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November 26, 2014

abroad & overseas – Wiener Atelierwanderung zu Südtiroler KünstlerInnen

Lex W.

Klingt spannend, ist auch so. Südstern, das Netzwerk für Südtiroler im Ausland, hat Mitte November 2014 gemeinsam mit dem Südtiroler Künstlerbund einen Rundgang durch die Ateliers von vier KünstlerInnen mit Südtiroler Wurzeln organisiert. Sofia, Sarah und ich waren für franz live dabei. Atelierwanderung Wien 01Ausgangspunkt der Atelierwanderung ist das Atelier von Sissa Micheli: Objektive Korrelate mit Titeln wie “I want to be a Russian chick” oder “I want to be a patriot”, mit Eistütenstädten und dem Senat der Pinocchien (“cono, coni, Berlusconi” als Hinweis der Künstlerin), Fotogrammen von Fallschirmen und Perücken, beeindruckenden Fotos von Menschen und Dingen, die durch eine Brunecker Villa fliegen und beim Betrachter die drängende Frage hinterlassen: “Wie hat sie das nur gemacht?”, mit installativen Arbeiten mit Bergen aus Rettungsfolien. Die gebürtige Bruneckerin gibt uns eine Einführung in ihr umfangreiches Werk, das sich zwischen Objektkunst, Fotografie, Video und Installation bewegt.Atelierwanderung Wien 02Das meiste seien mittlerweile Auftragswerke, für Eigenes bleibe wenig Zeit. So auch die heuer eigens für die Medienfassade des Museion entwickelte Arbeit “Art Theft Reversed”, bei der man im Sinne einer optischen Täuschung glaubt ins Museum reinsehen zu können und die schwarz vermummte Künstlerin bei einem Kunstraub zu beobachten. Nur dass sie nicht wirklich etwas stiehlt, sondern vielmehr etwas ins Museum hineinschmuggelt: den zusammengeknüllten Absagebrief des MoMA an den damals noch unbekannten Andy Warhol, der dem Museum eines seiner Werke schenken wollte. Der Brief dient sozusagen als Manifest für die Kunst. Wenn sogar jemand wie Andy Warhol anfangs abgelehnt wurde, sollte man sich nicht entmutigen lassen. Im Finale des Videos wird die vermeintliche Diebin von Paparazzi auf frischer Tat ertappt und wie ein Star abgeblitzt. Am Ende ertönt ein Schuss und die Fassade zerbröckelt in 1000 Stücke. Atelierwanderung Wien 03Spannend auch der Ort, an dem wir Sissa Micheli in ihrem Atelier besuchen dürfen – das weisse haus: In einem ehemaligen Finanzamt bietet es 16 KünstlerInnen einen Raum für ihr eigenes Atelier. das weisse haus – ein Kunstverein, Ausstellungshaus und eine non-profit-Organisation zur Förderung und Präsentation junger Kunst – hat die Möglichkeit zwischenzeitlich die Räumlichkeiten im 5. Bezirk zu nutzen, muss keine Miete dafür bezahlen, sondern nur die Betriebskosten (die für ein solches Haus besonders im Winter auch sehr hoch ausfallen können). Neben den Ateliers gibt es dort auch Räume für wechselnde Ausstellungen. Wie lange es diesmal dauert (das weisse haus ist seit der Gründung 2007 schon mehrmals umgezogen), bis sie sich eine neue Bleibe suchen müssen, steht noch nicht ganz fest, aber die angrenzende Schule hat schon ihr Interesse an dem Gebäude bekundet.Atelierwanderung Wien 04Weiter geht es zum nächsten Künstler, ins nächste Atelier. – Die Atelierwanderung wird eher zu einer Atelierfahrt und führt uns in ein altes Fabriksgebäude tief im 10. Bezirk. Da wir die ersten sind, brauchen wir eine Weile bis wir im Gebäude das nächste Atelier finden. Dort erwarten uns schon die Künstler Gino Alberti und Benjamin Tomasi – zur großen Freude aller sogar mit KeschtnAtelierwanderung Wien 05Gino Alberti spricht von seinen Bildern als Seelenbilder. Er kombiniert das Gemalte mit Schrift, Wort, Sätzen, was vielleicht daran liegen könnte, das ein kleiner Teil von ihm gerne Schriftsteller wäre. Er malt großflächig gerne in Schwarz-Weiß mit Kohle. Möglichst wenig Aufwand hierzu seine Devise. Sprache hat beim gebürtigen Puschtra mit ladinischen Wurzeln, der zu Hause zumeist Italienisch sprach, eine wichtige Bedeutung. Er spielt mit ihrer Mehrdeutigkeit wie zum Beispiel beim Bild mit der Aufschrift ANCORA (weiter & Anker) sowie mit Archetypen und dem kollektiven Unbewussten, so ist z. B. ein wiederkehrendes Motiv in seinen Bildern das Meer – Seelenzustand, in dem wir uns bewegen.Atelierwanderung Wien 06Seine kleinformatigen Arbeiten sind meist Tuschezeichnungen, die wie Storyboards wirken und oft chaotisch wie in einem Traum. Neben Schwarz-Weiß kommt dort auch häufig orange als Signalfarbe vor. Sie scheinen teilweise wie Sequenzen aus einem Komik und manchmal dienen auch Kindheitserinnerungen als Vorlage, die er dann verändert (Detail am Rande: Gino Alberti hat früher Kinderbücher illustriert). Seine kleinformatigen Bilder zeigen oft auch Alltagsmotive wie eine Kaffeemaschine kombiniert mit Begriffen oder Texten aus Zeitungen, die er verändert oder eigenen Gedanken, wodurch das ursprünglichen Motiv eine verwandelte Bedeutung erlangt.Atelierwanderung Wien 07Benjamin Tomasi weist uns zu Beginn darauf hin, dass es schwierig ist über seine Kunst zu sprechen, sie zu erklären. Er versucht es dennoch. Er bewegt sich viel zwischen Performance, Sound und Musik. Kleiner Nebenhinweis: Er hat auch eine Zeit lang am Max Reinhardt Seminar studiert. Er versteht seine Kunst als Setting. In der Stadtgalerie in Bozen war eine seiner Arbeiten kürzlich Teil einer Ausstellung zum Thema häusliche Gewalt. Dort spielt eine überlange Fahne mit abstrakten Mustern eine wichtige Rolle, die aus vielfachen Übersetzungen eines Textes der WHO zum Thema Gewalt in andere Formate (durch Änderung der Dateisuffixe, sofern ich das richtig verstanden habe) entstanden sind. Es entsteht eine abstrakte Fläche, die nicht dechiffrierbar ist und die überlange Fahne hat etwas sehr Frustrierendes. 
Eine weitere spannende installative Arbeit von ihm war in der Galerie Prisma zu sehen: zwei Lautsprecher, an denen zwei Spiegel angebracht sind. Durch den unhörbaren Sound der Lautsprecher entsteht ein Bild eines leicht vibrierenden Horizonts. Eine Bewegung an der Wahrnehmungsgrenze, Wahrnehmungsschwellen, latente, ephemere Zustände. Der Betrachter ist sich nicht sicher, ob sich das Bild wirklich bewegt oder ob er nur betrunken ist, beschreibt es der Künstler. Es gehe darum, den Betrachter auf sich zurückzuwerfen, so dass dieser gleichzeitig mit sich selbst beschäftigt sei. Kunst als Transmitter.Atelierwanderung Wien 08-copyright-Adrian-Foto(c) Adrian Foto

Zum Schluss führt uns die Wanderung noch in das Atelier von Martin Pohl im angrenzenden Gebäude. Der gebürtige Vinschger erzählt uns über seine Kunst, dass ihn nicht die inhaltlichen Geschichten interessieren, sondern für ihn die Farben viel wichtiger sind als alles andere. Er habe versucht die monochrome Fläche zu zerstören, seine Bilder beinhalten maximal 2–3 Farben. Sein Thema sei auch Kunst am Bau: seine Werke hängen z. B. in Weinkellereien, im Krankenhaus Bozen und bald auch in einer Frankfurter Bank. In einer seiner letzten Serien werden immer wieder Gebirgsformationen erkannt, wobei er offen lässt, ob dies seine Intention war, schließlich gehe es ihm ja vielmehr um die Farben als um den Inhalt. Atelierwanderung Wien 09Martin Pohl erzählt uns auch über die Idee, die hinter seinem Atelier in der art’s kitchen steht. Das Gebäude gehört der Soravia Group. Neben seinem Atelier und dem seines Kollegen, die ihnen auf unbegrenzte Zeit zur Verfügung stehen, gibt es noch weitere drei Ateliers (wie z. B. das von Gino Alberti), die Künstler jeweils für ca. zwei Jahre nützen können. Miete bezahlen sie keine, sondern geben stattdessen immer wieder Kunstwerke ab, da der Eigentümer selbst ein großer Kunstsammler ist. Tolle Gelegenheit und leider selten geworden heutzutage, so einen Mäzen zu haben, meint Martin Pohl. Atelierwanderung WienAm Ende haben wir beim gemütlichen Ausklang des Abends mit Gerstsuppe im Atelier von Martin Pohl nicht nur die Gelegenheit uns mit den KünstlerInnen zu unterhalten, sondern auch mit den Wiener Südsternen und Organisatoren David Calas und Judith Senoner, denen wir den interessanten Abend zu verdanken haben. Dabei erfahren wir auch noch einiges über das Netzwerk für Südtiroler im Ausland: dass es fast 2.000 Südsterne auf der Welt gäbe, dass Wien zur Zeit mit 163 Mitgliedern der größte Planet sei, dicht gefolgt von München. – Dass es auch thematische Planeten gäbe, z. B. einen für Architektur. Dass so eine Atelierwanderung zum ersten Mal veranstaltet würde, um mal was anderes als Törggelen oder Watten zu machen (was uns eh auch gefallen hätte). Dass es ca. 3–4 Treffen pro Jahr gäbe und für nächstes Jahr auch erstmals ein gemeinsames Sozialprojekt geplant sei. Dass es ein Jahrestreffen aller Südsterne in Südtirol traditionsgemäß am 28. Dezember gäbe. Spannend, finden wir und erkundigen uns nach den Aufnahmebedingungen: akademischer Abschluss und mindestens zwei Jahre Arbeitserfahrung im Ausland. Gut möglich, dass es nach diesem spannenden Abend bald ein paar Südsterne mehr in Wien geben wird.  

Auf dem Foto ganz oben: Bildunterschrift: v. l. n. r.: Benjamin Tomasi, David Calas, Judith Senoner, Martin Pohl, Sissa Micheli, Gino Alberti (c) Adrian Foto

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