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November 20, 2014

Verführung zur Verwirrung: Giancarlo Lamonaca, Zwischenweltensammler

Kunigunde Weissenegger
Ein Gespräch mit Giancarlo Lamonaca über ihn und sein Schaffen.

Wenn Giancarlo Lamonaca mit einer Arbeit beginnt, drängt es ihn den Raum, die Umgebung, die Architektur in sich aufzusaugen, sie sich untertan zu machen. Grenzen interessieren ihn nicht und gleichzeitig sehr, um sie im nächsten Augenblick zu übergehen, zu weiten, zu entrücken, scheinbar zu löschen. Er verführt das Publikum zu Verwirrung. Manipuliert Realitäten, taktiert mit der Zeit, spricht ihr ihre Absolutheit ab. Prinzipiell arbeitet er allein (“und das wird auch so bleiben – für mich ist es schwierig, mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten”), hat klare Vorstellungen von Arbeitsweise und Ergebnis, lässt sich nicht hinein reden, diskutiert hinterher gerne mit Kurator und Publikum. Einmal installiert, schafft sein Werk im Raum Sakralität, die nicht durch andere (Arbeiten) gestört werden soll. – “Die Sakralität der Installation im Raum muss gewährleistet sein – das ist mir sehr wichtig.” Seine installativen Arbeiten dulden keine Nachbarn bzw. ist es rein logisch betrachtet, einfach nicht möglich im Raum neben seinen Arbeiten etwas anderes zu hängen oder hinzustellen. Arbeiten müssen für ihn groß sein – einige Meter – alles andere sind “Schlüsselanhänger”. – “Ein großes Werk zu sehen, begeistert mich.” 

Ein Besuch + Gespräch bei ihm zu Hause: Sein Atelier und die weiteren Lebensmittelpunkte befinden sich in Vahrn bei Brixen, dort lebt, liebt und arbeitet Giancarlo Lamonaca, Jahrgang 1973 aus Cortina d’Ampezzo, die Mutter auch Gadertalerin, der Vater aus Apulien. Hochgewachsen, schlank, Brille mit schwarzem Rand, Kleidung auch meistens dunkel bis schwarz, entspannte Besonnenheit, inspirierende Überzeugung. Giancarlo Lamonaca @ foto-forum BozenEine seiner neuesten Arbeiten @ foto-forum Bozen – Giancarlo Lamonaca (Foto: franzmagazine)

Schon als 13jähriger wusste er, dass er den Weg der Kunst einschlagen wollte: “Auf jeden Fall! Das war meine Überzeugung. Ich hätte mir nichts Anderes vorstellen können.” Eigentlich wollte er als Jugendlicher Industriedesign studieren, aber in den 80er Jahren bestand für diesen Studienzweig kein Angebot an Universitäten – es gab nur extrem teure Privatschulen. Als Basis besuchte der junge Giancarlo Lamonaca die Kunstschule in Gröden; während der fünf Jahre dort, hat sich sein Interesse für die Kunst entwickelt, ihn schliesslich mehr interessiert als das Design und diesen percorso einschlagen lassen: Er studierte Malerei an der Accademia di Belle Arti in Bologna. “Was mich auch immer interessiert hat, war die Architektur. Es ist immer noch mein Wunsch, wenn ich es mir einmal leisten kann, dies als zweites Studium zu machen. Aber nicht um als Architekt zu arbeiten, sondern einfach weil mich die Materie interessiert.” 

Ob er denn wisse, woher dieses Interesse für Design und Kunst komme, frage ich ihn? – “Ja, das weiss ich. Es klingt vielleicht etwas komisch, aber ich bin ein Autoliebhaber, damit bin ich aufgewachsen – das liegt in der Familie, mein Vater war’s, mein Bruder ist’s. Als kleines Kind habe ich im Fernsehen eine Sendung gesehen, in der es um Industriedesign ging und speziell um Autodesign. Und ich kann mich genau erinnern, dass ich so fasziniert davon war, dass ich genau in dem Moment beschlossen habe, das ist das, was ich machen möchte in meinem Leben.” – Er findet diese Zufälle, welche die Zukunft beeinflussen können, faszinierend: “Ich bin zufällig vor diesem TV-Programm gesessen… Dieses Element des Zufalls zieht sich durch mein Leben: Scheinbar zufällige Ereignisse und Entscheidungen treiben den Kurs deines Lebens in eine zunächst unvorstellbare Richtung. – Ich hätte damals nie gedacht, dass ich zu guter Letzt Künstler werden würde. Das war aber der ausschlaggebende Punkt, von dem alles gestartet ist. – Das musste wahrscheinlich so sein.” Ich frage nach weiteren solcher Momente, weil mich dieser Aspekt interessiert.Giancarlo Lamonaca @ foto-forum BozenGiancarlo Lamonaca @ foto-forum Bozen: Ohne Titel (Macello 47), 2012 (Foto: franzmagazine)

Ich habe eigentlich Malerei studiert,” nennt mir Giancarlo ein Beispiel, “obwohl mein Vater passionierter Fotograf war. Er hatte eine immense Sammlung von Fotoapparaten und hat ständig fotografiert, obwohl er eigentlich kein Fotograf war. Das war seine Passion, er hat mir schon als kleines Kind eine Kamera geschenkt, mit der ich immer fotografiert habe. – Fotografie hat für mich einfach immer zum Leben dazu gehört, schon von klein auf. Und ich hätte mir nie und nimmer vorgestellt, dass ich am Ende, nachdem ich zehn Jahre Malerei studiert habe, nur mehr mit Fotografie arbeiten würde. Das stand für mich eigentlich außer Frage, ich dachte immer, ich würde Malerei machen. Zu guter Letzt habe ich aber genau wieder dahin zurück gefunden, was ich als kleines Kind immer schon gemacht habe und wovon ich niemals gedacht hätte, damit würde ich arbeiten.”Giancarlo Lamonaca @ foto-forum BozenDetail von Ohne Titel (Macello 47), 2012 – Giancarlo Lamonaca 

Ich bezeichne mich selbst nie als Fotograf,” meint er auf meine Frage diesbezüglich, “und mag nicht so bezeichnet werden, denn ich bin keiner. Ich wäre ein absolut schlechter Fotograf. Ich benütze die Fotografie bloß für meine Zwecke.” Giancarlo Lamonaca versucht beides miteinander zu verbinden, denn die zehn Jahre Malerei hätten ihn sehr wohl beeinflusst; und die Fotografie unterwirft er seinen Zwecken und bedient sich ihrer und ihrer Techniken soweit, wie er es braucht – nicht mehr. “Wenn ich zum Beispiel Vergrößerungen machen will, fotografiere ich zumeist mit der Großformat-Kamera – für 4 x 5 Zoll Negative oder Dia mit wahnsinniger Auflösung.” Mit der Großformat-Fotografie hat er 2006 anlässlich einer Ausstellung in der Mühlbacher Klause in Südtirol begonnen, für die er 17 3×4 bzw. 3×5 Meter große Arbeiten vorbereitet hat. Der Aufwand sei zwar immens (die Kamera ist schwer, es gibt keine Automatismen, der Apparat ist kompliziert, es ist ein fundierteres Wissen notwendig, um Schärfentiefe und Tiefenschärfe usw. einzustellen –  bis mensch zum perfekten Ergebnis kommt) und das Ganze ist sehr teuer, aber es zahle sich aus, denn die Großformat-Fotografie sei die Königsdisziplin der Fotografie und das Ergebnis perfekt und beeindruckend. Was also zuerst aus Notwendigkeit geschah – dieses “Aufziehen auf Groß” von Bildern ist mit Digital nicht möglich, dafür ist Analogie notwendig – hat sich wiederum als “das musste wahrscheinlich so kommen” ergeben.

Zurück zum Studium in Bologna: Während dieser Zeit habe er viel gemalt, hauptsächlich abstrakt. Nun mache er etwas total Anderes, aber in gewissen Kursen, die er während der Studienzeit belegt hat, wie Incisione/Gravierung/Kupferstich, habe er bereits mit Fotografie gearbeitet – mit Ätzungen usw. – So hat sich langsam der Faden hin zur Fotografie gesponnen, doch zunächst hat Giancarlo Lamonaca sein Studium abgeschlossen, die Abschlussarbeit zum Thema Metaphysik in der Philosophie geschrieben. Nach Abschluss der Akademie 1998 hat er weniger gemalt, mehr nur für sich, als Meditation, ansonsten die Kunst bis 2003 aus seinem Leben völlig ausgeklammert. Nach zehn Jahren Studium war er der Sache einfach etwas überdrüssig. Nach diesen fünf Jahren ohne Kunst wurde Giancarlo Lamonca jedoch bewusst, dass ihm etwas fehlt, dass es ihm psychisch nicht gut gehe, dass er sein Leben füllen müsse.Senza-titolo-(Birgit)-2012-install-view-Giancarlo-LamonacaSenza titolo (Birgit), 2012, install view – Giancarlo Lamonaca (Foto: Giancarlo Lamonaca)

Es lag also auf der Hand, dass er wieder anfing zu malen – anfangs ohne speziellen Fokus – um wieder in diese Welt hineinzufinden. “Ich habe in dieser Zeit eher eigenartige Dinge gemalt…” fügt er nachdenklich hinzu. Nach einem Schi-Unfall, der ihn drei Monate außer Gefecht setzte, war er schliesslich zufällig einmal in der Mühlbacher Klause (die nach der Renovierung leer stand und nach einer Möglichkeit der Aufwertung suchte), wo ihm die Idee kam für das site-specific Fotografie-Projekt “point of (re)view” – und seine typische Arbeitsweise der Betrachtung und Weiterführung von Räumen und Orten als Projektion derselben: 17 großformatige Installationen reflektieren optisch und symbolisch den Ort der Klause. – Es ist somit nicht nur ein Point of view, sondern of review, weil alles schon gesehen wurde – der Betrachter steht in einem realen Raum, der fiktiv wiedergegeben wird, und wird selbst zum Teil der Installation. 

Auf meine Frage, wie er seinen Stil bezeichnen würde, meint er: “Gute Frage.” Giancarlo Lamonaca arbeitet zumeist site specific – ortsbezogen. Die Weiterführung des Ortes könnte mensch es nennen. Er steht an einem bestimmten Punkt, fotografiert einen bestimmten “Ausschnitt” eines Ortes oder Raumes, dieses Abbild der Wirklichkeit wird im richtigen Größenverhältnis gedruckt und an diesem bestimmten Ort installiert. In der Mühlbacher Klause hat dies damals alle Grenzen gesprengt, der Raum ist beinahe explodiert; die Mauer, vor der mensch normalerweise stand, war nicht mehr da – die Klause und Grenze hatte sich geöffnet und ist über sich hinausgewachsen. Giancarlo Lamonaca kalkuliert genau, damit der Übergang von der Realität in die Fiktion perfekt ist – der Raumeffekt funktioniert. Ihn interessiert die Kontinuität des realen Ortes, wo der Betrachter steht, und des Ortes der Fiktion. – Bei ihm existiert der Übergang zwischen Realem und Fiktion nicht. – Kleine Anekdote: Dass es funktioniert, zeigt sich, wenn zum Beispiel Kinder dagegen rennen, weil sie meinen der auf dem Foto dargestellte Raum gehe weiter. KunStart#40-2010-Giancarlo-LamonacaKunStart, 2010 – Giancarlo Lamonaca (Foto: Giancarlo Lamonaca)

Für die II. Trienala Ladina hat Giancarlo Lamonaca eine 3,50 x 2,80 große Installation für das Museum Ladin erarbeitet und die BetrachterInnen auf eine Reise durch Raum und Zeit geschickt. Grenzen verschwimmen, das Werk wird zum Werk im Werk… Ihn faszinieren auch Situationen wie die der verlassenen Bozner Kunst-Kermesse kunStart 2010, nachdem alle Aussteller zusammen gepackt und ihre Stände geräumt hatten. Er spielt mit Mikrokosmos und Makrokosmen und stellt sie einander gegenüber – wie für die Installation für Artfarm  in der Fabrik für Tabaktrocknung in Bonavigo 2011.Senza-titolo-(essicatoio-del-tabacco#1)-2011-Giancarlo-LamonacaSenza titolo (essicatoio del tabacco#1), 2011 – Giancarlo-Lamonaca (Foto: Giancarlo Lamonaca)

Er legt geschichts- und konfliktgeladene Orte (Ex-Nato-Basis in Natz und Bunker an Grenze Italien/Österreich in der Nähe von Innichen) übereinander und schafft scheinbar (Grenze, Kalter Krieg, Bunker, Atombomben…) Poetisches und Romantisches wie für It happens between horizons. Er macht sich 2010 auf nach Neapel, fotografiert dort für einige Tage den Müll, kehrt mit Tausenden von Fotos nach Hause zurück und schafft (durch reine, akkurate Überlagerung der Fotos – ohne Effekte wohl gemerkt!) Welten, in denen sich mensch verlieren kann und wieder zurück gerissen wird, um sich zu besinnen, dass er hier gerade Müll schön findet… – wie für die Serie “Napoli a.d. 2010“.Untitled-(Fortress)-2013-install-view-Giancarlo-LamonacaUntitled (Franzensfeste) 2013, install view – Giancarlo Lamonaca (Foto: Giancarlo Lamonaca)

Die Serie Nubi lässt seine Begeisterung für die Unbeständigkeit der Wolken erahnen: “Ich war immer schon fasziniert von Wolken. Ich bin auch einer, der mit dem Kopf gern in den Wolken ist. Ich kann nicht behaupten, dass ich die Füße auf dem Boden hätte – bin aber gezwungen, mich wieder zu verankern, weil ich konkret Arbeiten verwirklichen muss. Ansonsten bin ich jedoch extrem luftig im Kopf, manchmal zu viel. Deshalb liebe ich afrikanische Länder, weil ich mich dort so geerdet fühle wie sonst nirgends – dort entschwebt mein Kopf nicht so wie hier.” 

Wenn Giancarlo Lamonaca eine Arbeit abgeschlossen hat, in allen ihren Facetten absorbiert und auch veröffentlicht hat, findet er sie alt und uninteressant, will sie vergessen. Andiamo avanti und oltre, auf zum Nächsten. 

Die Ausstellung “nulla accade veramente” ist bis 22.11.2014 in der Galerie foto-forum in Bozen zu sehen.

(Foto ganz oben: Giancarlo Lamonaca mit einer Besucherin in der Galerie foto-forum vor einer seiner neuen Arbeiten – franzmagazine)

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