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June 16, 2014
Maroc, mon amour #01: Casablanca – Europas Vorposten in Marokko
Petra Götsch
Marokko sei das neue Trendziel überhaupt, habe ich irgendwo gelesen. Total angesagt und exotisch, und als “Westler” müsste man trotzdem auf nichts verzichten. Bekannte erzählten mir hingegen von betrügerischen Händlern, Dreck soweit das Auge reicht und gar Steine werfenden Kindern. “Na dann”, murmelte ich und ging mir also Marokko ansehen.
Voller Erwartungen lande ich in Casablanca, Marokkos größter Stadt und eine der treibenden Wirtschaftsmetropolen Afrikas. Und wie jede Stadt, die sich dem Geldverdienen verschrieben hat, hat auch Casablanca keine Zeit, reizvoll zu sein. Charakterlose Paläste aus Glas und Chrom säumen die breiten Boulevardstraßen, gutaussehende Männer eilen im feinsten Zwirn über die Zebrastreifen oder sprechen in ihre Autotelefone, die Werbeplakate verkünden ihre frohe Botschaft nur auf Französisch. Casablanca, auf Arabisch Dar al Baida, kam mir überhaupt nicht marokkanisch vor. Eher wie ein nordafrikanischer Vorposten von Mailand. Ich weiß nicht, wie es anderen ergeht, aber ich finde Mailand schon in Mailand schwer genug zu ertragen – und dann in Marokko erst? Ich wollte quirlige Märkte, schreiende Muezzin, selbst nach lästigen Händlern sehnte ich mich plötzlich. Das Casablanca von Humphrey Bogart und Ingrid Bergman ist jedenfalls weit und breit nicht zu sehen. “Casa” gilt in Marokko seit jeher als liberale und weltläufige Stadt und zieht hoffnungsvolle Glücksritter aus ganz Nordafrika an. Es ist dieser extreme und unkontrollierte Zustrom über Jahre, der die einst prächtige, weiß getünchte Stadt in einen Moloch verwandelt, sie langsam an den Rand des Kollapses führt. Verlässt man die wohlhabenden Viertel, zeigt die Stadt sofort ihr hässlichstes Kleid: Verwahrloste Häuser, zusammengebrochene Fassaden, Müllberge auf den Gehsteigen, der Verputz blättert großflächig ab, heile Fensterscheiben sind die Ausnahme. Alles wirkt vernachlässigt, über allem hängt ein unangenehmer Geruch und, ich gebe zu, dass ich in diesem Moment die Gurte meines Rucksackes fester schnalle.
Es sind solche Viertel und die so offensichtlich krassen Sozialunterschiede, die Frustration und Spannungen Nährboden bieten. Das Viertel Sidi Moumen gilt als der soziale Brennpunkt der Stadt. Traurige Berühmtheit erlangte es dadurch, dass die jungen Attentäter der Casablanca-Terroranschläge 2003 und 2007 mit 45 Toten und 100 Verletzten alle aus diesem Viertel stammten. Vielleicht fühlt man sich hier von seiner eigenen Umgebung, seiner eigenen Stadt im Stich gelassen, spaltet sich von ihr ab und betrachtet sie als etwas Fremdes. Dass man etwas mutwillig zerstören würde, zu dem man sich selber zugehörig fühlt, mag ich nicht glauben.Um mich doch noch mit Casablanca zu versöhnen, besichtige ich am nächsten Tag die Moschee Hassan II., Marokkos größte und Casablancas einzige Sehenswürdigkeit. Zum Teil über dem Meer erbaut (“Gottes Thron ist auf dem Meer”), ist die einzige auch für Nicht-Muslime zugängliche Moschee Marokkos so etwas wie ein Wunder. Sie ist so gewaltig, so schön, so kühl, so licht, dass man nicht weiß, wo man zuerst hinschauen soll. Während ich ohne Schuhe durch den Mittelgang spaziere, lasse ich mir die gewaltigen Dimensionen durch den Kopf gehen: Über 100.000 Gläubigen bietet die Moschee innen und außen Platz, das 210 Meter hohe Minarett macht sie zum höchsten religiösen Gebäude der Welt. 20.000 Stahlpfeiler wurden im Meer versenkt, um die Statik zu sichern, sechs Jahre lang hämmerten und werkelten insgesamt 12.500 Arbeiter und Kunsthandwerker ununterbrochen am Bauwerk und für das Innere war das Feinste gerade gut genug: Marmor, Granit, Muranoglas, Zedernholz. Das tonnenschwere Dach kann in Minuten per Knopfdruck hydraulisch geöffnet werden und in der Mitte fließt ein künstlicher Fluss. So sollen die Betenden mit allen Elementen in Verbindung treten können. Als ich zurückblicke und andere Besucher in die Moschee eintreten sehe, die winzig wie Insekten ERscheinen, bekomme ich plötzlich eine Vorstellung davon, wie groß dieser Ort tatsächlich ist.
Über 650 Millionen Euro, Großteils finanziert durch Zwangsabgaben der Bevölkerung, verschlang dieser Prachtbau bis zu seiner Einweihung 1993. Vermutlich ließ ihn König Hassan II. nicht nur zur Ehre Allahs erbauen, sondern ein bisschen auch zu seiner eigenen…
Immer noch von der Moschee beeindruckt, breche ich nach der Besichtigung meine Zelte am Atlantik ab. Auf dem Weg nach Rabat versuche ich die unerwarteten Eindrücke der Stadt zu verarbeiten und während sie hinter meinem Rücken kleiner wird, denke ich erleichtert: Es kann nur besser werden.
Nächster Halt: Rabat – L’Ètat, c’est moi!
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