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July 18, 2013

Auf.bruch. Daniele Capra hinterfragt den Kubaturwahn und reaktiviert Glurns’ Bausubstanz

Kunigunde Weissenegger

Vom Vinschgau kommt er und dorthin, genauer gesagt nach Glurns ins Atelierhaus von GAP, kehrt er kommenden Samstag, 20. Juli 2013 für seine Ausstellung ”Auf-bruch“ zurück. Daniele Capra ist 1985 in Schlanders geboren und in seinem Heimatdorf Prad aufgewachsen und zur Schule gegangen. In Innsbruck und Mailand inklusive einem Erasmus-Jahr in Mailand hat er Architektur studiert. Während des Studiums war er als Mitarbeiter im Archiv für Baukunst in Innsbruck und in den Sommermonaten in verschiedenen Planungsbüros tätig. Im Februar 2012 hat er das Studium mit der Diplomarbeit ”Auf-bruch – Reaktivierung historischer Bausubstanz in Glurns“ abgeschlossen. Die Bezeichnung Aufbruch passt seiner Meinung nach gut, weil sie seine Intention und die Intention seiner Projekte ausdrückt. Danach war er Mitarbeiter im Architekturbüro Jürgen Wallnöfer in Schluderns sowie im Architekturbüro Iwan Zanzotti in Schluderns und zur Zeit arbeitet er im Architekturbüro Bembé-Dellinger in München. Und nun ist er mit uns im Interview. 

Was bedeutet Aufbruch für dich?

Ich habe meiner Arbeit und den baulichen Eingriffen in Glurns den Namen ”Aufbruch“ gegeben, und zwar meine ich das auf verschiedenen Ebenen: das Aufbrechen der bestehenden Gebäude- oder Mauerstruktur,  einen mentalen Aufbruch (als Weiterdenken, in die Zukunft schauen, Alternativen ausprobieren) und als Revitalisierungsmaßnahme (weiterbauen, verändern, erhalten).

Was bedeutet Bruch für dich?

Bruch mit Konventionen, gleichen Herangehensweisen, Neues Probieren, Alternativen aufzeigen.

Gibt es in Südtirol viele alte, ungenutzte Bausubstanz bzw. Brachflächen? – In welchem Gebiet besonders?

Der Vinschgau und vor allem der eher strukturärmere und touristisch weniger starke obere Vinschgau ist südtirolweit sicher eines der am stärksten betroffenen Gebiete. Der erste Teil meiner Diplomarbeit beschäftigt sich mit der allgemeinen Betrachtung des Themas Leerstand im oberen Vinschgau. Ich habe in mehreren Dörfern eine Erhebung der leerstehenden Gebäude durchgeführt und miteinander verglichen. Man kann also in der Ausstellung anhand von Karten konkret sehen, wie viele Gebäude in den Dörfern leer stehen. Die Dörfer, die ich untersucht habe, sind Laas, Eyrs, Tschengls, Prad, Lichtenberg, Schluderns, Glurns und Mals. In den Ortschaften von Laas bis Reschen befinden sich laut Schätzungen aus dem Jahr 2008 ca. 244.000 m³ ungenutzte Wohnfläche (also ohne Stadel). Das entspricht z. B. der Kubatur von knapp 500 kleinen Einfamilienhäusern. 

Die Gründe?

Gründe für dieses Problem gibt es mehrere:  Einmal die komplizierten Eigentumsverhältnisse, die auf die Realteilung der vergangenen Jahrhunderte zurückzuführen ist. Dann die Veränderungen des Arbeitsmarktes, insbesondere der Landwirtschaft und des Handwerks, die heute oft andere typologische Anforderungen an die Gebäude haben. Auch der Wunsch nach der Abkapselung im Einfamilienhaus in der grünen Wiese, was bei vielen als „ideale“ Wohnform angesehen wird, und deren starke öffentliche Förderungen. 

Einige Dörfer riskieren so, ihre Mitte zu entvölkern, während ringsum flächenraubende, monofunktionale Wohnsiedlungen entstehen. Aber das locker bebaute Einfamilienhausgebiet, das großflächig die Landschaft überzieht, kann kein zukunftsweisendes Siedlungsleitbild sein. Die Zersiedelung führt zu längeren Wegen, Zunahme des Verkehrs, Verbrauch wertvoller Kulturlandschaft und Verringerung der Nutzungsmischung im Dorf.  Es ist also keine nachhaltige Siedlungsentwicklung und zudem leidet das Dorfleben darunter. In letzter Zeit gibt es jetzt auch Bestrebungen seitens des Landes und der Gemeinden dieser Problematik entgegen zu wirken. So gibt es nun die Möglichkeit, dass die Gelder des geförderten Wohnbaus auch dem Kauf und der Sanierung von alten Gebäuden zugute kommen.Daniele Capra – Aufbruch – Modell

Worum geht’s in deiner Untersuchung?

Ich zeige mit meinen Eingriffen alternative Herangehensweisen zu den von der Gemeinde oder Eigentümern unter großen Investitionen initiierten Sanierungen und Bauaktivitäten auf. Nur ein kleiner Teil der leerstehenden Gebäude kann auf diese Weise in nächster Zeit wieder saniert werden.

Meine Projekte demonstrieren unter anderem, wie z. B. Gebäude im Laufe der Zeit wieder genutzt werden können oder Möglichkeiten von kostengünstigen Teilnutzungen. Ähnlich einer Akupunkturbehandlung sind mehrere Eingriffe über die Stadt verteilt. Diese ”Implantate“ in die bestehende Stadtstruktur, mit ihrer jeweiligen Funktion, sollen in erster Linie auf die Bedürfnisse der Menschen und der Stadt reagieren und ein funktionierendes Stadtleben fördern. Zudem zielen die Implantate auf diverse andere Bereiche des Stadtentwicklungsprogramms ab, wie den Tourismus oder den Kulturbereich. Die Eingriffe sehe ich auch als Initiator, der Potentiale aufzeigt, und folgend zu einem Weiterdenken und Weiterbauen, also zu einem  Auf.bruch führen kann.

Wie soll deiner Meinung nach mit diesen leer stehenden, teils verfallenen Gebäuden umgegangen werden?

Das Projekt versteht sich auch als kritische Auseinandersetzung im Umgang mit Bestand und Leerstand. Außerdem soll der ”Kubaturwahn“ der heutigen Zeit hinterfragt werden: Der Begriff Kubatur fällt oft, wenn man über Gebäude spricht und wird sofort mit Geld pro Kubikmeter in Verbindung gebracht. Es ist ein stark monetär geprägter Begriff, Kubatur gilt als potentielles Geld.

Paradoxerweise  gibt es im Obervinschgau trotz immer teurer werdender Grundstückspreise und den andauernden Bauaktivitäten in zentraler Lage viele ungenutzte Brachflächen und dem Verfall preisgegebene Gebäude. Es wird also deutlich, dass es Schwierigkeiten gibt, leere Bestandsflächen wieder nutzbar zu machen, wenn man es in herkömmlicher Weise versucht, d. h. mit vielen Investitionen verbunden und mit der Aussicht finanziell ertragreich zu sein. Das Problem des Leerstandes im Obervinschgau kann nicht nur durch blindes Bauen und Kubaturfüllung gelöst werden. Möglicherweise könnten andere Herangehensweisen erfolgreicher sein.

So sollte es gerade im dichten Gefüge des Stadtkerns nicht das Ziel sein, jeden frei gewordenen Raum wieder zuzubauen und ”monetär“ nutzen zu wollen. Vielmehr sollten die leeren Räume als Chance gesehen werden, als ”Frei“-Räume genutzt zu werden, um kostengünstig die Bedürfnisse der Bevölkerung und die Bedürfnisse der Stadt zu befriedigen, auch unter der Partizipation der Bevölkerung. Bürgerbeteiligung in der kommunalen Stadtplanung und partizipative Möglichkeiten im baulichen Umfeld ist ein Thema, das zur Zeit in mehreren Ländern aktuell ist und mit dem möglicherweise auf neue Anforderungen im Städtebau reagiert werden kann. 

Wie könnte eine möglichst kostengünstige Sanierung und Nutzung aussehen?

Meine 5 ausgearbeiteten Eingriffe sind das Dormitorium, die Mediathek, der Obstgarten, die Werkstatt und die Verbindung. Folgend kurze Beschreibungen der Projekte:

Das Dormitorium verfolgt das Konzept einer kostengünstigen und durch minimale Eingriffe in die Bausubstanz errichteten Übernachtungsmöglichkeit für Touristen. Es handelt sich um das Übernachten zwischen Heuballen in einem aufgeständerten Teil eines Stadels. Die Heuballen werden dort angeliefert und bilden angeordnet und aufgestockt eine Struktur mit Schlafnischen. Das Dormitorium kann von einer zentralen Stelle aus verwaltet werden, beispielsweise von einem bestehenden Gasthaus aus. Für die Verpflegung, wie das Frühstück oder Abendessen können ebenfalls andere Einrichtungen der Stadt (z. B. die Bäckerei) eingebunden werden. 

Die Mediathek beherbergt einen Internet-Point, eine Bibliothek und einen Kinoraum. Die Räumlichkeiten sind teils in einem leer stehenden Wohnhaus und teils im angrenzenden, durch den Zusammenfall eines Stadels, entstandenen Innenhof angesiedelt. Das Splitterwerk der im Hof herumliegenden Balken und Bretter wird als Entwurfsgedanke aufgenommen, um die Leere mit einer feingliedrigen hölzernen Balkenkonstruktion wieder aufzufüllen. Die Holzkonstruktion dringt auch in das verlassene Haus nebenan ein und bildet mit seinen Extremitäten die Möblierung für den Internet-Point und die Bibliothek. Der Internet-Point befindet sich in einem Zimmer des leerstehenden Wohnhauses; mitten in Erinnerungen an die Vergangenheit ist man mit der globalen Welt vernetzt. Im Wohnraum ist eine kleine Bibliothek untergebracht. Die Holzbalkenstruktur bildet im hinteren Hofbereich einen größeren, mit Tribünen und Projektionsfläche versehenen Raum aus, das Kino. Das Kino kann auch als Ort für Lesungen, Vorträge usw. benutzt werden. Weitere Bereiche der komplexen hölzernen Balkenstruktur eignen sich als Spielplatz mit vielfältigen Spielmöglichkeiten. Durch die vielseitige Nutzung wird versucht, einen kulturellen Treffpunkt zu schaffen und eine Interaktion zwischen der Bevölkerung zu erreichen.Der Obstgarten – Daniele CapraDer Obstgarten wird auf einer nicht genutzten Fläche vor einem großen leerstehenden Wohngebäude angelegt. Neben seiner Funktion als Obst- und Kräuterlieferant ist er ein Treffpunkt und ein Ort der Erholung innerhalb der steinernen Stadt. Ein Teil des Platzes ist erst durch das Abbrennen eines Gebäudes entstanden. Man sieht hier an der Fassade noch die Brandspuren. Deshalb gibt es an der Fassade Türen, die früher Verbindungswege waren, jetzt aber ins Nichts führen. An diesen Stellen wird die Infrastruktur des Gebäudes angezapft. Beispielsweise gibt es im Erdgeschoss ein Lager, das als Lagerraum für Obst dienen kann. In der Küche kann man sich Tee kochen, ein WC wird eingerichtet usw. Dieses Prinzip äußert sich auch nach Außen, als Andocken von Räumen oder Flächen, wo vorher das Gebäude gestanden ist. Als zusätzliche Einrichtung ist eine Bar in Verbindung eines regionalen Feinkostladens vorgesehen. Die Aneignung des Bestandsgebäudes kann sich fortschreitend im Laufe der Zeit abspielen und sich später auch parallel mit dem Ausbau von Zimmern im Gebäude weiterentwickeln. Initiiert, errichtet und verwaltet könnte der Obstgarten sowie die Bar von einem Verein werden. Die Bar oder einer der erschlossenen Räume wird zum Vereinshaus. Der Verein kümmert sich also um die Ressource Obst und um die Einbindung der Bevölkerung. 

Die Werkstatt ist in einem alten Stadel angesiedelt. Für Kleinhandwerker, Kunsthandwerker, Heimwerker, Hobbybastler und Künstler werden vermietbare Flächen bereitgestellt. Außerdem können Reparaturwerkstätten und Handwerksseminare stattfinden. Ober dem niederen Erdgeschoss, das teilweise als Lager benutzt werden kann, befinden sich zwei räumlich etwas abgegrenzte Bereiche für Seminare, Vorträge, Workshops. Einer kann auch als Arbeitsbereich für einen Kleinbetrieb bereitgestellt werden. Im Lichthof ist eine Cafeteria beherbergt, die als Treff- und Austauschort öffentlich zugänglich ist.

Durch eine Untergrabung der Mauer entsteht eine direktere Verbindung zwischen der Stadt und dem Laubenviertel mit der externen Wohnbauzone. Ein schmaler transparenter Streifen zieht sich über die Mauer und verbindet die beiden Ausgänge. Er ist als Zeichen weithin sichtbar und macht auf die Verbindung aufmerksam. Der durchgehende Streifen kann als eine Unterbrechung der Mauer interpretiert werden, ähnlich einem schmalen Spalt. Der Eingriff wird so auch zu einem Symbol des Neuinterpretierens der mittelalterlichen Strukturen, des Weiterdenkens, des sich Öffnens nach Außen und der Überwindung dieser über Jahrhunderte bestehenden Grenze. Durch die Verbindung wird ein größerer Austausch zwischen Innen und Außen angestrebt und gleichzeitig das Laubenviertel belebt.

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