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April 4, 2014

Insiders oder Outsiders? Das ist die Frage! Sarah + Matteo über ihr Doku-Projekt

Kunigunde Weissenegger
Wer fühlt sich als Teil der italienischen und insbesondere der Südtiroler Gesellschaft? Wer wird hingegen davon ausgeschlossen? Das waren die Fragen, die sich Sarah Trevisiol und Matteo Vegetti zunächst gestellt haben. Der halbstündige Dokumentarfilm erzählt Geschichten junger Migrantenkinder, die in Südtirol aufgewachsen oder geboren sind. Und er wirft ein völlig neues Licht auf Südtirol.

Die Weltpremiere findet am Mittwoch, 9. April 2014 um H 15.30 während der 28. Bozner Filmtage im Filmclub Bozen in der Streitergasse  statt. Nach dieser Erstausstrahlung gibt es auch ein Gespräch mit den RegisseurInnen Sarah Trevisiol und Matteo Vegetti sowie den ProtagonistInnen und anschließend – wie es sich eben für Festivals und Premieren gehört –  einen Umtrunk und Empfang im Cafè Tivoli, in der Vintler Galerie, wenige Schritte vom Kino entfernt.  Da wir euch aber nicht bis Mittwoch warten lassen wollen, haben wir den beiden vorab einige Fragen gestellt und einige Antworten entlockt. Alle Infos zum Film und WEITERE PROJEKTIONEN findet ihr übrigens hier: franzmagazine.com/insiders-outsiders.

Sarah und Matteo, was war für euch der Anlass, diesen Dokumentarfilm zu drehen?

Vorweg genommen: Die steigende Bewegungsfreiheit innerhalb der EU-Länder scheint seit einigen Jahren das absolute Motto innerhalb der Union zu sein. Dennoch betrifft diese Freiheit nicht alle Mitglieder der europäischen Gesellschaft. In einem Land wie Italien, in dem immer noch das Prinzip der Blutsverwandschaft herrscht (ius sanguinis) und somit nur jene automatisch StaatsbürgerInnen sind, die einen italienischen Elternteil haben, wird ein beachtlicher Teil der Bevölkerung immer noch von dieser Freiheit ausgeschlossen. Wir sprechen von der sogenannten “zweiten Generation”, also von Jugendlichen die im Land zwar geboren und aufgewachsen sind, aber aufgrund ihrer ausländischen Eltern, selbst als AusländerInnen gelten. Um die Anfrage auf Staatsbürgerschaft mit dem Erreichen der Volljährigkeit stellen zu können, müssen sie beweisen, seit ihrer Geburt kontinuierlich in Italien gelebt zu haben. Soviel zum Thema Mobilität. Wer die Anfrage nicht innerhalb eines Jahres macht, muss etliche Jahre auf das Procedere warten. Und ohne Staatsbürgerschaft werden Sport- oder Schulausflüge, Stipendien, Arbeitsmöglichkeiten im In-und Ausland und vieles mehr beachtlich erschwert, geschweige denn kann das Wahlrecht beantragt werden. Stellt euch das einmal vor: Du wirst in einem Land geboren und großgezogen, das dich aber eigentlich als AusländerIn bezeichnet!

Nun zu deiner Frage: Uns lag es am Herzen die Geschichten dieser jungen Generation zu erzählen, um dem Publikum nicht nur deren persönliche Erfahrungen mit der Bürokratie und den Vorurteilen zu erläutern, sondern vielmehr alle dazu aufzufordern, sich konkret mit der folgenden Frage auseinander zu setzen: Wer ist denn nun eigentlich SüdtirolerIn und aus welchem Grund? Diese jungen Menschen sind niemals ausgewandert, kennen die lokalen Sprachen und Sitten, fühlen sich im eigentlichen Herkunftsland ihrer Eltern fremd und bezeichnen Südtirol als ihre Heimat. – Wo liegt also die Trennlinie zwischen Insidern und Outsidern und hat sie in unserer modernen, mobilen Welt eigentlich noch wirklich Sinn?

Insiders-Outsiders by Sarah Trevisiol + Matteo Vegetti 01

Wo und wie habt ihr die ProtagonistInnen gefunden? Wie schwierig ist “solche Menschen” kennenzulernen? – Niemand läuft ja zum Glück mit einem Aufkleber auf der Stirn herum…

Wir alle Leben in einem völlig bunten Alltag, in dem wir eigentlich ständig auf sehr unterschiedliche Menschen stossen, sei es nun weil sie andere Sprachen sprechen oder vielleicht andere Bräuche pflegen oder einfach nur anderer Meinung sind. Sie zu finden ist einfach. – Sie wahrzunehmen oder sich auf sie einzulassen schon etwas schwieriger. Dennoch glaube ich, dass jede und jeder sich einfach einmal in der Nachbarschaft oder im Sportclub oder in der Bar umhören kann und die Geschichten anderer, egal welcher Art, kennen lernen kann. Persönliche Beziehungen haben die Kraft eventuelle Etiketten oder Vorurteile abzubauen und den eigenen Horizont zu erweitern.

Was hat der Film eurer Meinung nach bei den Mitwirkenden bewirkt?

Erstmals kannten sich die meisten TeilnehmerInnen vor den Dreharbeiten nicht und einige von ihnen hatten sich auch niemals wirklich mit anderen jungen Menschen mit diesem Thema auseinander gesetzt. Bewusstseinsbildung ist für uns sehr wichtig und das gilt natürlich nicht nur für’s Publikum, sondern für alle TeilnehmerInnen, uns Regisseure inbegriffen. Sich mit anderen auszutauschen, neue Informationen einzuholen und sich vor allem nicht alleine zu fühlen in der eigenen Situation hilft wahrscheinlich immer, um Mut und neue Energien zu schöpfen. Zudem haben uns die TeilnehmerInnen auch stark überrascht – zum einen mit ihren persönlichen Strategien in Bezug auf Diskriminierungen, zum anderen mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der auferlegten “Opferrolle”, die sie lauthals abstreiten. Denn sie sind SüdtirolerInnen – und für sie ist das niemals ein Thema. Welche Reaktionen erwartet ihr euch vom Publikum?

Wir wollen mit diesem Film auf eine Realität hinweisen, die momentan in Südtirol, genauso wenig wie in Italien, bekannt und behandelt wird. Wenn das Publikum aus dem Kinosaal geht und sich denkt – “Na, das wusste ich nicht!” – dann ist für uns eigentlich schon ein Ziel erreicht. Wissen ist nämlich ein erster Schritt in Richtung Aktion. Und eines ist klar: Südtirol kann sich den globalen Veränderungen nicht entziehen, deshalb sollten wir uns etwas umschauen und vielleicht eines Tages mit den einfachen aber (nicht selbstverständlichen) Mitteln des Wahlrechtes auch für ein immer zeitgenössischeres Südtirol/Italien stimmen.

Was sind eure nächsten Projekte?  

Zunächst wird unser Film nun bei weiteren Events (wie etwa dem Festival delle Resistenze und dem Völkerfest) und vor allem in Schulklassen vorgestellt. Der Film ist nämlich Teil eines größeren didaktischen Projektes, das in der gesamten Provinz stattfindet. Aber dabei soll’s nicht bleiben: Soziale Themen mit medialen Werkzeugen dem grossem Publikum nahezulegen wird nach wie vor auf unserer Agenda stehen. Wir möchten dem Südtiroler Publikum schon bald einen weiteren Dokumentarfilm präsentieren.

Foto oben von Martina Jaider

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