Music

November 15, 2013

Kein Interview mit Giorgio Moroder, dafür eins mit Walter und Matthias über ihn

Kunigunde Weissenegger

Hallo Jungs, alles klar? Sicher habt ihr als eingefleischte Giorgio-Moroder-Fans mitbekommen, dass er am 23. November 2013 im Rahmen des Electronic Beats Festivals in Wien auftritt. Da wir für das Exklusiv-Interview mit ihm etwas zu spät dran sind (die 3 Slots sind schon längst voll), (außerdem gibt’s solche Interviews ja schon zuhauf ; ) ), hab ich mir gedacht, mal euch beide zu kontaktieren, da, wenn ich im aktuellen Südtirol an Giorgio Moroder denke, ihr mir einfällt (und dieser Text außerdem sicher mal was Neues ist). 

Soweit mein erstes Mail an Walter Garber (DJ Veloziped) und Matthias Mühlberger (dj mam). In einem zweiwöchigen Hin-und-her-E-Mail-Verkehr habe ich dann so einiges von den beiden, selbst DJs, erfahren. Und ich das möchte ich euch nicht vorenthalten. (Wenn ich euch einen Tipp geben darf: die Videos anklicken und nebenbei lesen ist wunderbar.)

Und Walter und Matthias? Habt ihr die Eintrittskarte schon?  

Walter: Nein, habe noch keine Eintrittskarte, leider kann ich an dem Abend nicht, da ich selbst irgendwo auflege.

Matthias schickt mir zunächst anstatt einer Antwort auf meine Frage, aber wie zur Bestätigung für den Anlass meines Mails an sie, das Foto oben: links seht ihr Walter und rechts Matthias – der auf der Platte ist übrigens Giorgio Moroder ; ) 

Dann kommt von Matthias das: Habe ich keine – wird sich bei mir nicht ausgehen zu dem Festival nach Wien zu fahren – obwohl ich sonst kaum eine Gelegenheit auslasse in meine alte Heimat zu fahren. Es würde mich auch interessieren, wie der Auftritt von Moroder abläuft und wie das wahrscheinlich doch eher junge Publikum auf den Disco-Opa reagiert. Ich finde es schon ganz gut, dass Daft Punk ihm mit ihrer neuen Platte so einen Hype beschert haben – das hat er sich durchaus verdient. Auch wenn ich nicht weiss, wie viel an seinen Auftritten er wirklich noch selbst macht. Ich habe mal ein kurzes Video gesehen, da hatte ich den Eindruck, dass das ganze eher Playback-lastig war bzw. ein anderer Typ die Technik bedient hat…

Wer ist nun der größere Giorgio-Moroder-Fan? Matthias oder Walter? 

Walter: Sowas fragt man nicht ; ) bzw. kann man nicht quantifizieren. Matthias ist vielleicht etwas abgeklärter als ich. Aber mir macht’s Spaß mich zeitweise dem Moroder-Fieber hinzugeben. Die ganze Moustache Munich Mania und so… Es erinnert halt an die 70er–80er Jahre. Aber natürlich als an elektronischer Musik interessierter Mensch bin ich schon auch ein wenig stolz auf ihn. Wer von euch beiden hat mehr Platten – allgemein und von Moroder?

Walter: Wahrscheinlich hab ich jetzt mehr Platten von ihm. Vor allem weil ich diesen Sommer von den Organisatoren des Sinstruct Festivals in Unsere Liebe Frau im Walde in Südtirol, die ja „Konzept-Sets“ wollten, gefragt wurde, ob ich zwei Stunden Moroder auflegen könnte. Natürlich hab ich sofort „JA KLAR“ gesagt; dann habe ich mir im Vorfeld das eine oder andere Album oder Maxi nachgekauft (Flohmarkt und Second Hand im Internet). Das Set kann man übrigens hier nachhören : ) (shameless self promotion). Das Set ist schon teilweise knapp oder sogar über die Kitschgrenze, doch so war unser Giorgio halt. So war auch die Zeit damals; andererseits hat er erstaunliche Tracks produziert, die heute noch genauso gut funktionieren. Mir ist es schon öfters passiert, dass ich „I Feel Love“ gespielt habe und ein 20jähriger kommt her und fragt, was das sei… Manche denken, das ist ganz neu…

Matthias: Walter hat sicher mehr Platten von ihm und ist der größere Fan, ich hab gar nicht so viele (von Moroder). Dennoch schätze ich Moroder aber sehr – er ist immerhin mit noch ein paar anderen eine Art Gründervater elektronischer Tanzmusik – eine ganz wichtige, stilprägende Figur jedenfalls. Wie sehr oft, wenn ein neues Kapitel in der Populär-Musikgeschichte aufgeschlagen wird, kam hier einiges zusammen: die Verarbeitung und Verschmelzung verschiedener Einflüsse bzw. Genres zu etwas Neuem, gepaart oder teilweise auch erst ermöglicht durch technische Innovation und die dadurch sich ergebenden neuen soundästhetischen Möglichkeiten: in diesem Fall der amerikanische R&B mit den elektronischen Experimenten des deutschen Krautrock, also Bands wie Can, Tangerine Dream, Amon Düül oder eben auch Kraftwerk, zu einer neuen Art soul-voller, repetitiver Tanzmusik, zu der sich Disco entwickelt hat, im Gegensatz zu der eher kühlen technischen Ingenieursästhetik, wie sie im Techno, der sehr viel stärker auf Kraftwerk baut, kultiviert wurde.

Walter schickt mir prompt die nächste Mail: Noch etwas könnte ich erzählen… Matthias und ich haben vor ein paar Jahren auf einer Hochzeit eines Freundes aufgelegt und da war Giorgio Moroder auch Gast. Das heißt, leider war er nicht mehr dort, als ich gekommen bin… Da die Hochzeit schon den ganzen Tag ging und wir erst abends auflegen sollten… Das tut mir heute noch leid, ich wollte ja meine Platten signieren lassen…

Matthias: Ja, das war schon etwas Besonderes: aufzulegen, wenn Giorgio zuhört (ich war bei der ganzen Hochzeit dabei und hab ihn deshalb auch getroffen). Irgendwie hat der Moroder ja auch was mit dem Vater-Unser zu tun, ich glaube er hat eine Version davon komponiert und in der Kirche ging deshalb beim Vater-Unser der Spruch durch die Bänke: Music by Giorgio Moroder. Lyrics by God.

Und wieder Walter: Noch ein Wort bezüglich Kitsch in der Musik vom Giorgio. Er hat ja viele, sehr erfolgreiche Filmmusik produziert (ich sage bloß: 3 Oscars!!!), natürlich sind da einzelne Stücke, den jeweiligen Szenen angepasst… Ich beginne ja mein Moroder-Set mit einem Pianostück, dem „Love’s Theme“ aus dem Film “Midnight Express”. – Ich konnte natürlich nicht widerstehen, bei dem Festival um 1 h nachts, mitten im Wald, vor 300 Ravern mit so etwas zu beginnen… Es war für einige sicher seltsam, doch danach kam dann zur sofortigen Wiedergutmachung „Love To Love You Baby“ und das hat die Crowd dann wieder versöhnt… und es lief dann eigentlich sehr gut. 

Matthias: Ja, dem muss ich zustimme: Vieles, was er komponiert oder produziert hat, gefällt mir absolut nicht und ist wohl teilweise auch ziemlich kommerzieller Kram – aber auch das hat er wohl sehr gut hingekriegt. Dennoch hat der Mann ein paar zeitlose Klassiker geschaffen, für die ihm alle künstlerische Ehre gebührt. Wie nahe, außer bei der Hochzeit, seid ihr ihm denn dann gekommen? Wie viele Auftritte von ihm habt ihr live mit erlebt? 

Walter: Also, wie gesagt, hab ich ihn damals leider verpasst. Schon seit Jahren versuche ich über den damaligen Bräutigam ein Treffen zu organisieren. Auch habe ich schon eine zweite direkte Verbindung zu ihm aufgebaut, über die Tochter seiner Nachbarn in Gröden. Doch Moroder ist nur zeitweise dort und die meiste Zeit in Los Angeles. Außerdem ist er neuerdings ja auch DJ und deshalb ständig unterwegs. Er hat ja erst 2012 sein erstes DJ-Set überhaupt gemacht, da er dank Daft Punk seinen dritten Frühling erlebt. Hoffentlich klappt’s im November, ihn kurz zu treffen. Ich möchte ihm hauptsächlich nur die Hand drücken und meine Platten signieren lassen.

Matthias: Also bei der Hochzeit habe ich ihm die Hand geschüttelt, sonst habe ich ihn leider nie getroffen.Und wie habt ihr Giorgio entdeckt? Erinnert ihr euch an euer allererstes Hörerlebnis?

Walter: Also, Giorgio zu entdecken war kein Problem. Ich bin ja 1968 geboren und war schon seit frühester Kindheit musikbegeistert. Ich habe immer aufmerksam Radio gehört und die Discowelle direkt mitbekommen. Wir haben immer die Sachen mit Kassettenrekorder aufgenommen. Das wurde damals im Radio ja ständig gespielt, auch Kraftwerk übrigens. „Love To Love You Baby“ fand ich auch schon als Kind total erotisch, auch wenn ich vielleicht nicht genau wusste, was das ist, aber es fühlte sich gut an. Das Stück „I Feel Love“ hat mich und alle damals schwer beeindruckt. Es war etwas grundsätzlich Neues, diese überirdische Energie. Später kamen einige seiner elektronischen Tracks auf den berühmten Cosmic Tapes vor, die wir dann in den 80ern rauf und runter gehört haben.

Matthias: Entdeckt habe ich ihn auch übers Radio – “I Feel Love” wurde Anfang der Neunziger (während meiner Oberschulzeit) offensichtlich auch bei uns ab und zu gespielt. – Ich weiss aber nicht mehr, wann und wo das genau war. Ich habe damals eigentlich vermehrt noch Punkmusik gehört, aber ich kann mich erinnern, dass es da diesen Track mit der markanten Bassline gegeben hat, der mir damals schon gefallen hat – sehr groovig und doch auch mit einer gewissen Härte; ich wusste auch irgendwoher, dass ein Südtiroler namens Moroder etwas damit zu tun hatte.  

Ein eingefleischter Fan weiss natürlich mehr als jedes gut recherchierende Medium. Wie fing bei Giorgio alles an? Was wissen wir noch nicht?

Walter: Bei Giorgio kam einiges zusammen: Talent, ein guter Techniker und ein Freak zu sein, der sich sehr für die neuen Geräte (Synthesizer) interessierte, und ein langer Atem. Und er hatte ein sehr gutes Ohr. Er kreierte einen speziellen Sound – den Moroder-Sound. Jede Band zu der Zeit, die etwas auf sich hielt, wollte auch diesen “Sound” haben… – es war nicht nur die Moroder-Basslinie, sondern der ganze “Moroder-Sound”, der neu und einzigartig war. Er wurde entweder direkt engagiert als Producer (Queen, Blondie…) oder kopiert (Rolling Stones: Miss You). Die ersten Jahre waren sicher sehr schwer (im Auto schlafen!) usw. Er schätzte die amerikanische schwarze Musik (Funk, Soul), interessierte sich aber auch für elektronische neue Musik (Krautrock, Experimentelleres). Er wollte unbedingt die neuesten Sounds ausprobieren (Moog-Synthesizer) und gleichzeitig kommerziell erfolgreiche Musik machen. Toll ist, dass er sich mehrmals neu erfunden hat. Schlager, Disco, Filmmusik! Produzent für Popgrößen wie David Bowie und andere, aber auch für Brigitte Nielsen und Falko. Hymnen für Groß-Events, Sportwagendesign usw.

Matthias: Eben genau. Skurril ist, dass er auch an der Entwicklung eines Supersportwagens beteiligt war, der “Cizeta Moroder”, der damals, ob seiner Leistung alle anderen Modelle in den Schatten stellte. Er hat übrigens ausserdem auch ein oder zwei Nina-Hagen-Alben produziert. 

Walter: Für seinen ersten Soundtrack für den Film “Midnight Express“ hat er ja bereits den ersten Oscar bekommen. In dem Film kommt der Track “The Chase” vor. Der Track ist extrem spannend und untermalt die Verfolgungsjagd perfekt. Der Regisseur hatte Moroder vorher mit der Bitte kontaktiert, solche Sounds wie bei “I Feel Love” zu kreieren. Auch der Score zu “Scarface” mit Al Pacino gilt als Meilenstein in Moroders Filmmusik-Schaffen. Seine Neuvertonung des Stummfilmklassikers “Metropolis” ist umstritten, auch Jeff Mills hat sich ja daran versucht.Und ausserdem?

Matthias: Ich finde an ihm interessant, wie er immer wieder zwischen absolutem Mainstream (Top Gun, Un estate italiana…) und coolen Underground-Sachen hin und her gewechselt hat. Das ist ein Spagat, den nicht viele schaffen ohne sich dabei zum Kasper zu machen.

Was war denn eurer Meinung nach das Beste von ihm und warum?

Walter: In meinem Mix habe ich schon versucht, viele seiner besten Stücke zu verarbeiten. Für einen Künstler ist auch immer schmeichelhaft, wenn er sehr oft von anderen gesamplet wurde (Moodymann, J Dilla, DJ Shadow, Mobb Deep, Kanye West…). – Man hört, wie bereits genannt, auch von einer sogenannten “Moroder-Bassline”.

Matthias: Für mich ist einer seiner besten Tracks ist “The Chase” aus dem Soundtrack zum film “Midnight Express”. Der bringt Moroders Qualitäten auf den Punkt: eine typische Moroder Bassline, groovig, mit einer gewissen Härte, futuristische Sounds und Melodien und das Ganze auf über 13 Minuten bestens durchkomponiert und definitiv für den Dancefloor geeignet. The Chase mag ich besonders, weil es ein rein elektronischer instrumentaler Track ist, ohne Stimmschnörkel oder herkömmliche Instrumente, so ist er ohne Weiteres auch anschlussfähig an aktuelle Technomusik – ein zeitloser Klassiker eben. Was noch auffällt, ist, dass er sehr gut produziert – ich habe den Track neulich auf eine großen lauten Anlage gespielt, wo die Musik nochmals eine ganz andere Wirkung bekommt – und irgendwie wirkte der Sound viel vielschichtiger, als es bei vielen modernen Produktionen der Fall ist. So wie ein Supersportwagen, der erst auf der Rennstrecke seine Trümpfe ausspielen kann. Das liegt wohl zum Teil daran, dass der Track mit analogem Synthesizer produziert ist, wo digitale Geräte soundmäßig oft nicht mithalten können.Und was sagt ihr zu dem, was er jetzt macht? 

Walter: Ich finde es gut, dass er jetzt als DJ unterwegs ist. Das macht sicher einen Riesenspaß. Er plant angeblich auch neue Tracks und Kollaborationen mit großen Mainstream-Acts. Damit wird er sicher auch bei den ganz Jungen noch viel bekannter. Ich werde mir das aber höchstwahrscheinlich nicht kaufen.

Matthias: Jetzt nutzt er den Hype, den er durch Daft Punk erhalten hat nochmals aus – solange es ihm Spaß macht, ist das super. Er hat es sich verdient. Musikalisch hat er zu dem Daft-Punk-Album nichts beigesteuert, soviel ich weiss. Ich denke auch nicht, dass musikalisch noch viel Spannendes von ihm kommt – aber wer weiss…

Walter: Übrigens ganz nebenbei, mit einem Freund hatte ich einmal die Idee, Fritz Langs “Metropolis” dreimal hintereinander zu zeigen: einmal mit der klassischen Klavierbegleitung der 20er Jahre, einmal mit der Musik von Giorgio Moroder und einmal mit der von Jeff Mills. Ich kann mir vorstellen, dass das ganz interessant sein könnte. Vielleicht ist es aber auch ermüdend. Ich könnte das Projekt ja einmal dem Ost-West-Club in Meran vorschlagen…

Vielen Dank, meine Herren!

DJ Veloziped könnt ihr übrigens am 20.11.2013 beim *es Aperitivo Lungo im Sheraton mit einem Disco-Set erleben.

Und falls ihr mehr von Giorgio Moroder wollt, findet ihr hier etwas Interessantes:
Electric Dreams: The Giorgio Moroder Story – Episode 1 (BBC Radio 2): www.youtube.com/watch?v=19yXd9t7aO8
Electric Dreams: The Giorgio Moroder Story – Episode 2 (BBC Radio 2): www.youtube.com/watch?v=G2VpXyishtE
Lecture: Giorgio Moroder (New York, 2013) from Red Bull Music Academy: vimeo.com/66655751

Foto oben by Matthias Mühlberger

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