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March 31, 2014

Kraftaktzeichnen: Thomas Sterna lässt Aktmodell kippen

Kunigunde Weissenegger

Thomas Sterna peformt wieder und erneut spielt seine Skulptur “Rolling Home” im temporären Atelier in Untermais bei Meran eine zentrale Rolle: Der Künstler beschäftigt sich weiterhin mit der Frage nach einer “realen Virtualität”. Nur diesmal geht es im Kampf mit der Schwerkraft um das Aktzeichnen: “Unsterblich bis 11013” heißt die neue Performance von Thomas Sterna und ist am Donnerstag, 3. April 2014 um 20 Uhr im temporären Atelier in Meran Untermais zu sehen (so findet ihr hin: nahe MeBo-Ausfahrt Richtung Vinschgau, Werkstättenkomplex gegenüber der Tischlerei Zöggeler in der Luis Zuegg Str. – Eingang links von Bar Ideal und Pneus Market, Albertina Brogliati Straße).

Thomas Sterna, wie nennt sich dein neues Projekt in deiner “Rolling Home” Skulptur?

Unsterblich bis 11013″ ist ironisch gemeint: Vergangenes Jahr habe ich einen Bericht über eine Gruppe Wissenschaftler gelesen, welche die Zukunft der Menschheit voraus zu sagen versucht hat. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass es uns als Spezies, wenn nichts Dramatisches dazwischen kommt, wahrscheinlich noch etwa 9.000 Jahre geben wird. Das heißt, auch wir werden vergehen und mit uns, so steht zu befürchten, unsere gesamte Kultur und Geistesgeschichte. Man muss sich diese kulturpessimistische These nicht zu eigen machen, sollte sich aber allein schon angesichts deren Möglichkeit etwas mehr in Bescheidenheit üben, wenn es um ewige Werte oder das Wahre, Gute, Schöne geht.

Was wird passieren? Was kippt diesmal?

Dieses Mal geht es im Kampf mit der Schwerkraft um das Aktzeichnen und nicht wie vor einem Jahr in der Aktion “The Perfect Kitchen Show“ um das Kochen. Dafür habe ich njun das Dachgeschoss meines drehbaren Holzhauses, das letztes Jahr noch leer stand, in ein Atelier verwandelt. Im Gegensatz zur Küchensituation 2013 sieht dieses Atelier allerdings  bereits vor dem Start der Aktion so aus wie die “Perfect Kitchen” nach der ersten 360-Grad-Drehung: Viele Dinge, wie etwa Pinsel, Farbtuben, Fotos, Bücher, Zeitschriften usw. liegen am Boden verstreut. Es herrscht ein großes Durcheinander. Mitten in diesem Chaos stehe ich, der Künstler, an einer Staffelei und versuche ein weibliches Aktmodell zu zeichnen, während sich das Haus langsam dreht. Das Publikum kann auch diesmal dank zweier Live-Projektionen an der Performance teilhaben und dabei sowohl die sich ständig verändernde Raumsituation als auch meine zeichnerischen Bemühungen mitverfolgen.Thomas Sterna - Rolling HomeIn welchem Bezug steht die Aktion zu deinem gesamten künstlerischen Schaffen?  

Mit dieser zweiten komplexen Performance in der Skulptur “Rolling Home” führe ich meine bereits 1998 begonnene und 2013 wieder aufgenommene Untersuchung drehbarer Räume fort. Mit veränderten Parametern versuche ich wiederum die Gesetzmäßigkeiten des Abstrakt-Virtuellen in die materielle Wirklichkeit zu überführen. In dieser neuen Arbeit geht es mir darüber hinaus um eine Auseinandersetzung mit dem Mythos Atelier und der Rolle des Künstlers unter den Bedingungen einer sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts ständig weiter ausbreitenden “Kunstindustrie”.

Wieso zeichnest du Akt? 

Das Aktzeichnen spielt in diesem Kontext die Rolle eines anachronistischen Pausenfüllers, dem man sich hingibt, wenn man gerade mit seiner eigentlichen Arbeit nicht weiterkommt, denn bedeutsam ist diese Tätigkeit für sich allein gesehen nur noch dann, wenn der Künstler als Bildhauer oder Maler tatsächlich mit der Darstellung des menschlichen Körpers beschäftigt ist. Die Aktion ist insofern auch Ausdruck einer gewissen Melancholie angesichts der sich für die Mehrzahl der Künstler immer weiter verschlechternden allgemeinen ökonomischen und sozialen Lage. Schließlich erweist sich inzwischen  die früher viel gepriesene Autonomie des Künstlers unter den konkreten Marktbedingungen des 21. Jahrhunderts mehr und mehr als Schimäre. Gefragt ist heute in erster Linie Flexibilität und Fitness statt Eigensinn und Unbeirrbarkeit. Nur wer sich noch an Rebellion und Subversion erinnert, empfindet in diesem Kontext  Phantomschmerzen; und dies umso mehr beim Blick auf eine Kunstbetriebselite, die sich in der Pose des auktorialen (allwissenden) Erzählers gefällt, eines Erzählmodus übrigens, den die Literaturwissenschaft bereits vor mehr als 100 Jahren als unzeitgemäßes, weil feudalistisch geprägtes Denken, beerdigt hat.

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