People + Views > Editorials

December 12, 2014

Alle Aufregung umsonst. Aufwachen!

Kunigunde Weissenegger
In Südtirol herrsche Medienkrise, Schuld am Zeitungssterben sei das Internet, hieß es von verschiedenster Presse- und Medien-Seite in der ff Nr. 48 vom 27.11.2014. Eine Entschärfung der Verschwörungstheorie von Kunigunde Weissenegger – als Gastkommentar erschienen in der ff Nr. 49 vom 4.12.2014.

Natürlich versucht jeder zunächst die eigene (papierene) Existenz zu rechtfertigen, wenn er die    Frage gestellt bekommt, wie lange es noch gedruckte Zeitungen geben werde. Wir können ruhig weiterhin in Nostalgien schwelgen (auch FreundInnen der digitalen Welt tun dies anscheinend gern) und hier in Südtirol so tun, als ob  sich die Welt um uns herum drehe, wir uns aber nicht mit ihr. Das wird aber nicht zutreffen. LeserInnen und WerbekundInnen verlieren nicht nur die Zeitungen in Südtirol und nicht erst seit gestern. Hallo!? – Die digitale Welt ist seit 20 Jahren auf dem Vormarsch, aber vielleicht haben wir davon hierzulande nichts mitbekommen. Laut dem australischen Zukunftsforscher Ross Dawson wird es 2040 weltweit im Blätterwald nicht mehr rascheln und Zeitungen in der Form wie heute nicht mehr geben: 2017 in den USA futsch, 2027 in Italien, 2028 in Österreich, 2030 in Deutschland. (“Journalismus von morgen – Die virtuelle Feder“ ansehen oder einfach mal online recherchieren!) Video killed the radio star ist (noch) nicht eingetroffen. Durch Videoportale wie YouTube aber hat beispielsweise MTV enorm an Bedeutung in der Musikvideobranche verloren.

Das Papier ist tot, es lebe das Papier! Ob wir es uns vorstellen können, wollen oder nicht: Der Tag wird kommen. Es geht also ganz sicher nicht um offline gegen online und wer von beiden gewinnen wird (was ist mit Radio und TV?), sondern wohl darum, die richtige Form zu finden, um Informationen weiterzugeben, Geschichten zu erzählen und Hintergründe darzulegen,  damit verstanden wird. Gut recherchierte Artikel können auch online gehen. Bestes Beispiel der letzten Stunde ist krautreporter.de – auf dem Markt seit Oktober 2014. Das werbefreie Online-Magazin wurde durch Crowdfunding gestartet. Nun finanzieren und ermöglichen Mitglieder unabhängigen Journalismus im Netz, können unter anderem kommentieren, erhalten exklusive Beiträge oder Videos. In absehbarer Zeit wird Krautreporter in eine Genossenschaft überführt, die  taz, die tageszeitung aus Berlin, übrigens auch.

Auf den Inhalt kommt es an, nicht auf das Medium. Jedes Format, das es auf Papier gibt, kann es genauso in Pixel geben: Kurzmeldungen, Interviews, Reportagen, Porträts, Kommentare und so weiter. Ob Text, Foto, Video, Audio, Illustration, Verlinkung – Geschichten können im Netz auf vielfältige Art und Weise erzählt werden. Jedoch grundsätzlich in Eigenregie: Was auf Papier gelingt, funktioniert noch lange nicht online. Papier ist geduldig, die Online-Leserschaft nicht. Ein Transport oder eine 1:1-Übernahme von Print ins Netz funktioniert nicht. Einen Reifen fürs Rad  kann ich auch nicht auf ein Auto montieren. Themen gibt es zuhauf, gut recherchierte Geschichten sind rar. Online ist nichts einfacher als Kopieren und Einfügen von Informationen. Aber  funktioniert es auch? Wo ist der Mehrwert? Aussendungen zu Veranstaltungen, beispielsweise, stellen Organisatoren zumeist selbst ins Netz. Seit März 2014 lässt die Los Angeles Times Erdbeben-Meldungen anhand eines Algorithmus von einem Roboter-Journalisten schreiben. 

Was also ist der Journalismus von morgen, müssen  wir uns fragen. Vor ein paar Wochen saßen in Meran zu Gatterers Ehren vier Journalisten zusammen und unterhielten sich darüber, ob es heute noch sozial engagierten und mutigen Journalismus gebe, in Südtirol. Relativ, sage ich. Die Frage, die wir (JournalistInnen) uns stellen müssen, ist: Wie kann ich ehrlichen, unabhängigen Journalismus garantieren? Kann ich mit dem Geschriebenen etwas bewegen? (Ansonsten kann ich auch zu Hause in mein Tagebuch schreiben.) Wir (LeserInnen) dagegen können uns fragen: In welche Richtung sollte der Journalismus in Südtirol gehen? Bin ich mit psalmartigem Reproduzieren von Nachrichten und Banalitäten zufrieden? Oder will ich auch mehr? Wobei wir wieder am Anfang wären: Qualität ist das wesentliche Kriterium eines Mediums (nicht Auflagen und Klickzahlen). Dafür müssen wir alle bereit sein. – Auch Scheine zu zücken.

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.