Rosengarten

January 30, 2015

Wem gehört die Stadt?
Ein Input aus künstlerischer Sicht
von Maria Walcher

Maria Walcher
Die Künstlerin Maria Walcher hat sich anlässlich des Female-Views-Filmabends am 21.1.2015 zum Thema Stadtentwicklung und der Projektion des Dokumentarfilms "Global Shopping Village" von Ulli Gladik im Filmclub Bozen mit der Fragestellung "Wem gehört die Stadt?" auseinander gesetzt. Ihre äußerst interessanten Gedanken und Impulse gibt es nun hier nachzulesen.

Ich habe an der Bauhaus-Universität in Weimar “Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien” studiert und mich so intensiv mit der Nutzung, Bespielung und Aneignung von öffentlichem Raum auf künstlerische Weise befasst – sowohl indem ich mich mit Projekten internationaler KünstlerInnen auseinandergesetzt habe, als auch über die Durchführung eigener Projekte. Wenn ich Leuten von meinem Studium erzähle, werde ich häufig gefragt: Bedeutet das, dass du Skulpturen im öffentlichen Raum machst oder Land Art? – Nun: nicht nur. Kunst im öffentlichen Raum ist ein weiter Begriff, der sich nicht nur auf Skulpturen auf Verkehrsinseln oder vor öffentlichen Gebäuden bezieht. Es geht vielmehr darum, sich mit einem Ort oder einer Situation auseinander zu setzen und darauf künstlerisch einzugehen. Sprich, die Potenziale des Ortes auszuloten, ihn neugierig und mit offenen Augen unter die Lupe zu nehmen, Probleme und Konflikte zu erkennen und diese zu hinterfragen oder auch positive Aspekte hervorzuheben. 

Die KünstlerInnen sollten die Freiheit haben, einen Ort oder eine Situation experimentell zu untersuchen und mit einem forschenden Blick Details aufzugreifen, die nicht immer sofort ins Auge fallen, naheliegend sind oder an der Tagesordnung stehen. Durch künstlerische Interventionen ist es möglich, alltägliche Verhaltensmuster zu brechen, Neues auszuprobieren, andere Perspektiven zu unterstreichen und somit einen alternativen Blick zu provozieren, Fragen in den Raum zu stellen und Diskussionen anzuregen. Hierzu möchte ich zwei Beispiele nennen: die Performance einer Künstlerin in Berlin, die auf einem Container mit Bauschutt ihr Handtuch ausgebreitet und ihren Sonnenschirm aufgestellt hat, um dort ein Sonnenbad zu nehmen und sich so ihr städtisches Umfeld auf alternative Weise anzueignen. Oder die Besetzung von Parkplätzen, eine Initiative, die ich bereits in mehreren Städten gesehen habe: Eine Gruppe von Menschen löst ein Parkticket und lässt sich in einer Parklücke nieder, indem zum Beispiel ein grüner Rasen ausgerollt und darauf ein Picknick veranstaltet wird und die Passanten eingeladen werden, sich dazu zu gesellen. So beanspruchen sie diesen Raum für sich und zeigen, dass er auch anders nutzbar ist, als nur als Parkplatz von Autos.

Der Begriff Kunst im öffentlichen Raum beinhaltet auch partizipatorische Projekte, bei denen sich der/die KünstlerIn beispielsweise mit einem Stadtviertel oder einer Gruppe von Menschen auseinandersetzt und diese direkt in das Kunstprojekt einbezieht, beziehungsweise es auf den Austausch und die Zusammenarbeit mit Passanten oder der Nachbarschaft aufbaut. Wie zum Beispiel im Projekt Park Fiction. Park Fiction ist ein seit Mitte der 90er Jahre bestehendes künstlerisches und gesellschaftspolitisches Projekt in Hamburg. Es ging aus einer Nachbarschaftsinitiative hervor, als AnwohnerInnen von Altona/St. Pauli anstelle einer beabsichtigten Wohn- und Bürobebauung einen öffentlichen Park für ihr dicht bebautes Viertel forderten. Die KünstlerInnen Christoph Schäfer und Cathy Skene führten verschiedene Veranstaltungen zum Thema durch und stellten einen Planungscontainer auf, wo sich AnwohnerInnen aller Altersgruppen mit Ideen und Zeichnungen beteiligen konnten. Nach diesen Vorgaben wurden gemeinsam mit ArchitektInnen Planungsskizzen angefertigt und schließlich (zwischen Sommer 2003 und Sommer 2005) der Antonipark realisiert. 
Der Künstler Christoph Schäfer meinte dazu: “Es geht bei der kollektiven Wunschproduktion darum, neu zu bestimmen, was die Stadt ist, darum, ein anderes Netz über die Stadt zu legen, sich die Stadt anzueignen, überhaupt sich vorzustellen, wie es anders laufen könnte, und dann das Spiel nach anderen Regeln zu spielen.” 

Bei Kunst im öffentlichen Raum spielt die Frage des Privaten und des Öffentlichen eine wichtige Rolle, beziehungsweise die Frage: Was ist privat und was ist öffentlich? Wie kann ich mich im öffentlichen Raum bewegen und diesen in Anspruch nehmen? Dazu möchte ich, ganz dem Thema entsprechend, das Projekt “Wem gehört die Stadt” von Michaela Niederkircher und Christine S. Prantauer als Beispiel nennen: Dabei haben sie sich 2011 in Innsbruck mit den Besitzverhältnissen im öffentlichen Raum, mit Privatisierung und Kommerzialisierung beschäftigt. Die beiden Künstlerinnen thematisierten dabei, dass Raumfragen auch Machtfragen sind, meist eng verknüpft mit den gesellschaftspolitischen Verhältnissen. Sie stellten auf Plakaten, Aufklebern, Einschaltungen in Programmkinos und Postkarten den BewohnerInnen die Frage “Wem gehört die Stadt?”. Die Antworten und Kommentare auf diese Frage wurden in einem Blog wieder der Öffentlichkeit zurückgespielt. 

Kunst hat (im Idealfall) die Freiheit, einen Raum alternativ zu bespielen, ohne den größten (oder irgend einen) Profit herausschlagen oder irgendwelchen Erwartungen entsprechen zu müssen. Sie kann um der Kunst Willen handeln. Dies bietet dem/der KünstlerIn die Freiheit, einen anderen Blick auf einen Ort zu werfen und ihn alternativ zu bespielen. Maria WalcherIch möchte an dieser Stelle noch kurz auf zwei meiner eigenen Projekte eingehen und einige Erfahrungen und Arbeitsweisen bei der Umsetzung von Projekten im öffentlichen Raum beschreiben. Einige von euch kennen vielleicht das Projekt I PACK MY BAG, wo ich mich 2012 mit einer mobilen Schneiderei auf einem Rad auf den Weg durch Südtirol gemacht und PassantInnen um Kleider mit Geschichte gefragt habe. Bei der Durchführung dieses Projekts (wie auch bei anderen) ist mir aufgefallen, dass es als Einzelperson gar nicht so einfach ist, um Genehmigungen im öffentlichen Raum anzusuchen, wenn man nicht aus kommerziellen Gründen handelt, ein Verein oder ein/e StraßenmusikerIn ist. Daher war es meist einfacher, auf privaten Grundstücken (wie vor Lokalen), als auf öffentlichen Plätzen Halt zu machen. Bei dem Projekt “I PACK MY BAG” war ich es, die durch meine Aktion den Ort bespielt und etwas an den Ort gebracht hat, das aus dem alltäglichen Verhaltensmuster fiel und die übliche Nutzung des öffentlichen Raums irritierte. Ohne kommerziellen Grund vor sich hinnähen, das macht man zuhause, aber nicht im öffentlichen Raum. Durch diese mobile Schneiderei wurde eine temporäre Plattform geschaffen, die je nach Ort und Situation unterschiedlichste Leute angezogen hat.

Im Gegensatz dazu war es im Projekt Staklena Banka Collection ein Gebäude in der geschichtsträchtigen Stadt Mostar in Bosnien Herzegowina, das meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, nämlich ein Hochhaus, eine moderne Ruine. Die Ruine einer Bank, die in den 80ern erbaut worden war, nur für kurze Zeit in Hochglanz in Betrieb war, dann wieder zur Ruine zerfallen ist und wo sich nun Mostar aus politischer Uneinigkeit nicht entscheiden kann, was mit dem Gebäude weiter passieren soll. Ich habe für dieses Gebäude ein Logo entworfen und durch ein Banner mit der Bezeichnung “STAKLENA BANKA COLLECTION”, das ich an der Fassade des Gebäudes angebracht habe, diese moderne Ruine wirtschafts- und gesellschaftspolitisch in Frage gestellt. Bezieht sich diese “Staklena Banka Collection” auf eine Sammlung, die einst im Haus war? Auf das, was derzeit in dieser Ruine zu finden ist? Oder auf das Potenzial dieser Ruine? Mit dieser subtilen Intervention sollte der Blick der Passanten irritiert werden. Und es könnte mit einer offenen Frage die Diskussion angeregt werden: Ist die moderne Ruine einer Bank, eines kommerziellen Zentrums, ein utopischer Ort oder eine Dystopie?

Kunst im öffentlichen Raum wird vielfach durch Ausschreibungen gefördert, da die Städte erkennen, dass darin ein Potenzial liegt, den öffentlichen Raum anders wahrzunehmen und zu bespielen, etwa in Stadtvierteln, die nicht mehr durch Geschäfte und andere wirtschaftliche Einrichtungen belebt werden, weil diese ausgelagert wurden und wo man sich erhofft, das Viertel durch künstlerische Projekte und Kulturinitiativen wieder zu beleben.

Das Schöne an der Kunst ist, dass man an den absurdesten Wunschträumen arbeiten und sie in die Tat umsetzen kann, jedoch ist die Frage, ob es dazu wirklich immer die KünstlerInnen, Kreativen oder institutionell Beauftragten braucht, oder ob nicht jede/r das Recht hat und daran arbeiten kann, den öffentlichen Raum nach seinen/ihren Bedürfnissen zu gestalten. In diesem Sinn möchte ich mit folgenden Fragen schließen: Was heißt öffentlicher Raum und wie wollen wir, dass dieser aussieht, beziehungsweise von ALLEN in Anspruch genommen werden kann? Wo und wie seht ihr Möglichkeiten, die Stadt – außer als KonsumentInnen – für euch zu beanspruchen und zu nutzen?

Maria Walcher, 1984 geboren, in Brixen aufgewachsen, studierte an der Universität für Angewandte Kunst in Wien “Bildnerische Erziehung, Textiles Gestalten und Technisches Werken”. Nach einem Auslandsaufenthalt in Lissabon schloss sie erfolgreich ihr Studium ab und studierte an der Bauhaus-Universität in Weimar im internationalen Master “Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien”. In ihrer Master-Arbeit setzte sie sich mit dem Thema der kulturellen Übersetzung auseinander und spannte sowohl in der theoretischen als auch in der künstlerischen Arbeit einen Bogen zwischen der Weimarer Klassik und der derzeitigen prekären Situation von Menschen, die über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen versuchen. Zu ihren Arbeiten zählen unter anderem Interventionen, Installationen, Performances und partizipative Projekte, die vielfach im öffentlichen Raum realisiert werden, wie beispielsweise Trasite, Staklena Banka Collection, 2014, I Pack My Bag oder Vorhang auf. Mit ihren Projekten war und ist sie neben Südtirol auch in Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande, Bosnien-Herzegowina, Türkei, Mexiko und USA präsent. Derzeit arbeitet Maria Walcher als freischaffende Künstlerin in Österreich und Italien.

Der Filmreihe “Female Views im Filmclub geht es stets darum, das Filmschaffen von Filmemacherinnen sichtbar zu machen und zu Gespräch und Gedankenaustausch anzuregen. 

Neben diesen Impulsen künstlerischer Art der Künstlerin Maria Walcher unterbreiteten auch der Historiker Hannes Obermair sowie der Städteplaner Lorenz Brugger ihre Perspektiven.

Aufmacherfoto: Staklena Banka Collection Mostar, 2013. Alle Fotos: (c) Maria Walcher

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