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May 10, 2014

#diskursiv: “Die Menschen von Lampedusa” mit Gilles Reckinger

Wolfgang Nöckler
Vor einigen Tagen in der Bäckerei, Innsbruck

Mit der Veranstaltungsreihe #diskursiv will das Kulturkollektiv Contrapunkt an der Schnittstelle von Theorie und Praxis Unsichtbares sichtbar machen, Ausgeschlossenem eine Sprache geben und andere Perspektiven vermitteln. Am 6. Mai 2014 war der Start der Reihe mit einem Vortrag bzw. einer Lesung von Gilles Reckinger über die Menschen von Lampedusa.

Gilles Reckinger ist ein Ethnologe und er bewegt sich viel beim Erzählen. Ob das wegen den bewegten, den bewegenden Inhalten ist? Über Lampedusa weiß man ja gemeinhin nur das, was die Zeitungen oder Fernsehbilder zeigen. Und wieso die Bilder zeigen, was sie zeigen, wieso es auf Lampedusa so ist, wie es ist – nicht aber auf anderen Inseln im Mittelmeer, das weiß kaum jemand. Es gibt welche, die näher dran sind an Afrika, doch da ist die Lobby der Reichen zu stark (da passen Flüchtlingslager also nicht hin), oder andere, die in Frage gekommen wären. Es gab Gründe, wieso Lampedusa die Insel der Wahl wurde, zu trauriger Berühmtheit gekommen und doch nicht erst seit der Schiffskatastrophe vom Oktober 2013 ein rettender Felsen mitten im Meer ist. Zynisch agieren EU und Frontex, agieren die Mitgliedsstaaten, und wenn Italien (durch Innenminister Maroni) verkündet: wir haben das Flüchtlingsproblem gelöst (Europa, küss uns die Füße!), – so wird tunlichst vermieden, die wahren Hintergründe zu erhellen, nämlich dass das nur möglich war, weil man mit Gaddafi ein gut entlöhntes “Freundschaftsabkommen” geschlossen hat und jener in Lybien ethnic profiling in großem Stil betrieb, um Flüchtlinge schon vor der Abreise abzufangen und einzusperren. Sonst müsste man zugeben: ja, die Flüchtlinge sind für eine Weile weniger geworden. Aber die Menschenrechte mussten dafür halt…

Aber nun. In Reckingers Vortrag ging es ja eigentlich nicht um die MigrantInnen. Bzw. nicht nur. Es ging auch und hauptsächlich um die ständigen BewohnerInnen der Insel. Die knapp über 5.000 EinwohnerInnen, die zu 80% arbeitslos sind, zumindest in der touristischen Zwischensaison. Jene EinwohnerInnen, die sich am 24. Jänner 2009 mit den aus dem überfüllten Lager ausgebrochenen MigrantInnen solidarisch zeigten, in deren Chor einstimmten: Euch geht es wie uns. Ihr habt nichts, wir haben nichts, Perspektiven haben andere. Unsere Insel wird dafür benutzt, Konflikte auszutragen, die nicht uns, sondern ganz Europa betreffen.

Ja, Reckinger macht keinen Hehl daraus, dass es nicht einfach ist, hinzuschauen. Und er verbirgt auch nicht, dass die EU das Problem verleugnet, durch kategorische Nichtbeachtung den Menschen ihr Recht abspricht. Dabei haben wir es mit einem geschaffenen Problem zu tun. Aber er und andere, die darauf hinweisen, sind in Straßburg nicht gern gesehen. Wie es aber den Lampedusani selbst geht und warum sie trotz tausender mehr oder weniger uneingeladener BesucherInnen keinesfalls fremdenfeindlich sind, sondern als Menschen des Meeres Verständnis haben für die Menschen, die über das Meer kommen, das konnte man erfahren bei der #diskursiv-Reihe…

Und sie geht weiter am 26. Mai 2014 mit Stefan Hebenstreit, der in der Kulturbackstube “Die Bäckerei” zur Fußball-WM, aus der Sicht der kritischen Sporttheorie, referieren wird. Ich sag, das wird ein Tooooooooooor!!

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