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July 31, 2013

Manuel Ferrigato und seine View Points auf die Welt

Kunigunde Weissenegger
Manuel Ferrigato portraitiert nicht nur markante Gesichter für den IMS, sondern auch Aussichtspunkte auf besondere Art und Weise. Wie er das meint und was ihn nach Mailand, Hamburg, in die Welt und zur Fotografie getrieben hat, erzählt er uns im Interview.

Alles Ansichtssache. Wie immer und überall verändern sich Dinge zumeist je nach Standort und Blickwinkel. Den Fotografen Manuel Ferrigato hat dieser Aspekt sehr beschäftigt und zu einer ungewöhnlichen Fotoserie inspiriert. ”View Points“ heißt sein Fotoprojekt, das übrigens nur noch heute, 31. Juli 2013 in der Stadtgalerie in Brixen ausgestellt wird (um 17.30 Uhr ist die Finissage mit Musik und weiteren Geschichten). Die Orte selbst (versucht mal, ob ihr einige erkennt) sind vielleicht nichts Besonderes – viel besucht, tausend Mal fotografiert – doch der Blick und die Aufnahmen von Manuel Ferrigato sind es allemal: klassische, konstruierte Aussichtspunkte, die zumeist überfüllt und überlaufen sind, jedoch nicht vom üblichen Foto-Knips-Punkt (à la: ich und der Berg, ich und das Meer, ich und und und…) aus gesehen, sondern: einen Schritt zurück treten und Aufnahme. Es sind Portraits von Aussichtspunkten, an der Grenze zwischen Zivilisation und Natur. Ein Schritt nach vorne und schon sähe alles ganz anders aus. Parallel zu den Bildern gibt es auch einen kleine Installation: Von der Galerie kann direkt in in die Natur hinaus geblickt werden. – Die Wand der Galerie, eine Schnittstelle, dreidimensional.

Ich bin mit dem Fotografie-Allrounder mit Schwerpunkten in der Landschaftsfotografie, im Portrait, in der Autofotografie und im Sport – „also fotografisch überall und nirgends zuhause, wie vielleicht auch ein bisschen im Leben“, meint er selbst schmunzelnd – durch seine Ausstellung geschlendert. manuel ferrigato - view points 02Als Werbefotograf arbeitet der 34jährige Brixner eigentlich; bis vor Kurzem in München – Moment, wiederum kleiner Exkurs: „Sieben Jahre habe ich in Hamburg gelebt und gearbeitet. Die Zelte in der Hansestadt habe ich nun mehr oder weniger abgebrochen, ich brauche mehr Sonne, längere Sommer, weniger Flachland und mehr Berge, viel Schnee im Winter, also einfach ein bisschen mehr Nähe zu meiner Heimat.“ Also dachte er sich, vielleicht nach München? Und fügt hinzu: „Einen Fuss in der ‘Großstadt’ und einen zuhause? Schau’ma mal…“

Nach der Matura, so erzählt Manuel mir, sei er von der Provinz geflüchtet, und zwar nach Mailand: „Designer wollte ich werden. Ein bisschen Produktdesign, ein bisschen Grafikdesign, viel Interior Design. Und über’s Interior Design bin ich zur Fotografie gekommen: Still Life Fotografie von Designermöbeln, Aufnahmen von Installationen, Aussen- und Innenansichten von Architekturen.“ Damals klarerweise noch alles analog, auf Film, mit Polaroids zum Testen, Fachkamera und Labor, meint er weiter: „Ich bin froh, dass ich noch etwas von der alten Schule mitbekommen habe, von den alten Hasen“, grinst er, „als die Technik der Fotografie noch nicht ganz so einfach war. Angefangen hat alles in Mailand, bei meinem Fotografie-Professor; dann ging es weiter nach Verona in ein großes Studio, auch dort Architektur und Still Life Fotografie von Designprodukten. Wiederum bei einem alten Hasen des Fachs“, grinst Manuel Ferrigato erneut. Nach dem Abschluss der Uni wollte er sich dann definitiv in die Fotografie stürzen und ging nach Hamburg, um dort beim nächsten alten Hasen als Fotoassistent zu arbeiten – bei einem Werbefotografen, der vor allem Autos fotografierte und (zum Glück) fast nur im Freien an den schönsten Orten dieser Erde und nicht mehr im Studio. „In der Fotografie ist es, glaube ich, ähnlich wie beim Film: Man kann eine Schule besuchen, um die Basics zu erlernen, die Theorie aber lernt man, glaube ich, erst so richtig am Set, wenn man guten Leuten bei grossen Produktionen auf die Finger schaut. Also habe ich so einige Jahre als Assistent gearbeitet, quasi als rechte Hand des Fotografen, im Einsatz für Werbekampagnen und Kataloge.“ Nebenbei habe er seine ersten kleinen eigenen Aufträge gemacht.  Thomas Huber by Manuel FerrigatoUnd irgendwann wollte er dann nur noch seine eigenen Sachen fotografieren. Von der glatten Werbewelt etwas überdrüssig habe er sich nach einem neuen Projekt umgesehen. Portraits wollte er machen, von echten Gesichtern, authentischen Menschen, ohne Make-up und Photoshop. „Da habe ich vom International Mountain Summit gelesen, einem Bergfestival in Brixen“, erzählt Manuel. Er habe gehört, welche Gäste eingeladen worden sind, habe an die Gesichter gedacht, die er vor die Linse bekommen könnte und habe sich das so vorgestellt: authentische Gesichter mit den Spuren der Zeit und der Natur, glasklarer Blick, innere Ruhe. „Von Anfang an unterstützte der IMS dieses Projekt und kaufte es schliesslich für die Kommunikation des Festivals und seit nunmehr fünf Jahren arbeiten wir mit großer Begeisterung daran. In einer Wanderausstellung wurde es dem breiten Publikum in über zehn Städten im Alpenraum gezeigt.“ (Hier findet ihr die Portraits der IMS-Bergmenschen.) manuel ferrigato - view points 03„Puh, jetzt habe ich wohl gar ein wenig viel erzählt,“ meint Manuel, doch meine Neugierde ist noch nicht befriedigt: Was bedeuten Fotografie, die Linse, der Fotoapparat für dich? „Ein Bild, der Fotoapparat, bedeuten für mich meinen Blick auf die Dinge, auf die Menschen, auf die Welt zeigen zu können. Meinen ganz persönlichen View Point, nichts weiter; ich zeige in meinen Bildern nichts Weltbewegendes, nichts ‘Wichtiges’… Und es freut mich, wenn sich jemand meine Bilder ansieht und die Dinge aus einem anderen Blickwinkel sieht, aus einer anderen Perspektive.“ Auf meine nächste Frage, was die Fotografie mit ihm mache, meint er zunächst: „…gute Frage. Alles Mögliche. Freud und Leid! – Leiden bis das Bild geboren ist, Freude, wenn’s fertig ist, und manchmal auch umgekehrt. Wenn ich fotografiere, bin ich manchmal wie getrieben, getrieben ein tolles Bild zu machen, die richtige Location zu finden, auf das richtige Licht zu warten, eine spannende Komposition, ein authentischer Ausdruck im Gesicht… Vieles treibt mich. Ich bin, glaube ich, ein Perfektionist, was absolut nicht immer von Vorteil ist. Das wird dann manchmal auch für mich selbst anstrengend! Dann denke ich mir manchmal, ach, was soll’s… ist ja auch nur ein Foto…“ Während des Fotografierens bekomme er zwar schon ein Gefühl ob’s klappt. Aber so richtig werde ihm erst hinterher bewusst, was er da gemacht habe und sei erst dann voll zufrieden, wenn er ein schönes Bild fertig am Rechner sehe. Manuel: „Und dieser Prozess ist spannend!“

Vor seine Linse hole er sich alles Mögliche. In der Werbefotografie finde er es spannend, eine Aufgabenstellung zu bekommen und die zu lösen: „Da kann ich meist nicht frei entscheiden, wen und was ich fotografiere und wie ich’s fotografiere. Ich bekomme genaue Vorgaben und kann mich nur zwischen bestimmten Parametern bewegen. Aber in meinen eigenen Projekten bin ich völlig frei. Eine Freiheit, in der man sich auch mal verlieren kann.“manuel ferrigato - view pointsUnd wie war das bei View Points? – „…in View Points wollte ich die Schnittstelle zwischen Natur und Zivilisation fotografieren. Die Orte, an die wir gehen, um ein schönes Bild zu machen, einen Blick auf unberührte Natur zu erhaschen, einen Moment als Entdecker und Eroberer. Ich war selbst oft beruflich an solchen Orten, für Fotoshootings. Bei einem Werbe-Shooting ist es wichtig, dass man mit dem Team und dem Equipment unkompliziert und schnell an die Traum-Location kommt. So habe ich selbst viel Zeit an solchen Aussichtspunkten verbracht; und mir darüber Gedanken gemacht, die Besucher beobachtet, und es genossen, bei Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang da zu sein, ohne Menschenmassen und hohem Lärmpegel. Und prompt kam dann im Laufe des Tages der Ansturm.“ 

Er wollte die Aussichtspunkte so fotografieren, erzählt Manuel mir, wie man sie sonst nie erlebe: leer. Quasi ein Portrait des Aussichtspunktes, eingebettet in seine Umgebung. Die BesucherInnen wollen zumeist in die Weite sehen, sich als Teil der Natur fühlen. Sie gehen bis an die äusserste Begrenzung, um hinaus zu schauen, ein Bild zu machen. „Ich wollte einen Schritt zurück machen und diese Orte fotografieren, ihnen eine Aufmerksamkeit schenken, die sie sonst nicht bekommen. Die Aussichtspunkte in ihrer Ruhe und Ursprünglichkeit fotografieren, in einem Vakuum.“ Auf meine Schlussfrage meint der Fotograf, dem die Sonne auch aus den Augen lacht: „Mein View Point auf’s Leben? Puh… Dafür müsste ich, glaube ich, eine neue Strecke fotografieren. …das wäre dann ein Lebensprojekt!“

www.manuelferrigato.com

Portraitfoto oben von Antonia Zennaro

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There is one comment for this article.
  • Ilse · 

    Hi, Manu, Deine Arbeit ist es wert, Dich an meiner Reaktion teilhaben zu lassen: da sitze ich und wische mir die Tränen aus dem Gesicht – vielleicht ist es einfach die Freude, vielleicht auch was viel Tieferes (aber: was kann tiefer sein?).
    Und das erhoffe ich für Dich: weiterhin Freude und Tiefe und ein bisschen Leichtigkeit …
    Deine Ilse