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April 28, 2014

Astra la Vista: Die Rückkehr des Punk ins Brixner Kino

Kunigunde Weissenegger

“Wir verstehen uns als Initiativbewegung, und zwar nicht, um jetzt das Ruder an uns zu reißen, sondern um anderen jungen KünstlerInnen, MusikerInnen, OrganisatorInnen eine Inspiration zu sein, ihnen Mut zu geben, sich zusammen zu schließen und selbst aktiv zu werden, um ihre eigenen, selbstorganisierten (wenn man so will “punkigen”) Veranstaltungen auf die Beine zu stellen, ohne den Profit als Bedingung zu setzen oder auf die Gelder des Landes hoffen zu müssen oder auf die immer gleichen Sponsoren angewiesen zu sein. Und das alles nicht bloß im privaten Kämmerlein und nur für Freunde – sondern für die interessierte Öffentlichkeit!” 

Sie sind laut, sie sind neu + jung, sie sind viele, sie sind Astra la Vista, ein Kollektiv junger FilmemacherInnen und Filminteressierter, die mit unabhängigen, gegenwärtigen Filmen Schaulustige ins Kino locken wollen. Astra la Vista ist die Initiative der 3 Filmschaffenden Matthias Lintner, Anna Sophie Feichter, Martin Fischnaller sowie der 3 organisierenden + koordinierenden Mitwirkenden Jacob MuredaFlorian Dariz und Christian Mantinger. Filme werden von Matthias Lintner, Anna Sophie Feichter, Martin Fischnaller,  Ane Helga Lykka, Matthias Lang, Jörg Zemmler und Felix Comploi, Andreas Widmann & Roman Wöhl, Lorenz Ganthaler gezeigt.

Am 1. Mai 2014 um 18 Uhr geht’s also los: Durch das ehemalige Astra Kino in Brixen wird wieder Kino-Luft wehen: Den ProgrammplanerInnen von “Astra la Vista” war es wichtig, nicht eine (glorifizierte) Darstellung des Damals, sondern in erster Linie eine realistische, wenn auch künstlerisch subjektivierte Sicht auf das Heute zu bieten. Einem der Hauptinitiatoren, neben Jacob Mureda, dem gebürtigen Rittner und zur Zeit Berliner Matthias Lintner haben wir einige Fragen gestellt.Astra la Vista BrixenMatthias Lintner

Matthias, wer bist du, was denkst du?

Nach all den Jahren hier bin ich bin immer noch fasziniert von den interkulturellen Einflüssen, die nicht erst seit gestern in Berlin aufeinander wirken und die der Kulturproduktion ein widersprüchliches und deshalb umso vielseitigeres Gesicht geben, das im ständigen Wandel gehalten wird durch eine lebhafte Diskussion, die auch nicht davor zurückschreckt, wichtige aktuelle politische Themen aufzugreifen, Fragen wieder neu zu stellen und sich dagegen wehrt, hinter den Sätzen Punkte zu setzen. Oft wünsche ich mir das auch für Südtirol, vor allem für seine Jugend, die diese totmachende Phrase – “Hier läuft es eben anders” – am Ende ihrer Argumentationsketten endlich streichen sollte. Sie soll sich lieber Gedanken machen, wie es denn wirklich anders gemacht werden kann. Zum Beispiel was die Integration von “Fremden” in unser (?) kleines Paradies betrifft. Oder überlegen, was Fremdsein überhaupt bedeutet. Anderswo Elsewhere Altrove by Ane Helga LykkaAnderswo. Elsewhere. Altrove. by Ane Helga Lykka

Weil solche Fragen zu Unrecht als überstrapaziert erachtet und gemieden werden, obwohl offensichtlich ist, dass wir erst am Anfang einer Reihe von Veränderungen stehen, sind ich und das Astra-La-Vista-Team froh darüber, den Dokumentarfilm “Anderswo. Elsewhere. Altrove.” von Ane Helga Lykka mit im Programm zu haben, und hoffen damit, unseren kleinen Beitrag leisten können, um diese Diskussion wieder mit frischer Energie zu beleben. Menschenwürdige und solidarische Lösungen zu finden, bevor man zur Reaktion gedrängt wird, schützt uns letzten Endes vor billigem Populismus, einer fehlgeleiteten Form von Demokratie. Schweife ich ab?

Was wollen junge FilmemacherInnen?

Was junge FilmemacherInnen wollen, die es ernst meinen – außer dass ihre Werke von einem breiten Publikum gesehen werden, so wie etwa Musiker gehört und für ihre Arbeit geschätzt werden möchten – kann den verschiedensten Intentionen entspringen. Wollen manche eher innere Gefühle ergründen und im Kinosaal kollektiv spürbar werden lassen, so weisen andere lieber auf soziale und gesellschaftliche Zustände hin. Wobei gute Filme, meiner Meinung nach, in beiden Fällen einen eigenen Standpunkt vertreten, sich also weder verstecken noch in ihren Absichten bedeckt halten. Das ermöglicht oder zwingt den Zuschauer nämlich sich zu positionieren und sich bestenfalls mit den anderen Zuschauern darüber auszutauschen.

Giorgio - Lorenz GanthalerGiorgio by Lorenz Ganthaler

Ein Beispiel für dieses Kino, das zur Positionierung drängt und den Austausch darüber fordert, ist der Film “Kopflos” von Anna Sophie Feichter und Patrick Federa. Wenn es da in der kurzen Filmbeschreibung heißt – “dieser Film entsteht aus der Notwendigkeit gewisse Aspekte des Lebens aufzugreifen, die, obwohl sie am Rande unserer Gesellschaft stehen, erzählt werden müssen. Betroffen sind Themen wie individuelle Freiheit, Zwangsprostitution, Rassismus, Homosexualität, Intersexualität, Konfliktsituationen zwischen Moral und Justiz bei Jugendlichen und Erwachsenen” – versteht man hoffentlich, dass es diesem Film nicht um die bloße Provokation einer etwas prüden oder wenigstens gehemmten Bürgerschicht geht, sondern darum, eine Konfrontation mit diesen Themen einzufordern, weil – und wie wir finden zu Recht – konstatiert wird, dass es notwendig ist, darüber zu sprechen. Egal, ob man jetzt direkt betroffen ist oder nicht. Immerhin sind wir Teil einer Gesellschaft, in der solche Phänomene genauso reale Aspekte des (Zusammen-)Lebens darstellen wie etwa Arbeit, Spiritualität oder Migration.

5 meter Panama - Martin Fischnaller5 meter Panama by Martin Fischnaller 

Was meine Arbeit als Filmemacher betrifft, so wünsche mir, dass das sogenannte “breite Publikum” sich nicht blindlings in einen Tunnel führen lässt, in dem zur Konvention erstarrte Erzählmuster immer wieder bedient und im Grunde nur variiert werden, um sich der Gewohnheit und daraus resultierenden Gefälligkeit zu bedienen, nur um den Film in seiner Wirtschaftlichkeit von vorne herein abschätzbar zu machen. Ich wünsche mir mehr Chancen für Filme, deren Produktionsvolumen das finanzielle Risiko soweit heruntersetzen, dass das Kino wieder mutiger, die Kompromisse und Zugeständnisse kleiner und die Möglichkeiten, wie wir mit dem Medium kommunizieren, heterogener werden können. Diese Überlegungen beschäftigen mich in allen meinen Filmen. Doch leider führen sie oft zu Unverständnis im Publikum, weil es da eben viele gibt, die meinen, hier gelte es etwas zu verstehen, was sie nicht zu verstehen in der Lage wären. Dabei ist es nur das Symptom dieser Vereinheitlichung der Kinosprache, das sich bemerkbar macht, oder die Grenze, die ich zu weiten versuche.

Comfort Zone - Matthias LintnerComfort Zone by Matthias Lintner

Was wird im Astra am 1. Mai passieren? 

Bevor es mit den Filmen des offiziellen Programms los geht, zeigen wir zur Begrüßung eine kleine Hommage an das Astra, die Ende letzter Woche mit Passanten auf dem großen Graben in Brixen gedreht wurde und gerade emsig von Philipp Kaser in Form gebracht wird. Man darf gespannt sein.

Wie angekündigt zeigen wir dann nach einer kurzen Begrüßung unser Programm an ausgewählten Filmen, das wir sogar in einem kleinen, aber von Florian Dariz liebevoll gestaltetem Heftchen abdrucken lassen konnten. Es ist ziemlich straff gehalten, damit alle die gesamten Filme sehen können und es sich nicht mit einem Kommen und Gehen über den ganzen Tag verteilt. Schließlich geht es uns um die kollektive Erfahrung im Saal und über den Austausch darüber. Ich hoffe, dass unsere Gäste auch von Anfang bis zum Ende durchhalten, auch weil wir bereits mehr Leute erwarten, als es Plätze im Astra gibt. Es wäre schade, wenn eine größere Menge vorzeitig geht, auch für jene, die bei Einlass keinen Platz mehr finden, aber gern bis Mitternacht geblieben wären. Wer also pünktlich um 6 auf der Matte steht wird schon allein damit belohnt, angenehm zu sitzen. Es wird zwei kurze Zigarettenpausen geben, da werden wir streng sein, damit die Gedanken auch bei den Filmen bleiben und sich nicht in Alltagsgespräche verlaufen. Es wird Getränke geben und vermutlich auch Essen – alles auf Basis freiwilliger Spenden. Es ist wohl unnötig zu sagen, dass wir damit gerne unsere Kosten decken würden, da wir einiges aus privater Tasche zahlen. Aber da mache ich mir bei den Südtirolern keine Sorgen.Um 20.50 beginnt der letzte Film, der 108minütige “Kopflos”. Gleich im Anschluss stehen alle anwesenden FilmemacherInnen für Fragen zur Verfügung, ob als Diskussion im Saal oder Draußen in Grüppchen, das richtet sich dann nach Wunsch und Bereitschaft des Publikums. Leider können nicht alle FilmemacherInnen anwesend sein, da sich einige im Ausland aufhalten und aus verschiedenen Gründen verhindert sind, mich eingeschlossen, was ich sehr bedauere. Ich stecke grade mitten in den Vorbereitungen für meinen nächsten Film hier in Berlin. Hätten wir nicht unsere Kräfte vereint und gemeinsam an das Vorhaben geglaubt, wäre wohl alles in Sand versunken. Ich danke meinen Filmkollegen Anna Sophie Feichter und Martin Fischnaller, gleichsam den Co-Organisatioren Florian Dariz, Christian Mantinger und nicht zuletzt Jacob Mureda, der ein besonderes Talent hat, die Dinge im Gang und die Menschen zusammen zu halten. Und natürlich all den anderen, die uns unterstützt haben und die ich jetzt nicht nennen kann, weil das ein Interview sein soll und ich nicht der Bürgermeister bin. Ihr dürft euch stolz zeigen!

Wer nach alldem noch nicht ans Nachhause gehen denkt, kann sich zu den Rhythmen von John Hops und A.So Beine und Arme müde wedeln bis die Polizei kommt.

Glückstreffer - Matthias LangGlückstreffer by Matthias Lang 

Was wird an dem Abend so anders sein?

Der Ort, ein vielschichtiges Publikum, die Chance kleine Südtiroler Filmschätze entdecken zu können, eine ungezwungene Atmosphäre jenseits des manchmal etwas verstaubten, weil pädagogisch und elitär wirkenden Kulturapparates. Und was sonst immer alles reibungslos klappt, wird bei uns eben schiefgehen.

Nein, aber im Ernst: Der Unterschied liegt vor allem auf einer politischen Ebene. Wir gestalten selbst, nach eigenem Ermessen und ohne direkte Abhängigkeit vom Amt für Kultur, wo man zwar “neue Wege beschreitet”, wie es auf seiner Internetseite, Abteilung Deutsche Kultur, heißt, indem ein Teil des Kulturbeirates, der über eine Förderung entscheidet, öffentlich ausgeschrieben wurde. Dieser Beirat tagt allerdings nur drei bis vier Mal jährlich, das Antragsblatt und die 14 Seiten langen “Kriterien zur Förderung von kulturellen Tätigkeiten und Investitionen für die deutsche Sprachgruppe” wirken abschreckend und legen fachkundigen Beistand nahe. Müssen wir uns wirklich wieder durch ein Vereinswesen legitimieren lassen?

Natürlich sind auch wir nicht vollkommen frei. Wenn ich von Abhängigkeit spreche, so meine ich die Summe, die sich aus ihren Bedingungen ergibt. Nur wollten wir nicht einsehen, warum wir Parkour laufen müssen, für das Vorhaben, ein kulturelles Angebot für die Öffentlichkeit zu generieren, ohne dabei etwas verdienen zu wollen. Oder warum wir uns von Sponsoren stützen lassen sollen. Ich finde es ohnehin irgendwie unwürdig, die eigenen Werke etwa in den Räumlichkeiten einer Bank die mir R oder S anfängt ausstellen zu müssen, um sie einmal mehr als effizientere Kulturstifter dastehen zu lassen. Dort ist die Luft umso trockener.Eine unkomplizierte Form der Unterstützung ergab sich für uns dann doch, durch die junge engagierte Kuratorin Martha Jiménez Rosano zusammen mit Giovanni Melillo Kostner und dem Projekt “Open City Museum”, einer dieser “neuen Wege”, die das Amt beschreiten will. Die in diesem Rahmen organisierte Initiative “Jugend baut Zukunft” hat “Astra La Vista” in ihr Programm aufgenommen und in einem gelungenen Katalog mitbeworben. Auch die Finanzierung unserer eigenen Plakate und Flyer sind Teil dieses Entgegenkommens. Zudem hat uns Rosano einiges an bürokratischen Aufwand bei der Gemeinde abgenommenen, die rechtliche Verantwortung und die Kaution übernommen, die die Stadt Brixen für das Astra verlangt. Diese neue Initiative und ihre Idee, “Off-Spaces” zu schaffen, in der junge Leute sowie MigrantInnen die Möglichkeit bekommen sollen, positiv auf sich und dem Wert ihrer Mitgestaltung des Zusammenlebens aufmerksam zu machen, ihre Bereitschaft dazu zeigen zu können, finde ich toll. Allerdings wird sich zeigen, ob es die “im Rahmen, im Rahmen, im Rahmen…” gehaltene Utopie einer weiteren Internetseite bleibt, die sich im Corporate Design der Dachmarke Südtirol präsentiert und deren Image poliert, oder ob tatsächlich eine merkliche Veränderung spürbar wird. Ich wünsche mir Letzteres.

Das gesamte Programm ab H 18: (zum Facebook-Event geht’s hier entlang)
Kein Wort by Jörg Zemmler 
Glückstreffer by Matthias Lang
5 Meter Panama by Martin Fischnaller
Der Junior Chef by Matthias Lintner
Kopflos by Anna Sophie Feichter
(This is) where I live by Felix Comploi
Comfort Zone by Matthias Lintner 
Wolfsberg by Andreas Widmann & Roman Wöhl
Giorgio by Lorenz Ganthaler 
Anderswo. Elsewhere. Altrove. by Ane Helga Lykka

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