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November 18, 2013

Treffpunkt Brenner – damals wie heute

Kunigunde Weissenegger
Ich hoffe, dieser Brief, den ich vom Süden aus an meinen Freund im Norden schreibe, wird seinen Weg über den Pass finden...

Lieber Georg, 

es ist ein Weilchen her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Ein Weilchen ist stark untertrieben. Es ist nahezu eine Ewigkeit. Und es hat sich Einiges verändert, würde ich hinzufügen. – Weisst du noch, wie wir uns oben getroffen haben? Du bist von der einen Seite herauf gekommen und ich von der anderen. Im Zug oder eventuell auch per Anhalter. Seltener mit dem eigenen Auto. Wie auch heute noch ist es jedes Mal eine Überraschung, welches Wetter mensch antreffen würde. Innsbruck: Regen und Wind – Brenner: Schnee. Bozen oder Brixen: Sonnenschein – Brenner: Schnee. Der Pass ist mit seinen 1.370 Metern Höhe nicht gerade hoch gelegen, sondern zählt eher zu den niedrigeren Gebirgspässen, doch dem Höhenwetter macht er alle Ehre… Das hat sich auch heute nicht geändert. 

Der Anlass dieses für dich wahrscheinlich unerwarteten Briefes ist ein kürzlich unternommener Ausflug meinerseits auf den Brenner. Auf der Fahrt dorthin huschten Gedanken durch meinen Kopf, Erinnerungen suchten sich Schlupflöcher und bauten schließlich vor meinem geistigen Auge mosaikaische Bilder. – Erinnerst du dich noch an die Zeit vor dem 1. April 1998? Brenner BrenneroWahrscheinlich tränten uns damals, wie vielen anderen, die Augen – vom Lächeln und vom Weinen: Von nun an gehörten dank Schengener Abkommen Grenzbalken und Zollbeamte, Personenkontrollen und Fahrzeugdurchsuchungen der Vergangenheit an. Italien und Österreich rückten näher zusammen, Südtirol und Nordtirol ebenso. Dieses bedeutungsvolle Ereignis “passierte” dort oben, am Brenner. Doch es ist paradox: Der Ort verlor damit an Bedeutung. Und wir verabschiedeten uns – ja, auch mit Wehmut – von einer Ära der Grenzen. – So jung sahen wir uns nie wieder, der Reiz des “Verbotenen” war weg, unsere Treffen blieben aus…Brenner BrenneroJedenfalls war ich neulich, wie gesagt, wieder einmal dort. Bewusst, meine ich. Nicht nur auf der Durchreise. Ich meine: Ich bin durch das Dorf gebummelt, habe mir alles genau angeschaut, habe mit den Menschen gesprochen (einstmals haben 1.500 hier gewohnt und gearbeitet, heute nur noch ein paar Hundert), habe im Dopolavoro zu Mittag gegessen, für den kleinen Ort überraschenderweise viele Kirchtürme gezählt, in den Geschäften und Läden gestöbert und mit ihren Inhabern geplaudert. Ich war mit dem Auto unterwegs, so konnte ich Halt machen, wo ich wollte – zum Beispiel auch beim “scalini 84 stufen”-Kunstort von Peter Kaser und Hans Winkler knapp einen Kilometer vor dem Dorf.BrenBrennero - Plessi MuseumAuf Menschen bin ich auch im neuen Plessi Museum und der angrenzenden Raststätte gestoßen: Michele hinter der Bar meinte, der Ort sei gut zum Arbeiten und Wohnen. Ich trank meinen Kaffee aus und sah mich im Museum um: Hier also hatte die für die Expo 2000 in Hannover geschaffene Euregio-Skulptur von Fabrizio Plessi endlich eine Bleibe gefunden. Das Museum, ein Projekt der A22 Brennerautobahn AG, hatte vor Kurzem während des Transart Festivals ein Konzert mit Blixa Bargeld und Teho Teardo beherbergt; die offizielle Eröffnung findet aber noch statt und zwar am 29. November 2013. 

Interessant, lieber Georg, war für mich auch, dass ich bei meinem Ausflug zwar mehr italienischsprachige Menschen getroffen habe, mir einige dort aber versicherten, dass “sich die Menschen hier mehr als Österreicher fühlen würden”. – Ja, der Brenner war immer schon ein Ort der Zweideutigkeiten und es sieht so aus, als ob er das auch in Zukunft bleiben wird… Ach, übrigens: die Eröffnung des Museums wäre doch eine gute Gelegenheit für ein Revival unserer damaligen Treffen, was meinst du…?

…so oder so ähnlich hat es sich – damals wie heute – wohl zugetragen… Erinnerungen verblassen wie Fotos, formen sich neu wie Träume…

Mehr Infos zum Museum gibt’s hier.
Mehr Infos zum Ort Brenner gibt’s hier.

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