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May 12, 2014

Die Dichterin der Sünde: Forough Farrokhzad

Christine Kofler

“The House is Black” war der Titel des Dokumentarfilms, der den Jungen Hossein Mansouri von einem Lepra-Ghetto in ein Haus südlich von Teheran führte, der Film hat ihn, vielleicht, wahrscheinlich, gerettet. Ganz sicher wäre sein Leben anders verlaufen, hätte es “The House is Black” nicht gegeben.

Iranische Ikone der Freiheit

Gedreht wurde dieser berührende und preisgekrönte Film von der persischen Dichterin Forough Farrokhzad. Es sollte ihr einziges Filmdokument bleiben – die Poetin starb bei einem Autounfall 1967, zwölf Jahre vor der Islamischen Revolution, nur 32 Jahre jung. Doch diese 32 Jahre genügten, um zur iranischen Ikone der Freiheit zu werden. Noch vier Jahrzehnte nach ihrem Tod tragen Iraner auf Protestkundgebungen Plakate mit ihrem Konterfei und feiern Sie als Heldin, die sich selbst vom Schah nicht einschüchtern ließ. Heute, Jahrzehnte nach der Revolution, werden ihre Gedichte im Iran noch immer zensiert. Trotzdem sagen sie junge Mädchen leise vor sich hin.Eine Stimme, die Zensur überdauert

Mit Farrokhzad schrieb erstmals eine Iranerin über das Begehren und die Liebe der Frau, sie brach mit Versen gesellschaftliche Konventionen, Ihr frühes Gedicht “Die Sünde” löste in Teheran Empörung aus. Ihr letzter Gedichtband “Lasst uns an den Beginn der kalten Jahreszeit glauben” kritisiert das enge gesellschaftliche Korsett iranischer Frauen und stellt dem traditionellen Bild der stummen und gefügigen Frau Sehnsüchte und Wünsche entgegen. Mit dem Lyrikband “Rebellion” bezog sie auch klar gesellschaftspolitisch Stellung. 

Heute gilt Farrokhzad als wichtigste Dichterin der modernen persischen Lyrik. Nachdem Ihr erstes Gedicht veröffentlicht wurde, musste sie sich scheiden lassen – die junge Poetin wurde persona non grata, das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn erhielt der Ehemann. 1956 flüchtete sie vor den Anfeindungen nach Europa, nach ihrer Rückkehr verliebte sie sich in einen verheirateten Mann, einen iranischen Filmemacher, und wird seine Geliebte. Ein weiterer Skandal im Teheran der 1950er-Jahre, einer Stadt, in der der Islam aus dem 14. Jahrhundert und das moderne 20. Jahrhundert Tür an Tür wohnten.Hossein Mansouri - Literatur LanaHossein Mansouri

Behalte den Flug im Gedächtnis / Der Vogel ist sterblich”

Am Freitag,  9. Mai 2014 las der eingangs erwähnte Junge, der heute ein Dichter ist und in Deutschland lebt, Hossein Mansouri, im Rahmen von Literatur Lana aus seinen deutschen Gedichtübersetzungen  seiner Adoptiv-Mutter Farrokhzad. Während der Dreharbeiten zu “The House is Black”, dem Dokumentarfilm über das  Lepra-Dorf  im Norden Irans, wuchs Mansouri, der wegen der Krankheit seines Vaters dort lebte, der Dichterin ans Herz – sie adoptierte ihn. Er verbrachte den Rest seiner Kindheit bei Ihr in Teheran, fühlte sich sofort wohl in seiner neuen Familie und lebte doch in zwei Welten. Der einfühlsame Dokumentarfilm “Mond Sonne Blume Spiel” von Claus Striegl, der ebenfalls am Freitag-Abend gezeigt wurde, porträtiert diese Geschichte von Mansouri und Farrokhzad. Haltlos und beziehungslos hätte er sich später oft gefühlt, erzählt Mansouri im Film, und es hätte gedauert, bis er sich mit seiner eigenen Lebensgeschichte auseinandersetzen konnte.“Behalte den Flug im Gedächtnis / Der Vogel ist sterblich” sind die letzten Zeilen des Gedichtes, das Forough Farrokhzad vor Ihrem Tod geschrieben hatte. Manchmal ist Dichtung nicht nur schön, sondern beinahe prophetisch.

Literaturtage Lana: Ende Mai gibt es die Fortsetzung des Schwerpunktes zur Literatur des Vorderen Orients. Am 30. und 31. Mai 2014 wird zwei Tage lang die arabische Lyrik im Mittelpunkt stehen. Mehr dazu: www.literaturlana.com.

Fotos: Literatur Lana – ganz oben: Forough Farrokhzad

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