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March 28, 2014

2 Nächte und 1 Tag auf der Diagonale 2014 in Graz

Kunigunde Weissenegger

Diagonale, ich komme: Abfahrt Bozen, Freitag, 10 Uhr – mit wehendem Haar auf den abfahrenden Zug aufgesprungen, den leichten Koffer im Huckepack. Ankunft Graz, Freitag, 18.15 Uhr – die Frisur hält, Graz, hoffentlich, was es verspricht

Ich mag Graz. Mach mich auf den Weg Richtung Stadtmitte. Zum Zentrum des Festivals des österreichischen Films, im A… der Bubble, also dem Kunsthaus Graz. Kennt ihr die Bubble nicht, seid ihr nie in Graz gewesen. Habt ihr noch nie um 4 Uhr früh in lustigsten Zuständen auf dem Hauptplatz eine Eitrige oder ein Falafel gegessen, ebenso wenig. 

Akkreditierung abholen und Diagonale-Sackerl entgegennehmen. Wo ist was fragen. Zum Hotel latschen. Tschiep, tschiep, schnell umziehen und raus über den Markt am Lendplatz, hinüber gewschwind über die Erzherzog-Johann-Brücke (Hellau), hinein in die Stadt, kurz gestoppt am Falafel-Standl am genannten Hauptplatz, mampfend weiter Richtung KIZ RoyalKino. Der Weg ist das Ziel oder wie war das nochmal… Jedenfalls gibt’s genug zum Schauen – Hauptsache um 21 Uhr im Kino sein…

Vorweg kann ich  schon mal besserwisserisch sagen, dass ich von den Filmen, inklusive einer Menge Kurzfilme, die ich letztendlich an diesem einen Tag und in den zwei Nächten diagonalemäßig geschafft habe, drei der Siegerfilme gesehen habe – und einen fast…

Houchang Allahyari (Großer Diagonale-Preis Spielfilm) und Tom-Dariusch Allahyari © Diagonale:Alexi PelekanosHouchang Allahyari und Tom-Dariusch Allahyari bei der Preisverleihung und Entgegennahme des Großer Diagonale-Preises Spielfilm für “Der letzte Tanz” © Diagonale: Alexi Pelekanos

Der erste Film meiner Diagonale war “Der letzte Tanz” – Bester Spielfilm 2014, Leute, – von Houchang Allahyari (siehe auch Foto oben). Das nenn ich Riecher. Der Film erzählt die gemeinsame, relativ kurze, merkwürdige und zarte Geschichte der anscheinend an Alzheimer erkrankten, koketten betagten Julia (Erni Mangold) und des jungen, charmanten Zivildieners Karl (Daniel Sträßer). 5–6 Jahre habe er darum gekämpft, den Film zu zeigen. Immer wieder sei er mit den Worten “so ein Film kann nicht gezeigt werden” abgelehnt worden, meint der Regisseur im anschließend von Festivalleiterin Barbara Pichler moderierten Gespräch. Umso größer war die Freude bei der Preisverleihung am Tag darauf: Gerührt nahmen Vater und Sohn Allahyari den Preis entgegen und betonten: “Es ist wichtig, sich nicht von den eigenen Ideen abbringen zu lassen – besonders gilt das für die Jungen.” Über die fein gezeichnete Beziehung der beiden will ich nicht mehr schreiben, schaut euch den Film an, es zahlt sich aus! Der Regisseur meinte noch, er wolle einfach Geschichten erzählen, ohne Fragen nach Gut und Böse. Und: Ohne die Referenzgelder von Ute Bock (die kennt ihr doch, oder?!) wäre der Film nicht entstanden. Hauptdarstellerin Erni Mangold bekam den Diagonale-Preis für die beste Schauspielerin. Auf der Bühne meinte sie nach dem Film auf die Frage, ob sie lange gezögert habe mitzumachen, es wäre nach 200 Filmen ihr erstes geschlechtliches Filmerlebnis und darüber habe sie lange nachgedacht, doch sich schließlich dafür entschieden – ” letztendlich ist es wie Butterbrot essen”. Den zweiten Film, den ich um 23 Uhr eingeplant hatte, versäumte ich wegen des interessanten Gesprächs nach dem Film. Egal, auf zur Party zu meinen Grazer Bekannten, die Nacht ist jung…und Privatsache ; )…eigentlich wollte ich am Samstag dann “Das Kind in der Schachtelvon Gloria Dürnberger schauen, bekam aber leider nicht einmal mehr Restkarten. (Nein, ich hab nicht verschlafen!) Sehr, sehr schade, denn der Publikumspreis ging genau an diesen Dokumentarfilm, der tief in den Alltag der Regisseurin selbst eindringt: Es ist die Geschichte einer Mutter, die kurz vor der Geburt ihrer Tochter an Schizophrenie erkrankt, und einer Tochter, die in einer Pflegefamilie aufwächst und 30 Jahre später die Pflege der ihr fremden, leiblichen Mutter übernimmt. 

Dafür erklärte ich den Tag kurzerhand zu meinem Tag der Kurzfilme – Dokumentar- und Spielfilm – und zog mir zunächst das Kurzdokumentarfilm Programm 4 rein: “Im Jahre Schnee” von Clara Stern zeigt einen zugeschneiten Ort, in dem die Zeit rückwärts zu laufen scheint, Beobachtungen von banalen Dingen und von Menschen gestohlene Bilder, ein von jedem Ablaufdatum abgehobener, uninszenierter Alltag.  

Der zweite Film im Programm gewann den (von der Kirche gesponserten) Diagonale-Preis für den besten Kurzdokumentarfilm und war “Der Zuhälter und seine Trophäen” von Antoinette Zwirchmayr, die mutig von der Vergangenheit ihres Großvaters als renommiertester Zuhälter Salzburgs erzählt. “Ein messerscharfes Psychogramm eines durchschnittlichen Zuhälters,” kam aus dem Publikum als Kommentar. Im Film spielt die Jägerei eine große Rolle, über die sich die Regisseurin der Zuhälterei genähert hat: “Ich habe den Film unter dem Deckmantel der Jägerei gemacht – meine Familie  glaubt immer noch, dass ich einen Jägerfilm gemacht habe.”  Der Zuhälter und seine Trophäen © Rosa JohnDer Zuhälter und seine Trophäen” von Antoinette Zwirchmayr © Rosa John

“Riding my Tiger (A cinéma very vérité)” von Ascan Breuer war der dritte Film im Programm: Der Regisseur begibt sich auf die Reise nach Java und dort auf die Suche nach dem mütterlichen Geburtshaus und dem darin wandelnden Tigergeist – Wahrheitssuche, Migrantenschicksal, inklusive historischer Aufnahmen als Rückblenden, vor der Kamera der Regisseur selbst: “Mir war von Anfang an klar, wenn ich dieses Projekt angehe, dann muss ich vor die Kamera. – Obwohl es ein Dokumentarfilm ist, bin mit der Geschichte, die doch sehr esoterisch ist, nicht direkt ich gemeint.” – Der Dokumentarfilm als experimentelles Labor.  

Was mir während des Dokumentarfilmprogramms auffiel: Die Fragen aus dem Publikum sind sehr spezifisch, nach Kameras und Einstellungen… Nach so vielen spannenden Geschichten und Informationen brauchte ich erstmal eine Schnauf-, Ess- und Trinkpause und bewegte mich dann Richtung Schubertkino und meinem nächsten Programmpunkt “Innovatives Kino Programm 2″: 6 Filme, 66 Minuten. Dazu kurz zu jedem Film ein–zwei Sätze:

“Uns geht es gut” von Britta Schoening, Michaela Taschek, Sandra Wollner gewann den Diagonale Jugendjury-Preis: auf dem Wiener Flohmarkt gefundene Dias spinnen ohne Worte ein Ehepaaridyll der Vorkriegszeit, flankiert von geschichtlichen Hintergründen – “einzigartig” meinte die Jury. In “Kritische Räume brauchen Zuneigung” vermisst Miriam Bajtala fliegend, stampfend, hüpfend einen nie fertiggestellten NS-Presigebau in Prora auf Rügen. “Wotruba” von Thomas Draschan beschäftigt sich auch mit dem Aspekt Architektur und tastet die gleichnamige Kirche in Wien fotografisch ab. In “That has been bothering me the whole time” artikuliert Arash T. Riahi über die Performance eines verhüllten, tanzenden Körpers religiöse und politische Ambivalenzen. “Gün ve Gece” von Siegmund Skalar erzählt von einem Begehren, das nicht sein darf. Als filmisch offenes Essay erzählt Juri Schaden in “Entwürfe” vom geplanten Schubhaftzentrum für Asylsuchende in der steirischen Gemeinde Vordernberg. Uns geht es gut © Britta Schoening, Michaela Taschek, Sandra WollnerUns geht es gut” © Britta Schoening, Michaela Taschek, Sandra Wollner 

Aus dem Kino rausgeschlüpft, bleibt mir Zeit gemütlich ein Eis zu schnabulieren und Richtung Orpheum zu schlendern, wo die große Diagonale Preisverleihung stattfinden soll. 20 Uhr und es strömen Stars, Sternchen und solche wie ich ins Haus. Neben den oben erwähnten Preisen sei hier noch genannt: der Diagonale Dokumentarfilmpreis ging an “Those who go Those who stay” von Ruth Beckermann. 

Thomas W. Kiennast bekam für den zu großen Teilen in Südtirol gedrehten Alpenwestern “Das finstere Tal” den Diagonale Preis Bildgestaltung Spielfilm. Den Schauspielerpreis bekam Gerhard Liebmann (Bad Fucking, Das finstere Tal, Blutgletscher) überreicht und er meinte abschließend in seiner ironisch-kritischen Rede: “Ich habe diesen Preis verdient.” So wie er teilten sowohl Stifter als auch Jury und weitere Geehrte aus, verschonten weder die Politik noch den ORF (beispielsweise der Vertreter der Golden Girls Filmproduktion: “Wir arbeiten seit Jahren gegen eine bestimmte Wirtschaft in Österreich, nämlich die Freunderlwirtschaft.”) und wiesen immer wieder auf den Protest der österreichischen Film- und Fernsehbranche filmfernsehfreunde.at hin.Sodann hieß es nach drei Stunden Ehrung und Lob “das Buffet ist eröffnet” und “lasst uns tanzen” (hoffentlich nicht zum letzten Mal!) 

Abfahrt Graz, Sonntag, 13 Uhr – die Frisur hält auch nach diesem intensiven Diagonale-Wochenende noch, der Koffer ist etwas schwerer und voll mit Katalogen und sonstigem Kinomaterial (Huckepacktragen kannste vergessen!). Danke Diagonale, bis bald Graz!

Auf der Diagonale lief übrigens auch der neue von Tizza Covi und Rainer Frimmel: “Der Fotograf vor der Kamera” – leider vor oder nach meiner Anwesenheit in Graz.

Foto ganz obn: Der letzte Tanz © Reinhard Mayr

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