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December 6, 2013

Seelenqualen eines Verlorenen: Werther im Stadttheater Bozen

Christine Kofler

Wie würde der unglücklich verliebte Werther wohl heute seinem Leiden Ausdruck verleihen? Vielleicht würde er den Namen seiner Liebsten, seiner Lotte, als Graffiti an die Wand sprayen. Oder ein eigens komponiertes und selbstgesungenes Liebeslied auf Youtube stellen. Oder in einer Disco taumelnd den Beats entgegen tanzen, um den Schmerz zu vergessen. 

So jedenfalls macht es jener Werther, den Lukas Spisser im jüngsten Stück der Vereinigten Bühnen Bozen gibt. Der Regisseur Philipp Jescheck inszeniert die Bühnenfassung von Goethes Briefroman als Ein-Mann-Show, die nach den ersten ruhigen Minuten einen immer stärkeren Sog entwickelt und die Zuschauer hinabführt in die Seelenqualen eines Verlorenen.

Bravourös meistern Spisser und Jescheck die Fallstricke eines Werkes, das über 200 Jahre auf dem Buckel hat – niemals wirkt die Sprache kitschig, das Stück altbacken, die Vorstellung langatmig. Der Zuschauer leidet mit, wenn sich Werther vor lauter Liebe lächerlich macht, vor Sehnsucht die Brust zerreißt, Liebeslieder vorträgt und mit seligem Lächeln blind gegen den Abgrund spaziert – bis er schließlich, gedemütigt und halb wahnsinnig, am Boden liegt. „Ein Strom von Tränen bricht aus meinem gepressten Herzen, und ich weine trostlos einer finsteren Zukunft entgegen“ keucht Werther dann. Er weiß, Lotte ist längst einem anderen versprochen. Und der Zuschauer weiß, Lotte und Werther, diesem Liebespaar ist kein gutes Ende beschert. 

Liebe in Zeiten des Internets

Als Goethes „Die Leiden des jungen Werther“  1774  zu Beginn der „Sturm und Drang“-Ära erschien, wurde der deutsche Dichter endgültig zum Superstar. Während die Kirche und bürgerliche Leser wenig angetan waren vom Briefroman und dem Dichter sowohl  „Verführung zum Suizid“ als auch „Störung des Ehefriedens“ vorwarfen,  entfaltete der Roman vor allem bei jungen Lesern einen enorme Strahlkraft und wurde zum Weltbestseller. Selbst Napoleon rühmte sich damit, dass er das Buch sieben Mal gelesen hatte und stets bei sich trüge.

Napoleon und Goethe sind Vergangenheit, Werther hat überlebt. Jescheck hat dessen Leiden in eine prägnante und zeitgemäße Fassung gebracht, die mitreißt. Vielleicht ist die Liebe in Zeiten des Internets ja gar nicht so anders, wie wir glauben. 

Foto: VBB/Gregor Khuen Belasi

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