbemerkt von anderen. Der Verdienst der Inszenierung liegt darin, dieses Sehen zu verdeutlichen, das immer nur ein Ausschnitt, ein Erinnern, das immer nur ein Bruchstückhaftes ist und am Schluss Geschichte ergibt – “Ich-Geschichte”, Lebensgeschichte oder Weltgeschichte. Und auch das Ungesagte, Verschwiegene bricht sich seinen Weg hinein in dieses Erinnern. Ansonsten war es für einen Abend ganz schön viel Welt, es hätte auch etwas weniger sein dürfen, auch wenn die Umsetzung des Romans (Fassung von Andreas Jungwirth) dann nicht ganz so werktreu erfolgt wäre.

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