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September 19, 2013

Vier gewinnt. Morgenstern Poetry-Slam – das Finale

Wolfgang Tessadri

Haris Kovacevic holt tief Luft. Ein Stück Bosnien will er in das Sudwerk in Bozen holen. Er erzählt von Mirsat, einem Mann, der sich benzingebadet anzünden will und dessen Feuerzeug nicht funktioniert. Von einem Land, in dem Feuerzeuge nicht aufgefüllt und Benzin mit Wasser gepanscht werden. Einem Land voller Fehler und Ungerechtigkeiten, dessen Ungereimtheiten es jedoch liebenswürdig machen. Er beschreibt ein Bosnien, in dem Fehler und deren Toleranz manchmal der einzige Grund für das Überleben der Menschen sind.

Applaus und Gelächter beenden seinen Auftritt. Haris ist Teilnehmer des jährlich stattfindenden Morgenstern-Finales der Poetry-Slammer Südtirols. An diesem 15. September haben sich die Besten Südtirols in Bozen eingefunden, um in einem Dichterwettstreit gegeneinander anzutreten. Die Regeln sind einfach: Jeder Slammer hat fünf Minuten Zeit, einen Text seiner Wahl ohne technische Hilfsmittel vorzutragen. Er muss damit eine Jury überzeugen, die spontan aus dem Publikum gelost wird. Diese können jeweils bis zu zehn Punkte vergeben, wobei die höchste und niedrigste Wertung wegfallen, um für mehr Objektivität zu sorgen. Die fünf Jury-Mitglieder bewerten nicht nur Kreativität und Aussage des Textes, sondern lassen auch die Körpersprache und die Rhetorik in die Wertung mit einfließen. Ein Merkmal der Lautpoesie ist es nämlich, nicht nur durch Literatur, sondern auch durch möglichst authentisch theatralische Windungen und Betonungen zum Text zu überzeugen.

So demokratisch dieses Wertungssystem auch ist, es hat doch seine Tücken und mindert immer wieder die Qualität der Texte. Ein Problem, das nicht nur dieses Südtiroler Finale, sondern auch international die Slammer-Szene durchsetzt. Während die Publikumswertung ursprünglich mehr eine Persiflage der Punktewertung ernster Literaturwettbewerbe darstellte, ist sie dafür verantwortlich, dass immer mehr Poetry Slams zum Kabarett verkommen. Teilnehmer wollen nicht mehr nur Literatur produzieren, sie wollen gewinnen – und das geht am besten mit witzigen Sätzen und zahlreichen Lachern. Dass der Poetry Slam immer stärker unterhalten und immer weniger zum Nachdenken bringen will, merkte man auch dem Morgenstern-Finale im Sudwerk an. Neben ernsteren Vorstellungen dominierten vor allem flotte Sprüche und ausgeleierte Klischees, wenn auch teils erfrischend präsentiert. Dominik Bartels brachte die Fremdwortflut im Deutschen zur Sprache, schaffte es damit ins Finale, wo er den trägen deutschen Nörgel-Touristen aufs Korn nahm. Das sorgte gewohnheitsgemäß für Gelächter. Die Rezitier-Meisterin Lene Morgenstern (Helene Delazer) legte mit einer Trenitalia-Parodie nach, in der das Fundbüro nicht gefunden werden will. Und auch in Wolfgang Nöcklers, zwar gekonnt gereimten, Beitrag verstand wieder einmal der Deutsche den Tiroler nicht.

Dass Slams aber trotz allem philosophisches Potential haben und es auch ohne Heiterkeit geht, beweist schließlich Finalist Haris Kovacevic. „Ich hasse Türschwellensteher“, beginnt er und wettert los über Leute, die sich nicht entscheiden wollen, nur um nicht sagen zu müssen, sie hätten sich falsch entschieden. Als er das Publikum auf seiner Seite hat, wechselt er Perspektive. In Adolf-Hitler-Manier schreiend, presst er die Zuschauer in ihre Sitze: „Wer ihm folgte, für den schlossen sich alle Türen, der hatte keine Möglichkeit mehr, auf einer Schwelle zu stehen, der konnte sich nicht mehr entscheiden“. Ein Pro-und-Kontra, das nachdenklich stimmt. „Ich bin kein Mann großer Worte“ endet Haris mit einem Augenzwinkern. Nach einem anfänglichen Rechenfehler, der ihn zum Sieger kürt, reicht es für Haris an diesem Abend zum vierten Platz, gleich hinter Lene Morgenstern, Wolfgang Nöckler und Dominik Bartels.

Foto von Thomas Rainer: Wolfgang Nöckler – Helene Delazer – Josef Ziernhöld – Dominik Bartels – Haris Kovacevic – Hannes Chaos Waldmüller

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