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May 21, 2014

think more about 2014 – 1 von 2:
Decrescita und aggressive Biobauern

Greta Sparer
Vom 15. bis 17. Mai 2014 hat in Brixen "think more about" statt gefunden. Wir sind in die Tage der Nachhaltigkeit eingetaucht.

Wo soll ich nur anfangen? Kurz zu mir, vielleicht erklärt das mein Dilemma: Ich bin seit fast fünf Jahren Wahlwienerin. Wien ist eine Stadt zum Wohlfühlen, tolle Leute, Weltoffenheit und die Gelegenheit, sich als Teil von etwas Großem fühlen zu können, zum Beispiel als Teil der Nachhaltigkeitsdebatte. Dann nach Südtirol zurückzukommen – Uni-Ferien, man verbringt den Sommer am Montiggler See und beim Klauben – kann schon einmal den Eindruck vermitteln, als ob in Südtirol nichts passiere. Aber dann entdeckt man franzmagazine und merkt, dass sich doch etwas zu tun scheint und dann sagt franz: „Greta, geh doch zu think more about, das wäre doch dein Thema.“ Und plötzlich ist Südtirol nicht mehr nur Berge, Seen und Apfelbäume, sondern auch ein Kreis kritisch denkender Bürger, Bürgerinnen, Unternehmer, Unternehmerinnen usw. Da gibt es dann Zusammenarbeit zwischen diesseits und jenseits des Brenners bis nach Trient und darüber hinaus. Da treffen Gemeinwohl-Experten und Innen (Jörn Wiedemann, Susanna Singer, Leonardo Becchetti u. a.) auf Biolandwirte (Harald Gasser, Michael Oberhollenzer, die Innen vermisse ich hier noch), Soziopsychologen (Harald Welzer) auf Unternehmerverbandler (Stefan Pan), ernsthaft interessierte Landtagsabgeordnete (Brigitte Foppa) auf demokratieerprobte Green-Economy-Berater (Klaus Egger) und und und. 

Ich würde zwar gern, kann aber nicht alles erzählen, was ich von der Podiumsdiskussion am Donnerstag-Abend im Forum Brixen bis zum Seminartag am Samstag in Neustift erfahren habe. Deshalb verweise ich auf die Webseite von think more about und des Terra Institutes für weitere Informationen und hier einmal mein erster Überblick, der zweite folgt:

Podiumsdiskussion am Donnerstagabend: Willkommen geheißen wurde man und frau zunächst ‘mal von einem großen Korb Fuji und einem Glaszylinder, halb mit Erde gefüllt und einem Zettel mit der Bitte zum Kompostieren der Apfelputzen. Äpfel gab es übrigens zu jeder Zeit reichlich, auch während des Kongresses am Freitag und am Samstag noch. Gute Sache; zur Fragwürdigkeit unserer Apfelüberproduktion kommen wir später noch. 
Stürzen wir uns in die Diskussion: Harald Welzer sagt, der EU-Kommissar für Umwelt habe in seiner Videoansprache (die zu Beginn gezeigt wurde) nur Blödsinn geredet, grüne Effizienz und grünes Wachstum seien eine Lüge und dass Menschen Entscheidungen treffen, die für andere, aber nicht für sie selbst zu irrationalen Handlungen führen; Commonsaktivistin Silke Helfrich erklärt das “Commoning” und dass man durch Miteinander-Reden in Summe mehr erreicht als mit Patentschutz; Stefan Pan vom Unternehmerverband findet, Welzer schließe mit seiner Art zu reden andere Ansätze von vorne herein aus, er wolle eine offene Sprache; Brigitte Foppa von den Grünen fragt, ob die “glücklichen Frühstückseier” auch in der Hotelküche glücklich sein sollten, und Uli Rubner von der SMG fühlt sich ein bisschen schuldig und spricht von “Fundis und Realos”, wobei Welzer umgekehrt etikettieren würde. 
Ja, ganz richtig, es ging heiß her, mit schnell verhärteten Fronten, aber immer noch zivilisiert. Als wären alle fünf Diskutanten und Diskutantinnen daran gewöhnt, in die “Fundi-oder-Realo”-Mühle zu geraten. Leider habe ich den Abschluss verpasst, weil ich den letzten Zug nach Bozen um halb 11 schaffen wollte. Wie das wohl die anderen Ökos gelöst haben? 

Am Freitag ging es dann ans Eingemachte: Drei bis vier Vortrags- bzw. Dialogrunden werden für je eineinhalb Stunden parallel abgehalten. Da kommt beispielsweise Leonardo Bacchetti, Experte zum Thema Ethik und Wirtschaft und fordert, da jede Kaufentscheidung eine Stimmabgabe für oder gegen gewisse Geschäftspraktiken sei, dazu auf, Konsumgewohnheiten zu überdenken: “Ci dobbiamo sporcare le mani nel mercato.”
In der Dialogrunde “Regionale Kreisläufe” beruhigt Barbara Graus von “Naturstein” einen Zuhörer, dass Stein nachwachse. Christina Larcher von Carsharing ist sich des Widerspruchs bewusst, dass es zwar gut ist, wenn ihre Autos wenig verwendet werden, dass sich das ganze Geschäft aber erst ab x monatlichen Kilometern rechnet. Aber der eigentliche Kern sei jedenfalls die Re-Definition von Besitz. Jörn Wiedemann erklärt, wie man sich mittels Regionalwirtschaft gegen Krisen wappnen kann, man nehme zum Beispiel die ReWiG München, und Moderator Klaus Egger versucht die drei doch sehr unterschiedlichen Thematiken auf einen gemeinsamen, praktisch umsetzbaren Maßnahmenkatalog zu bringen. Kein leichtes Unterfangen, wie sich herausstellt. think more about Tage der Nachhaltigkeit 2014 - Silke Helfrich“think more about” Tage der Nachhaltigkeit 2014: Silke Helfrich

Dann gibt es gutes, lokales, vegetarisches Essen, weil Fleisch ja doch sehr CO²-undankbar ist, und anschließend kann man sich von Maurizio Pallante, Autor von “Decrescita felice” und Gründer der gleichnamigen Bewegung, aus dem Postmittagessenkoma holen lassen. So viel Herzblut habe ich mir beim Thema Decrescita (Wachstumsrücknahme) nicht erwartet: Güter müssen keine Waren sein, Waren müssen keine Güter sein: “Certi beni non saranno mai merci, come il tempo con la famiglia”, so Pallante. Und: “Wir nennen es Fortschritt, wenn wir nichts mehr selber machen können und folglich alles kaufen müssen”, “Non siamo la società del benessere, ma del tanto avere. E si deve creare malessere perché altrimenti non si compra.” (Anmerkung: Pallante hat ausschließlich Italienisch gesprochen.)

Nach der Kaffee- und Briochepause wechseln wir zu meiner mit Abstand liebsten Gesprächsrunde: Der landwirtschaftlichen. Wenn Michael Oberhollenzer vom Moserhof anfängt zu erzählen, was er seit seinem Berufsstart als Bauer immer wieder Neues ausprobiert hat, klingt das plötzlich ganz einfach: Die Landwirtschaft in Südtirol biete mehr Möglichkeiten als Äpfel, Wein und Milch, den drei landwirtschaftlichen Produkten, von denen uns am meisten für den Export übrig bleibe, während wir, zum Beispiel, jeden Kohlkopf einkaufen. Aber das Problem sei, dass man sofort auf Hürden stoße, wenn man etwas anders machen will. Der Tierarzt wusste zum Beispiel nicht, wie das mit dem Gänseschlachten auf dem eigenen Hof ist. Aber Oberhollenzer hat weitergemacht, um von dem vorhandenen System weniger abhängig zu sein. 
Etwas anders gemacht hat auch Rudolf von Berg, Betreiber der Meraner Mühle, als er sich vor vier Jahren bereit erklärte, am Projekt “Regiokorn” teilzunehmen, in dem das TIS versucht, Südtiroler Bauern zum Getreideanbau zu motivieren. 
Und mit Getreide beschäftigt sich auch Harald Gasser, der ohne irgendeine Ahnung von dem zu haben, was er tat, einfach ‘mal 200 alte Getreidesorten in seinem Garten säte, als Hobby und Abwechslung zu, Sozialbetreueralltag, und der heute mehrere Köche und Köchinnen in Südtirol, Österreich, Deutschland und Norditalien mit Getreide, Gemüse etc. beliefert. Sein Rezept ist die Mischkultur, ohne Chemie, um seinen Kindern keinen Sondermüll zu vererben
Oberhollenzer stimmt dem gleich zu: “Man muss nicht so viel spritzen und düngen, man kann halt nicht 30 Jahre lang dasselbe anpflanzen.” Und das Problem sei, meldet sich Silke Helfrich aus dem Publikum, dass die Anerkennung des Staates fehle für neue Ideen in der Landwirtschaft, dass einem ganz im Gegenteil Steine in den Weg gelegt würden. Oberhollenzer sieht ein Problem darin, dass viel mehr in die Forschung für den konventionellen Anbau als für den biologischen investiert werde. Brigitte Foppa – das Publikum war auch noch hochkarätig – steuerte ihre Landtagsanekdote bei, worin ihr Antrag im Landtag, den Boden von Südtiroler Schulhöfen auf Pestizidrückstände zu untersuchen, in eine Diskussion über die angebliche Aggression der Biolandwirtschaft ausartete. Um aber nicht mit Aggression, sondern mit einer Kompromissbestrebung zu enden, hier noch das Zitat eines Zuhörers, der Lehrer an einer Landwirtschaftsschule ist: “Unter den Schülern gibt es auch oft diese Spannungen, ob biologischer und konventioneller Landbau. Und ich würde den Bauern (in Mals – wegen der Kontaminierung mit Spritzmitteln) dasselbe vorschlagen, wie meinen Schülern: Man kann sich nicht erwarten, dass jemand aus dem konventionellen Anbau von einem Tag auf den anderen auf Biologisch umsteigt. Aber man kann kleine Schritte machen, indem man beispielsweise die konventionellen Landwirte bittet, etwas weniger Mittel zu spritzen.”

Das war der erste Happen. Im zweiten Teil zu “think more about 2014″ erfahrt ihr u. a., warum bei Professor Stefano Zamagni die Tugend die Sünde um Verzeihung bitten muss, warum ein Tiroler und ein Südtiroler Green Event nicht dasselbe sind und wie barrierefreier Tourismus ausschauen sollte.

Foto oben: das Publikum am 15.5. im Forum von “think more about” Tage der Nachhaltigkeit 2014

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