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October 17, 2014

Gesichter und Geschichten am Bozner Obstmarkt

Kunigunde Weissenegger

Da ist der Mann, mehr oder weniger reiferen Alters, mehr oder weniger lebenserfahren, häufig verwirrt, immer in (seinen) Gedanken, stets auf der Suche nach seiner Brieftaube… Da ist die Stadt-Tussnelda mit Fuffi-Hund (und ihre Freundin, ebenfalls mit Fifi-Hund), gestresst von den vielen Leuten. Von den vielen, vielen, den wirklich vielen Leuten, die sich auf dem Platz tummeln und immer – wirklich immer –  mit ihr – genau mit ihr – reden wollen. Reden! Und sie mit Geschichten (und Gedichten) zutexten. Dabei will sie doch nur… – ja, was will sie denn? –  Ihre Ruhe haben? Einen Kaffee trinken? Über den Platz schlendern und nix denken? Mit Fuffi Gassi gehen und Pflastersteine zählen..? – Die Sonnenbrille dient jedenfalls zum Schutz – aber nicht vor der Sonne… …und wer weiß, vielleicht träumt auch sie manchmal von einem schützenden Kopftuch, das sie tief in die Stirn ziehen kann, und von einem Schal, der sie bis über die Nase bedeckt nicht nur vor Wind und Wetter schützt… Und da sind auch sie: viele (sind es wirklich so viele?) bittende Hände, die von weit her gereist kommen – und ganze Bücher und Romane schreiben könnten – wenn sie denn dürften… Volti di piazza Erbe - Carambolage franzmagazineDa ist dann auch noch die Kellnerin aus… – aus einem Ort in China. Von weit, weit her kommt sie. Und sie kann wirklich viel erzählen und schön lächeln – auch ein wenig über die SüdtirolerInnen hier und ihre Sprach-, (Ver-)Sprech- und ständigen Verständigungsangelegenheiten, wenn wir das mal so heißen mögen… Da ist dann noch das Pärchen – der Walsche und die montanara – und sie verstehen sich absurder Weise (!) trotzdem und sind sehr verliebt. Da ist auch der Marktstandler, der aufmerksam zuhören kann und verschwindet, auftaucht, verschwindet, aber trotzdem immer da ist, und hinter den Kisten mit Obst und Gemüse beobachtet wie ein weise Eule. Da ist der Mensch (Bauer oder Schnitzer oder Messner) aus einem Tal irgendwo nördlich von Bozen – er spricht jedenfalls eine andere Sprache –, der wunderbar schöne Stadtfrauen bezirzen bewundern kann. Natürlich sind da auch Touris und ihre Begleitung mit Regenschirm in der Luft, hektisch, neugierig, komisch. Und da ist der liedermachende Vagabund, frei und froh, und der gestresste Bürohengst, ebenfalls mit großen Ambitionen zum Aussteigertum. Und da ist auch diese andere Frau, von weiter östlich als Osttirol, die sich endlich entschließt, in ihr Leben zu stürzen, sich auf den Weg und die Suche macht… (so gesehen, könnten wir uns auch von ihr etwas abschauen…) …und, wer weiß, findet.Obstmarktgeschichten - Brigitte Knapp - Carambolage franzmagazineWie in allen guten Geschichten geht es um die Liebe – um die Liebe zum Platz, um die Liebe zur Luft dort zwischen Marktstand und Haustür, um die Liebe zwischen diesem Menschen und jenem, um die Liebe zu sich selbst. Und es geht auch darum, worum es in allen guten Geschichten gehen sollte: um das Gemeinsame, um den anderen und um die andere und um ihre Leben.

Brigitte Knapp ist es gelungen, aus scheinbar klischeehaften Anekdoten Menschen und ihre verschiedenen Geschichten herauszukristallisieren, diese in den Mittelpunkt zu stellen und zu einem Portrait zu formen. Die Autorin startet bei Belanglosigkeiten, ist aber imstande die persönlichen Lose und Eigenheiten der Obstplatz-Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Klug gesetzt und eingespielt auch der Einsatz der Videoaufnahmen von Linda Röhl, die manchmal Bühnenmittelpunkt sind oder manchmal im Hintergrund beiwerklich laufen und untermalen, aber niemals stören, nerven oder überflüssig wirken.Obstmarktgeschichten - Carambolage franzmagazineDeutsch, Italienisch und Ladinisch – der Gebrauch der verschiedenen Sprachen wirkt nicht aufdringlich oder pseudo. Die Sätze und Worte fließen ineinander über, spontan und locker –  wie im “echten” Leben eben… Ausdrucksstark, absolut mitreißend (beinahe hätte ich am Ende sogar geweint) zieht das Spiel von Flora Sarubbo, Antonia Tinkhauser, Paul Demetz und Stefano Pietro Detassis das Publikum zuerst auf die Bühne, hinein in den Ereignisstrudel und weiter auf den Obstmarkt, hin zu den Menschen und ihren Gesichtern und Leben. Es scheint so, als hätten die vier alles selbst erlebt und nicht nur beobachtet. Volti di piazza Erbe - Brigitte Knapp - Carambolage franzmagazineAuch bei der Autorin der Carambolage-Produktion merkt mensch, dass sie seit mehreren Jahren (5) am Bozner Obstmarkt wohnen muss. So geht’s tatsächlich zu. Der Platz im Zentrum von Bozen war und ist Schmelzpunkt verschiedenster Leute, Menschen, Gesinnungen, Bilder, Gerüche und Geräusche. Il mercato di frutta bzw. der Kräuterplatz kann sich über dieses behutsame Portrait von Brigitte Knapp und das ehrliche Spiel der SchauspielerInnen freuen – in der Tat eine Liebeserklärung. Und die Menschen, die über ihn hinweg trampeln, ihn besetzen, bestaunen oder einfach nur lieben (und vielleicht im Publikum sitzen), sehen vielleicht auch einmal die anderen Seiten und beginnen zu verstehen…

Obstmarktgeschichten – I volti di Piazza Erbe ist noch am 17. und 18. Oktober 2014 in der Carambolage in Bozen zu sehen. – Weitere Aufführungen wären schön.

Alle Fotos: franzmagazine

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