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September 19, 2013

Franz-Tumler-Literaturpreis: „Südbalkon“ von Isabella Straub

Verena Spechtenhauser
Zum vierten Mal wird am 19. September 2013 in Laas der Franz-Tumler-Literaturpreis vergeben. Nominiert sind fünf deutschsprachige Erstlingsromane von Newcomer-Autorinnen und -Autoren. Eine davon ist die Österreicherin Isabella Straub mit „Südbalkon“.

Das Leben ist kein Wunschkonzert, oder eben auch kein Südbalkon. Das spürt Ruth Amsel, die Protagonistin des Erstlingswerks „Südbalkon“ von Isabella Straub tagtäglich am eigenen Leib. Die magischen Dreißig bereits überschritten, steht sie weniger mitten im Leben, als eher neben der Spur. Sie hat ihr Medizinstudium abgebrochen und seit dem Ende ihres Praktikums als Todesanzeigenredakteurin verbringt sie ihre Freizeit vor allem damit, jene Menschen zu beobachten, denen es ihrer Ansicht nach noch schlechter geht als ihr selbst. Dass es auch im Privatleben nicht Rund läuft, ist klar. Die Beziehung zu ihrem Freund ist eingeschlafen, ihrer besten Freundin kann und will sie nicht wirklich trauen und in das Haus ihrer Eltern zieht der neue Lebensgefährte ihrer Mutter ein, der Vater jedoch nicht aus.

Ja, das Leben von Ruth Amsel läuft definitiv nicht nach Plan. Aber ist frau deshalb sofort eine „gescheiterte Existenz“? Und kann eine Geschichte, welche auf den ersten Blick (mal vom Cover des Buches abgesehen) nach einer dramatischen und traurigen Lektüre klingt, von der Autorin mit viel Ironie und Humor erzählt werden, ohne dass sie an Tiefgang verliert?

Fragen über Fragen, welche von einer sehr sympathischen Isabella Straub ausführlich beantwortet wurden. Scrollt runter und lest selbst.

In ihrem Debüt „Südbalkon“ behandeln Sie sehr ernste Probleme unserer heutigen Gesellschaft. Warum haben Sie sich dafür entschieden, mit viel Witz und Ironie über die in den Augen unserer leistungsorientieren Gesellschaft  „gescheiterte Existenz“ Ruth Amsel  zu schreiben? Ist das der bekannte „Wiener Schmäh“?

Was mir vorschwebte: Ich wollte von einer Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs erzählen. Aber keinesfalls eine Opfergeschichte. Daraus ergab sich fast zwangsläufig der ironische Erzählton. In einer Rezension stand, dass Ruth eine verquere Antiheldin sei, die vom Südbalkon träumt, ihn nicht bekommt und sich doch eigensinnig weigert, unglücklich zu werden. Das hat mir sehr gut gefallen, weil es die Geschichte auf den Punkt bringt: Während man sich ins Unglück fallen lassen kann, steckt im „Sich-Weigern immer ein Willensakt. Lebensmut. Und eine Art Plan – auch wenn nicht klar ist, wohin er mündet.
Ruth inspiriert ihre Lebenssituation zumindest dazu, kreative Auswege zu suchen. Etwa, indem sie Menschen beobachtet, denen es noch schlechter geht als ihr. Eine
Beschäftigung, die nichts kostet und ihre Stimmung hebt. Prekariat bedeutet: wenig Geld. Aber auch: viel Zeit. Ruth ist arm im pekuniären Sinne. Doch was ihre Freizeit angeht, beneiden wir sie (ich zumindest).
Wiener Schmäh? Das kann ich als
Eingeborene nicht beurteilen. Was mich auf jeden Fall freut, ist, dass der Schmäh auch im deutschsprachigen Ausland ankommt. Das weiß man vorher nie.

Beim Lesen ihres Buches habe ich persönlich die Protagonistin nicht als Versagerin wahrgenommen, sondern vielmehr unsere Gesellschaft. In vielen Punkten konnte ich mich sogar mit Ruth identifizieren. Darf ich ganz frech fragen: Wie viel Ruth Amsel steckt in Ihnen selbst oder vielleicht anders gefragt, könnten Sie sich vorstellen Ruth Amsel als Freundin zu haben?

In Ruth ist schon einiges von mir drin. Oder anders gesagt: Die Themen in dem Buch haben alle auch mit meinem Leben zu tun. So habe ich etwa eine Obsession, was das Thema Wohnen betrifft. Ich finde Hochhäuser unheimlich faszinierend, auch wenn ich nie in einem gelebt habe. Also hab ich Ruth stellvertretend in ein Hochhaus gesetzt und geschaut, was passiert. Eine Hochhaus-Wohnung ist ja zugleich Nest und Höhle, anonymer Rückzugsort und Beobachtungs- bzw. Lauschposten. Auch Ruth beobachtet aktiv ihre Nachbarn, wobei sich schlussendlich herausstellt, dass sie es ist, die beobachtet wurde. Dieses wechselseitige Ausspionieren ist gerade ein aktuelles Thema, auch wenn es hier offline, nicht online geschieht.
Ich selbst interessiere mich besonders für Transit-Räume, Nicht-Orte, Zwischen-Orte wie Warteräume, Musterhäuser oder Musterwohnungen in Möbelhäusern. Diese Musterwohnungen tun so, als wären sie richtige Wohnungen – sind es aber nicht. Sie sind Fake-Orte. Und Ruth hält sich gern an solchen
Als-ob-Orten auf.
Übrigens ist das Wien im Roman auch ein
Als-ob-Wien: Ein Parallel-Wien, das nur wenig mit der echten Stadt zu tun hat. Alle Straßennamen, alle Gebäude sind erfunden. Wobei ich mir schon was überlegt habe, bei den Namen: Die Magenbuch-Klinik etwa habe ich nach einem deutschen Mediziner benannt, der Ende des 16. Jahrhunderts gelebt hat und dem wir die Anamnese (also die Aufzeichnung der Krankengeschichte) verdanken.

Ihr Roman ist in meinen Augen auch eine Abrechnung mit der doch sehr menschenunwürdigen Welt des Arbeitsmarktes. Existenzgründerseminare, Wiedereingliederungsmaßnahmen etc. pp. Warum liegt Ihnen dieses Thema am Herzen?

Als selbstständige Werbetexterin sind mir diese Unterstützungsmaßnahmen” bestens bekannt. Neben dem Arbeitsmarkt hat sich parallel ein sehr vitaler Arbeitslosenmarkt etabliert. Da hängen Motivationsgurus und Existenberater ebenso dran wie Weiterbildungs- und Umschulungsfirmen sonder Zahl. 
Ich erlebe immer wieder, dass Menschen aus der Not heraus den Weg in die Selbstständigkeit wählen, bzw. in die Selbstständigkeit gedrängt werden. Das halte ich für höchst problematisch – da ist ein Scheitern beinahe vorprogrammiert. Das erschien mir als Folie, vor der Ruth agiert, recht plausibel.

Ihr Debütroman wird von der Kritik durchwegs positiv bewertet. Wie viel ist Ihnen die Meinung der Literaturkritiker wert und haben Sie das Gefühl, dass die Aussage ihres Romans richtig verstanden wurde?

Die vielen positiven Reaktionen haben auf alle Fälle ganz konkret etwas verändert: Ich schreibe den zweiten Roman mit einer gewissen Lockerheit, die ich beim Ersten noch nicht hatte. Da zweifelte ich an jedem Wort, an jedem Satz . Dieser permanente Zweifel war schon sehr zermürbend – und das ist zumindest ein wenig besser geworden.
Die Interpretationen der Rezensenten waren für mich allesamt sehr spannend. Ich glaube allerdings nicht, dass es hier ein
richtig oder falsch gibt, jeder liest bei einem Buch ohnehin seine eigene Geschichte mit. Interessant war zu beobachten, welchen Fokus die Rezensenten wählten, welche Sätze sie zitierten.

Ich nehme mal an, Sie haben vor der Nominierung zum Franz-Tumler-Literaturpreis von der kleinen Ortschaft Laas im Vinschgau noch nicht so oft gehört. War Ihnen der Schriftsteller Franz Tumler selbst – sein Leben und sein Werk – ein Begriff?

Laas war mir bislang unbekannt. Umso mehr freue ich mich darauf, den Ort live zu erleben. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich auch von Franz Tumler vorher nicht viel gehört habe. Aber ist doch schön, wenn eine Nominierung zu neuen literarischen Ufern führt.

Mehr zur Autorin: isabellastraub.at
Mehr Informationen zum Franz-Tumler-Literaturpreis findet ihr hier: www.tumler-literaturpreis.com

Foto © Michael Gasser Photography

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