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February 5, 2015

Simone Mair, Kuratorin: Neugier, Sensibilität, Ausdauer sind gefragt

Kunigunde Weissenegger

Sie weiss es bestens: Kuratieren, vom lateinischen curare, heißt: für etwas Sorge tragen, sich um etwas sorgen. Simone Mair weiss es nicht nur, sie lebt es, denn sie arbeitet als Kuratorin und Kunstvermittlerin in den Feldern Vermittlung und Kuratierung, mit Recherche-Fokus in sozial engagierten Kunstpraktiken. Nach der Akademie der Schönen Künste in Urbino, einer Fotografie-Ausbildung in Perugia, hat die Partschinserin Ende 2014 den Master in Kuratierung am Goldsmiths College in London erfolgreich abgeschlossen. 

Einige Zeit danach zog es sie nach Liverpool, wo sie bis Ende November 2014 gelebt und als kuratorische Assistentin bei der Liverpool Biennial 2014 gearbeitet hat. In Südtirol zählten das Museion sowie die ar/ge kunst Galerie Museum in Bozen zu ihren Arbeitsorten, ausserdem war sie Projektleiterin der privaten Kunstsammlung von Antonio Dalle Nogare. Bei ar/ge kunst ist sie nun aktives Vorstandsmitglied. 

Im Interview erzählt uns Simone Mair von ihrer Erfahrung bei einer der größten internationalen Biennalen, von ihrem in London ko-initiierten Wissensvermittlungsprojekt The Walking Reading Group, von ihrem KuratorInnenbild der Gegenwart und von den Entwicklungsmöglichkeiten der Südtiroler Szene. 

Du hast 3 Jahre in England gelebt. Was hat dich dorthin getrieben?

Genau, zwei Jahre in London und ein Jahr in Liverpool. Die Entscheidung, nach London zu gehen, war zunächst eine Herzensangelegenheit, hat mich dann aber beruflich sehr inspiriert: In London habe ich einen Master in Curating am Goldsmiths College gemacht. Bis Ende November 2014 habe ich dann in Liverpool gelebt und als Kuratorische Assistentin bei der Liverpool Biennial gearbeitet.  

Liverpool Biennale ist ein gutes Stichwort: Du hast als eine von 2 Assistant Curators des Co-KuratorInnen-Teams der Liverpool Biennial 2014 gearbeitet. Erzähl uns bitte ein wenig von deiner Arbeit dort.

Ehrliche Antwort? – Es ist wirklich ein 24-Stunden-Job. Man hat eine relative kurze Zeitspanne, um eine der größten Kunstveranstaltungen in England aufzubauen; dabei ist sehr viel Improvisation und zugleich Professionalität gefragt.  Inspiriert von Modellen, wie zum Beispiel die Mercosul Biennial in Brasilien, stellt die Liverpool Biennial mit Sally Tallant als Direktorin Vermittlung in den Vordergrund und arbeitet an einem Integrated Programming: Es gibt drei Kuratoren – Project Curator, Public Programme Curator und Education Curator –, die alle sehr eng und auf gleicher Ebene zusammenarbeiten. Hauptgedanke ist dabei von der Stadt Liverpool auszugehen, das heisst, nicht den Ort als Thema zu nehmen, sondern mit den bereits vorhandenen Strukturen zu arbeiten und die Stadt als Schule wahrzunehmen. Meine Hauptaufgabe war es, 15 neue Kunstkommissionen zu betreuen und für die KünstlerInnen die bestmögliche Arbeitssituation zu schaffen. Diese Neuproduktionen variieren und gehen von einer Filmproduktion mit Sharon Lockhart über einen Diamantenring mit Chris Evans bis hin zur Computer gesteuerten Installation mit Michael Stevenson. Die meisten dieser Arbeiten wurden mit anderen Institutionen koproduziert und involvierten deshalb sehr viele Leute – vom Handwerker bis zum Galeristen.
Dies heißt sehr viel Verantwortung, da diese Art des Geflechts menschlicher Beziehungen das Kunstwerk schlussendlich beeinflussen. Auch Teil meiner Arbeit waren Vertragsbearbeitungen und die Organisation des Kunsttransports von 90 Werken aus Europa und den USA. Sobald die Ausstellung eröffnet wurde, organisierte ich mit der “Public Programme”-Kuratorin internationale Konferenzen und Recherche-Residencies sowie produzierte Performances und Künstlergespräche an verschiedenen Orten in Liverpool – vom Gewächshaus bis zum Wasserreservoir. Der Arbeitsalltag ist abwechslungsreich, flexibel und sehr schnell. Das Wichtigste: man arbeitet in einem fantastischen Team von 25 Leuten – eine Art Großfamilie.  

Was ist deiner Meinung nach bei der Berufsausübung einer Kuratorin wichtig?  Was sollte unbedingt zu ihren Merkmalen gehören…?

Seit Harald Szeemann hat sich das Kuratorbild sehr verändert. Es sind nicht mehr unsichtbare Hände, welche die Sammlung einer Institution auswählen und neu arrangieren, sondern ein kreativer Geist, der verschiedenste Elemente der Gesellschaft  geschickt und kreativ kombiniert. Ich denke nicht, dass man von einem einzigen Kuratorenbild sprechen kann, zumal es Ausstellungskuratoren, Public Programme Curators oder unabhängige Kuratoren gibt, die dann wiederum in verschiedensten Kontexten arbeiten. Der Arbeitsalltag einer AusstellungskuratorIn an der Tate Modern unterscheidet sich sicherlich von dem einer unabhängigen KuratorIn in einem Kunstverein. Als essentielle Merkmale für eine gute KuratorIn betrachte ich Neugier, Sensibilität für den Moment und Ausdauer.The Walking Reading Group - Simone MairNächstes Stichwort “The Walking Reading Group” – ein von dir in London gemeinsam mit Ania Bas initiiertes Projekt. Worum geht es?

The Walking Reading Group ist ein Projekt, das ich in Zusammenarbeit mit der polnischen Künstlerin Ania Bas 2012 in London gegründet habe. Es geht dabei um eine andere Form der Wissensvermittlung. Im Gegensatz zu einer traditionellen Lesegruppe, wo die TeilnehmerInnen gemeinsam an einem Tisch sitzen und über Texte diskutieren, lädt The Walking Reading Group  ein, dasselbe während des Gehens zu machen. Bisher wurden Texte zum Thema der Partizipation im Kunstdiskurs diskutiert. Die Intimität des Dialoges steht dabei im Vordergrund, da die Leute in Paaren spazieren und das Gelesene mit dem Geschehen im Stadtraum in Verbindung bringen. Mit finanzieller Unterstützung vom Arts Council läuft das Projekt nun schon seit zwei Jahren und wurde bisher in Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen in London, wie zum Beispiel der Whitechapel Gallery, The Showroom oder Open School East durchgeführt. Im Februar 2015 erscheint eine Publikation und im März 2015 wandert das Projekt nach Bilbao.  

Worin bestehen denn deiner Meinung nach die größten Unterschiede zwischen der Kulturszene in Südtirol und der in England – klarerweise können beispielsweise Bozen und Liverpool nicht direkt verglichen werden. – Aber einige Merkmale, Kennzeichen… vielleicht?

Lass uns von Liverpool und Bozen sprechen. Liverpool ist eine postindustrielle Stadt, florierte in den 30er Jahren und befindet sich jetzt zwischen Nostalgie und dem Wunsch nach einer fiktionalen Stadt. Liverpool ist immer noch stark von der Abwanderung der 70er Jahre geprägt. Man findet an jeder Ecke ein verriegeltes Pub, verriegelte Häuser. Nur die Hälfte der Stadt ist bewohnt. Die Mieten sind sehr günstig – ein Faktor, der vielen MusikerInnen und KünstlerInnen ein Leben in Liverpool ermöglicht. Doch große KünstlerInnennamen gibt es wenige, da Englands Kunstwelt sehr London zentriert operiert. Es gibt wichtige Kunstinstitutionen wie Tate Liverpool, the Bluecoat (älteste Kunstinstitution in England), Fact und interessante, von KünstlerInnen initiierte Institutionen, wie Royal Standard, die von der öffentlichen Hand sehr großzügig  unterstützt werden. 
So unterschiedlich Südtirol und Liverpool in ihrem Wesen sind, sehe ich in der Kulturproduktion gewisse Gemeinsamkeiten: Beide Orte operieren aus einer peripheren Zone. In Proportion zu den EinwohnerInnen (Liverpool hat etwa gleich viel wie Südtirol) gibt es in beiden Orten ein enorm großes kulturelles Angebot – das ist wunderbar! Die Herausforderung liegt jedoch in der Art der Zusammenarbeit, sowohl der einzelnen Institutionen und kulturellen Aktivitäten vor Ort als auch auf nationaler und internationaler Ebene. In Liverpool, zum Beispiel, treffen sich die Direktoren der sieben größeren Institutionen vier Mal im Jahr, um sich inhaltlich auszutauschen, aber auch an einer gemeinsamen Strategie für die Stadt zu arbeiten. 
Einer der größten Unterschiede zwischen der Kulturszene in Italien und in England sind die Ausbildungsstätten: In England ist Kunst ein sehr präsentes und angesehenes Studium, während man in Italien immer noch in den alten Schuhen der Accademia di Belle Arti steckt, wo Theorie oft nur am Rande erläutert wird. In Italien gibt es wichtige Galerien und SammlerInnen, aber es fehlt eine Kunstszene, die ja oft aus den Kunstuniversitäten hervortritt.  

Wo siehst du Entwicklungsmöglichkeiten für Südtirol und Umgebung im Bereich der Kunst (und Kultur)? (Auch  mit Blick auf den euroregionalen Raum vielleicht…)

Wie schon so oft geschrieben, gelesen, gesagt und gehört wurde, befindet sich Südtirol in einer interessanten geographischen Position, die nach Zusammenarbeit lediglich schreit. Für mich stellt sich die Frage: Wie schaffen wir es lokal verbunden zu sein und zugleich auf internationaler Ebene Sichtbarkeit zu erlangen? 
Als ich noch in Bozen gearbeitet habe, fiel mir auf, wie toll es die GastkuratorInnen oder die eingeladenen KünstlerInnen finden, ein paar Tage in Südtirol zu verweilen, während sie an einer Installation oder einer Ausstellung arbeiten. Ich finde, diese Zeit, die diese Menschen im Land verbringen, und ihre andersartige Betrachtungsweise der Dinge sehr wichtig. Deshalb ist das Format der Residenz, wobei sich ein_e KünstlerIn, SchriftstellerIn, TänzerIn (ich würde gar nicht nach Disziplinen unterscheiden) länger an einem Ort aufhalten, recherchieren und mit Leuten und Wissen des jeweiligen Ortes in Kontakt treten, für Südtirol sehr interessant.  Institutionen wie ar/ge kunst oder Lungomare in Bozen haben es mit dem irischen Künstler Gareth Kennedy und dem türkischen  Künstler Can Altay schon vorgemacht. Hier sehe ich außerdem ein großes Entwicklungspotenzial für die Kunstvermittlung, wobei es weniger darum geht ein Publikum zu erreichen sondern in der Kunstproduktion anzusetzen und durch die lokale und internationale  Ko-Recherche einen  öffentlichen Raum zu schaffen.  

Was kommt nach der Biennale in Liverpool?

Die Biennale geht weiter, ich jedoch habe meine Zeit mit der Liverpool Biennial mit Ende 2014 beendet. Zusammen mit zwei KollegInnen arbeiten wir an einem neuen konkreten Projekt, das wir euch gerne in einem Frühlingsgespräch vorstellen.

Alle Fotos: Simone Mair

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