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May 2, 2014

Das Thema brennt! Fassbinders “Katzelmacher” in Bruneck + Brixen

Kunigunde Weissenegger

Irgendein Vorort oder Ort, irgendwo. Saufereien, Rumhängerei, Ficks, Träumereien, Dorfdisko-Anbandelungen, scheinheilige Sonntagsprozessionen. Tag für Tag für Woche für Woche für Jahr für Jahr dasselbe. Wie es sich gehört. Ordentlich geordnet. Perspektivlos. Und dann kommt Jorgos, Gastarbeiter, und bringt Chaos in diese  kleinbürgerliche Langeweile. Machtverhältnisse verschieben sich, Mädchen verlieben sich… Frust, Zorn, Hass haben endlich ein Ventil und Kastrations- und Mordpläne werden geschmiedet…  Denn, Ordnung muss sein, das lernen wir schon in Windeln – wenn’s sein muss mit Gewalt. Rainer Werner Fassbinder oder pseudonymisch Franz Walsch thematisierte in “Katzelmacher” bereits vor knapp 50 Jahren Themen, die aktueller denn je sind: Fremdheit, Unsicherheit, Gewalt, Macht, Hoffnungslosigkeit.

Joachim Goller - Hanna Gfader - Veronica RunggerJoachim Goller, Hanna Gfader, Veronica Rungger 

Die Brixner und Bruneckner Theaterensembles Rotierendes Theater und des Jugend- und Kulturzentrums UFO haben sich für dieses Bühnenstück zusammen getan. Gemeinsam haben sie das Stück unter der Regie des 22-jährigen Regisseurs Joachim Goller erarbeitet und führen die Koproduktion im Ufo und Astra auf. Am 3. Mai ist um 20.30 Uhr Premiere im Ufo Bruneck und am 11. im ex Astra-Kino in Brixen. Wir haben der Produktionsassistentin, einer Schauspielerin und dem Regisseur vorab 3 Fragen gestellt.

Joachim Goller Rotierendes TheaterJOACHIM GOLLER, Regisseur + künstlerischer Leiter (Rotierendes Theater):

Warum gehört so ein Stück schon längst auf die  Südtiroler  Bühnen?  
Es wurde viel zu lang nicht mehr gespielt. Das Thema brennt!    

Sind dir während der Erarbeitung des Stückes Parallelen aufgefallen, die du vom “perspektivlosen Vorort” und “der kleinbürgerlichen Langeweile”, “Saufen, Abhängen, Ficken und einem besseren Leben Träumen” im Stück zu Südtirol ziehen könnest? Wie aktuell ist das Stück?  
Ja, Parallelen ziehen fällt natürlich sehr leicht – vor allem wenn man mit dem üblichen “die Südtiroler sind ja so verklemmt und hinken in der Offenheit dem ganzen Planeten hinterher”-Fingerzeig daher argumentiert. Diese “platten” Parallelen zu ziehen, ist einfach, aber auch sehr uninteressant. Viel interessanter ist es, die Parallelen zu sich selbst zu entdecken: wie schnell Gewalt zur Gewohnheit wird – wie schnell Zusammengehörigkeitsgefühle ins Extreme ausarten – wie unflexibel der Mensch auf  Neues reagiert – wie schwierig die Schuldfrage zu beantworten ist – etc. Wie gesagt, das Thema brennt – in allen Generationen!!  

Was ist das Spannende an der Zusammenarbeit zweier Theaterensembles aus zwei Städten?
Das Spannende  ist,  wie schnell man in der Arbeit miteinander ein weitgehend gemeinsames Verständnis entwickelt, was aber auch vor allem der Offenheit  aller Beteiligten zu verdanken ist.  Der spannendste Teil aber glaub’ ich folgt noch: Die Aufführungen auf zwei verschiedenen Bühnen.

Hanna Gfader Rotierendes TheaterHANNA GFADER, Bühne/Kostüme/Regieassistenz + technische Leitung, Rotierendes Theater  

Warum gehört so ein Stück schon längst auf die  Südtiroler  Bühnen?  
Es ist topaktuell, und das nicht nur, weil es auch um die Ausländerfrage geht. Das Stück stellt eine einfache Frage: Was geschieht mit einem Dorf, wenn es plötzlich mit etwas Fremdem konfrontiert wird? Man sieht verschiedene Charaktere und wie sie mit ihren persönlichen Eigenschaften darauf reagieren. Von Sex bis Drogen usw. kommt alles auf die Bühne und ich finde es toll, dass sich junge Leute dieser Aufgabe stellen.

Sind dir während der Erarbeitung des Stückes Parallelen aufgefallen, die du vom “perspektivlosen Vorort” und “der kleinbürgerlichen Langeweile”, “Saufen, Abhängen, Ficken und einem besseren Leben Träumen” im Stück zu Südtirol ziehen könnest? Wie aktuell ist das Stück?  
Ich möchte das nicht nur auf Südtirol beziehen, weil es wohl auf jedes kleine Dorf zutrifft, aber natürlich ist die Parallele da. Teilweise kam es mir vor, als würde ich beim Hineingehen in eine Südtiroler Diskothek genau dieselbe Szene erleben. Mehr als einmal schoss mir ein “Scheiße, genau so ist es” in den Kopf, gerade wenn es um das Verwirklichen der Träume und das ewige “Wenn-ich-da-hinauskomme-mach-ich-das” geht.

Was ist das Spannende an der Zusammenarbeit zweier Theaterensembles aus zwei Städten?
Erstens natürlich der Dialekt, der zwei Gruppen zusammenbringt. Zweitens finde ich es immer interessant, wenn sich junge Leute, die sich nicht oder kaum kennen, zusammen raufen, gerade in Bruneck müssen wir sogar von Einzelpersonen sprechen, weil es ein UFO-Ensemble in diesem Sinne nicht gibt. Natürlich war es anfangs eine Herausforderung, die ständigen Fahrten zwischen Bruneck und Klausen zu planen, aber es hat, auch dank der guten Mitarbeit aller, gut funktioniert.

Veronica Rungger UFO BruneckVERONICA RUNGGER, Schauspielerin, Bruneck

Warum gehört so ein Stück schon längst auf die  Südtiroler  Bühnen?  
Ein Stück, wie “Katzelmacher” es ist, gehört nach Südtirol, weil es nicht nur die – schon allerorts bekannte – Ausländerproblematik aufzeigt, sondern auch darauf aufmerksam macht, dass in jedem von uns so ein “Ausländer” steckt: ein Charakterzug, eine Einstellung…, die von der Allgemeinheit nicht akzeptiert werden.

Sind dir während der Erarbeitung des Stückes Parallelen aufgefallen, die du vom “perspektivlosen Vorort” und “der kleinbürgerlichen Langeweile”, “Saufen, Abhängen, Ficken und einem besseren Leben Träumen” im Stück zu Südtirol ziehen könnest? Wie aktuell ist das Stück?  
Auch wenn R. W. Fassbinder das Stück schon 1968 zu Papier gebracht hat, hat es über die Jahrzehnte nicht an Aktualität eingebüßt. Dieser “perspektivlose Vorort” lässt sich gut auf so manche Ortschaft in Südtirol projizieren, denn wer kennt nicht die verlassenen Straßen und Häuser außerhalb der Saisonen, die Männer,  die – festgewachsen auf den Barhockern – entweder in ihr Bierglas oder auf den Hintern der Kellnerin stieren… 

Was ist das Spannende an der Zusammenarbeit zweier Theaterensembles aus zwei Städten?
Die Zusammenarbeit mit den zwei Theaterensembles ist für mich sehr bereichernd, denn man lernt neue Arbeits- und Herangehensweisen an ein Stück kennen. Außerdem entsteht aus dem Mix der beiden Ensembles – unter dem Detail liebenden Blick von Regisseur Joachim Goller – ein wunderbarer Cocktail, der frischen Wind in die Spielstätten bringt.

Die Aufführungstermine:

Bruneck // Jugend- und Kulturzentrum UFO 
Premiere: Samstag, 03. Mai 2014, 20.30 Uhr
Weitere Aufführungen: Di. 06. // Mi. 07. // Fr. 09. // Sa. 10. Mai, jeweils 20.30h
Schüleraufführungen: Fr. 09. // Sa. 10. Mai, jeweils 10h
Kartenreservierung: +39 0474 555770 oder www.ufobruneck.it  

Brixen // Astra Kino
Premiere: Sonntag, 11. Mai 2014, 20.30 Uhr
Weitere Aufführungen: Di. 13. // Mi. 14. // Fr. 16. Mai, jeweils 20.30h
Schüleraufführungen: Do. 15. // Fr. 16. Mai, jeweils 10h
Kartenreservierung: +39 348 4247861 von Mo–Fr 17–20h

 Katzelmacher Rotierendes Theater Brixen + UFO BruneckFoto: Rotierendes Theater

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