Culture + Arts > Performing Arts

December 13, 2013

Bitte berühren! – Barbara Gamper mit “Everybody Touch!” in der ES gallery

Verena Spechtenhauser

“Wo beginnt Touch? Tasten geschieht durch die Haut. Haut ist das erste Organ, welches aus der selben Membran wie das Gehirn im embryonalen Zustand wächst. Haut und Fleisch falten und entfalten sich und bilden einen Körper. Durch Haut empfindet ein neugeborener Mensch die Enden und Anfänge seines Körpers. Es ist der Ort, wo die Welt rund um diesen Körper beginnt.” – schreibt Barbara Gamper im Abstrakt zu ihrer Ausstellung “Everybody Touch!” in der Meraner ES contemporary art gallery. Wir sind neugierig geworden und haben uns mit der Künstlerin etwas intensiver über ihr berührendes Projekt unterhalten. Die Ausstellung ist übrigens bis 14. Dezember 2013 während der normalen Öffnungszeiten zu sehen und danach bis 30. Dezember 2013 nach Vereinbarung (einfach eine Email an info@es-gallery).  

Bei der Eröffnung deiner zweiten Ausstellung “Everybody Touch” in der Gallerie von Erwin Seppi hast du die Besucher buchstäblich in eine andere Haut schlüpfen lassen. Und auch in der Ausstellung selbst motivierst du die Menschen deine Werke zu berühren, mit ihnen zu interagieren, sie über die Haut zu spüren. Wie wichtig ist dir diese Interaktivität in der modernen Kunst? Ist es ein neuer Trend? 

Barbara Gamper: Mir war die Rolle des Zuschauers immer schon wichtig in meiner Arbeit. Das rührt von meiner Ausbildung im Tanz und Theater her, von der Erfahrung mit der Bühne, der vierten (unsichtbaren) Wand zwischen Zuschauer und Darsteller. Diese möchte ich in meiner Arbeit versuchen aufzuheben, egal ob im Theater, im öffentlichen Raum oder im Galerieraum. Darin geht es auch um die Erwartungshaltung des Zuschauers und eine anerzogene Art, wie wir Kunst meistens begegnen und betrachten: auf Distanz, visuell und intellektuell. Darum wird das Körperliche immer wichtiger für mich; die körperliche und sinnliche Erfahrung,  Intuition und Unbewusstsein, im Gegensatz zu Intellekt und Wissenschaft. Der menschliche Körper als Interface (Schnittstelle).
Die Interaktion zwischen Zuschauer und Kunstwerk wird also zu einem wesentlichen Bestandteil in meinem neuen Schaffenswerk. Körper und Kunstwerk werden aktiviert und bilden eine temporäre Einheit. 
Zum zweiten Teil der Frage, ich würde das vermehrte Auftreten von Performance und Interaktion im Kunstbereich eher als Notwendigkeit als Trend sehen. Ich denke, dass es einen Grund dafür gibt, dass live Acts und interaktive Werke wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen. Wir leben schliesslich einen grossen Teil unserer Zeit in digitalen Netzwerken, hinter Cyberidentitäten und Bildschirmen…es gallery barbara gamper - everybody touch!Du schreibst in deinem Abstrakt zu “Everybody Touch!”: “durch die Haut empfindet ein neugeborener Mensch die Enden und Anfänge seines Körpers”, die Haut sei “der Ort wo die Welt rund um diesen Körper beginnt”. Was symbolisiert für dich die Haut? Woher kommt dein Interesse an diesem Organ und ist die Haut nicht auch eine Art von Grenze? 

Mein Interesse spezifisch an Haut bezieht sich ebenfalls auf die Auseinandersetzung mit dem  menschlichen Körper und der Betrachtung dessen als Schnittstelle zur Technologie. Haptische Technologie baut auf die Haut als Schnittstelle zu Computern auf. Multitouchsensoren in Mouse Trackpads reagieren auf Hautkontakt. Dennoch kann der Mensch durch die Apparate oder eben den Bildschirm nicht fühlen oder empfinden. Das lässt sich im Englischen gut ausdrücken: to get a sense of something.
Auch wenn man sich vorstellen kann, wie sich etwas anfühlt, so ist es trotzdem anders, bzw. intensiver, wenn man es wirklich in Echtzeit und physisch empfindet. 
Haut ist natürlich auch eine Grenze zwischen dem Selbst und der Welt, zwischen Innen und Aussen. Haut ist Landschaft, auch eine Art Leinwand, wo Zustände des Inneren sichtbar nach Aussen gebracht werden. Haut ist nicht nur eine Oberfläche. Wenn Haut geschnitten wird, dann wird das Innere des Körpers sichtbar, das Fleisch. Es bedeutet Verletzung, vielleicht sogar Tod.

es gallery - barbara gamper - everybody touch!_Die Verbindung der Haut mit der Welt der Multi-Touch-Screen-Technologie in deinen neuesten Werken ist auch als eine Kritik an unserer Social-Media-Gesellschaft zu verstehen.  Ist es auch eine Anspielung darauf, dass die Welt der Kunst und auch die Kunst selbst immer virtueller wird?

Anstatt zu kritisieren, hoffe ich vielmehr unseren Umgang mit Technologie, Computern und Social Media zu hinterfragen. Technologie hat es immer schon gegeben, angefangen beim Feuerstein und Rad etc. … und der Mensch hat immer schon mit Technologie gelebt und sich weiterentwickelt. Ich finde jedoch, dass die heutige Technologie einen neuen Raum der Erfahrung geschaffen hat. Das Digitale und Virtuelle sind unglaubliche Errungenschaften. (Ich finde es immer wieder unglaublich verblüffend, wie Daten in Echtzeit rund um den Globus gesendet werden können…) Bis jetzt ist der virtuelle Raum nur durch den Seh- und Hörsinn erfahrbar, nicht aber durch die restlichen Sinne. Riechen, Schmecken und Tasten werden oft zu den minderwertigen Sinneskategorien gezählt. Es sind jedoch gleichzeitig jene Sinne, welche direkt zur räumlichen Nähe, zum Kontakt zu Objekten gebunden sind. Und solange wir mit (mindestens) fünf Sinnen geboren werden, werden jene Sinne auch eine Notwendigkeit der Erfahrung in sich bergen. 
Was die Kunst betrifft, soweit ich die Frage richtig verstanden habe, so glaube ich nicht, dass diese immer virtueller (digitaler?) wird. Im Moment finde ich, dass gerade der Gebrauch oder die Arbeit mit Materialien in allen möglichen Formen (Malerei, Skulptur, Textil, Performance) wieder verstärkt auftreten und das Immaterielle, Digitale und auch stark theoriebasierte Kunst etwas in den Hintergrund schieben. Ich glaube das hat mit einer Art Sehnsucht nach dem Greifbaren und auch nach Magie zu tun.barbara gamper - everybody touch!

barbara gamper - everybody touch!Kannst du uns noch kurz den Entstehungsprozess der Werke schildern (Auswahl der Materialien etc.)? 

Die Objekte in der Ausstellung sind geknüpfte Teppiche, wozu eine tufting gun benutzt wird. Das ist eine Art Pistole, durch welche die Wollfäden als Schlaufen durch eine feste auf einen Rahmen gespannte Leinwand geschossen werden. Ein sehr viel schnellerer Prozess, als das Knüpfen von Hand. Dennoch ist es ein sehr körperlicher und arbeitsintensiver Prozess, das guntufting an sich, und auch die Fertigstellung. Die Hinterseite der Teppiche muss fixiert und eine zweite Schicht aus Flaxleinwand von Hand drumherum genäht werden. Die Fäden bestehen zum Grossteil aus Wolle, Mohair, ein bisschen Nylon, Baumwolle und Seide, sowie Lurex. Die Muster der Teppiche basieren auf Makroaufnahmen von menschlicher Haut und kommen in verschiedenen ‘Hauttönen’ vor, von ‘weiss’ bis ‘schwarz’.es gallery - barbara gamper - everybody touch!

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.