Rosengarten

February 3, 2015

Impulse städteplanerischer Art von Lorenz Brugger: Wem gehört die Stadt?

Lorenz Brugger
Der Städteplaner Lorenz Brugger hat sich anlässlich des Female-Views-Filmabends am 21.1.2015 zum Thema Stadtentwicklung und der Projektion des Dokumentarfilms "Global Shopping Village" von Ulli Gladik im Filmclub Bozen mit der Fragestellung "Wem gehört die Stadt?" auseinander gesetzt. Seine Ausführungen und Gedanken gibt es nun hier nachzulesen.

Ich habe an der Universität Stuttgart Architektur und Stadtplanung studiert, lebe seit mehr als 10 Jahren in Stuttgart und arbeite in einem etablierten Architektur- und Stadtplanungsbüro, das sich sowohl mit den klassischen Bauaufgaben als auch maßgeblich mit stadtplanerischen und städtebaulichen Aufgaben beschäftigt. Im Speziellen erstellen wir auch sogenannte ISEKs (integrierte städtebauliche Entwicklungskonzepte) für Städte und Gemeinden in Bayern.

Anfangs möchte ich einige Begrifflichkeiten definieren, damit auch der Laie versteht, worum es in meinem Beruf geht. Es wird sehr oft mit den Worten Urbanistik, Stadtentwicklung, Stadtplanung und Städtebau jongliert, aber es entsteht immer der Eindruck, es wäre alles dasselbe.  

In Bozen wird gerne der Begriff der Urbanistik verwendet, wahrscheinlich weil das die direkte Übersetzung des italienischen Wortes urbanistica ist. Urbanistik wird aber im Deutschen als Stadtforschung definiert, ist also eine rein theoretische Auseinandersetzung mit der Stadt. Es handelt sich also um einen Übersetzungsfehler.  

Dagegen sind die Begriffe Stadtentwicklung, Stadtplanung und Städtebau wesentlich näher an dem dran, worum es hier eigentlich gehen muss:
Stadtentwicklung beschreibt die räumliche, historische und strukturelle Gesamtentwicklung einer Stadt und ist ein Instrument, mit dem gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Aspekte untersucht werden.
Stadtplanung beschäftigt sich mit den räumlichen und sozialen Strukturen der Stadt. Sie ordnet sowohl öffentliches als auch die privates Bauen und steuert die räumliche Infrastrukturentwicklung in der Stadt, zum Beispiel den Verkehr. Dabei werden im Idealfall alle privaten und öffentlichen Belange gleichberechtigt behandelt. 
Städtebau wiederum befasst sich mit der Gestaltung von Gebäudegruppen, Siedlungen, Stadtteilen und insbesondere mit den öffentlichen Räumen, also direkt sichtbaren Aspekten der Stadtplanung. Städtebau ist also ein Teil der Stadtplanung. 

Diese 3 Disziplinen sind untrennbar miteinander verbunden und haben einen Grundsatz gemeinsam: Sie beziehen sich alle auf die Gesellschaft einer Stadt und ihre Bedürfnisse, Wünsche, Probleme. 

Bei den Gebäuden, von denen der Dokumentarfilm “Global Shopping Village” von Ulli Gladik handelt und die auch in Bozen aktuell sind, handelt es sich immer um stadtplanerische und städtebauliche Projekte. Es sind schließlich hybride Gebäude, die aus privaten und öffentlichen Eigenschaften bestehen und die sich vermischen und somit einen Einfluss auf Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft und am Ende auf die gesamte Entwicklung einer Stadt haben.Lorenz BruggerNun gibt es in Deutschland schon seit langer Zeit die Städtebauförderung. Sie wird als kommunalpolitisches Instrument einer nachhaltigen Stadtentwicklung definiert. Die Schwerpunkte sind Stärkung von Innenstädten und Ortsteilzentren, Maßnahmen der Sozialen Stadt, Stadtumbaumaßnahmen und vieles mehr. Ein wesentlicher Bestandteil davon ist das integrierte, städtebauliche Entwicklungskonzept – kurz ISEK

In einem ISEK sollen die langfristigen Entwicklungsziele und Handlungsschwerpunkte für die Stadt definiert werden. Es werden Defizite und Probleme, aber auch Potenziale und Vorzüge einer Stadt ganzheitlich betrachtet. Dabei werden Schwerpunktbereiche untersucht, ausgewertet und mit der Bevölkerung diskutiert. Aus dieser Bewertung werden ganz konkrete, stadtplanerische und städtebauliche Maßnahmen entwickelt. 

Einen beispielhafter Ablauf kann man sich wie folgt vorstellen:
- Eine Bestandsaufnahme: Sie beinhaltet die Analyse der Stadtstruktur, Zustand der Gebäude, Nutzungsverteilung, Infrastrukturbewertungen usw. über intensive Ortsbegehungen und Erkundungsfahrten.
- Es werden mehrere Sitzungen in sogenannten Lenkungsgruppen abgehalten, die aus den Fachplanern, Vertretern der Ämter und des Stadtrates sowie des Bürgermeisters, Vertreter aus Wirtschaft, Kultur, Einzelhandel und anderen Interessensvertretern bestehen. In diesen Sitzungen wird die Analyse vorgestellt und besprochen und es werden Ziele, Visionen und Strategien erarbeitet, die für die Zukunft des Ortes als wichtig erachtet werden. Die Themen sind vielfältig und oft unterschiedlich: Themen wie Wirtschaft, Mobilität, Wohnen, Handel und Dienstleitungen, Kultur, Tourismus, kommen aber immer vor. 
- Darauf folgend wird eine erste Informationsveranstaltung von den Fachplanern organisiert, bei der die Bürger darüber informiert werden, worum es bei einem ISEK geht und wie der Prozess abläuft. Es ist die erste Gelegenheit der BürgerInnen, etwas über ihren Ort zu erfahren und sich selbst einzubringen.
- Nur wenige Wochen später findet ein Workshop statt: Die ausgewählten Themenfelder werden aufgrund der vorangegangen Analyse mit ihren Stärken und Schwächen auf Plakaten dargestellt. Die BürgerInnen und geladenen Gäste werden in Arbeitskreise zu festgelegten Themen aufgeteilt und von jeweiligen FachplanerInnen moderiert. In den einzelnen Arbeitskreisen werden die aufgelisteten Themen diskutiert und ausnahmslos jede und jeder kann individuell, beispielsweise anhand eines Punktesystems, zeigen, was ihr oder ihm am Wichtigsten erscheint. 
- In der Nachbearbeitung werden nun Prioritäten gesetzt und es kommt zu konkreten Handlungsvorschlägen, die wiederum in der Lenkungsgruppe besprochen werden. Aus diesen Handlungsvorschlägen wird am Ende ein sogenannter Rahmenplan erstellt, in dem alle Maßnahmen lokalisiert und beschrieben werden. 

Natürlich muss man sich vor Augen halten, dass solche Prozesse nicht von heute auf morgen stattfinden. Alleine ein ISEK zu erarbeiten, kann weit länger als 1 Jahr dauern – je nach politischem Willen und Können. Im Rahmen dieser Städtebauförderung ist es aber eine große Chance für einen Ort, sich selbst neu kennen zu lernen und eigene Stärken und Schwächen aufgezeigt zu bekommen. Ein Beispiel: In der Stadt Hassfurt in Unterfranken in Bayern stellte sich heraus, dass die BürgerInnen sich des Potentials ihres Flusses gar nicht bewusst waren. Erst durch das ISEK erkannte die Stadt, dass sie den Main, der die Stadt durchquert, den BürgerInnen näher bringen muss.

ISEKs können die Lebensqualität von Gemeinden und Städten über einen langfristigen Zeitraum konsolidieren und/oder spürbar verbessern. Dabei bleibt der Fokus auf der ganzheitlichen Betrachtung mit der zentralen Frage: Wie und wohin will die Stadt sich entwickeln? Diese Frage muss sich heute auch jede/r Einzelne von uns stellen. Egal ob es nun um ein Einkaufszentrum geht, eine neue Straße oder einen Platz, was auch immer mit uns als Öffentlichkeit zu tun hat: Schauen wir uns unseren Ort ganz bewusst an und fragen uns dabei, in welche Richtung es gehen soll und was uns tatsächlich fehlt bzw. was uns so gut gefällt. Denn Stadtentwicklung geht uns alle an.

Zu diesem Thema möchte ich eine Leseempfehlung mitgeben – das Buch erscheint erstaunlicherweise jetzt erstmals in deutscher Sprache: “Städte für Menschen” von Jan Gehl – Stadtplaner, der schon seit Jahrzehnten die Stadt Kopenhagen in ihrer Stadtentwicklung berät. Kopenhagen wurde schon zum wiederholten Mal zu einer der Städte mit der höchsten Lebensqualität gekürt. 

Lorenz Brugger (1983) in Bozen geboren und aufgewachsen, ging nach Abschluss der Schule nach Deutschland und studierte dort an der Universität Stuttgart Architektur und Stadtplanung. Nach Auslandsaufenthalten in Oslo und Zürich schloss er erfolgreich sein Studium ab. In seiner Diplomarbeit über das Valle Maira setzte er sich mit der Entsiedelung von dörflichen Regionen in den italienischen Westalpen auseinander. Er arbeitet als Architekt bei der Freien Planungsgruppe 7 in Stuttgart. Die Arbeitsfelder des Architekturstudios sind zu gleichen Teilen Stadtplanung und Hochbau.

Der Filmreihe “Female Views“ im Filmclub geht es stets darum, das Filmschaffen von Filmemacherinnen sichtbar zu machen und zu Gespräch und Gedankenaustausch anzuregen. 

Neben diesen Impulsen städteplanerischer Art von Lorenz Brugger unterbreiteten auch der Historiker Hannes Obermair sowie die Künstlerin Maria Walcher ihre Perspektiven.

Foto: Lorenz Brugger

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