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June 17, 2013

Oh, wie schön ist Südtirol?! 10 Jahre Touriseum – 10 Jahre Südtiroler Tourismus im Wandel

Kunigunde Weissenegger
Auf der einen Seite geht es nicht „slow“ genug, auf der anderen ist der Urlaubstag voll gestopft mit Aktivitäten, damit dem Gast ja nicht „langweilig“ wird. Das ist nur eine der Entwicklungen, die das Touriseum in Meran zu seinem 10jährigen Bestehen für die Sonderausstellung URLAUB VACANZE 2.0 heraus gearbeitet hat, um aufzuzeigen, wohin sich der Südtiroler Tourismus seit 2003 entwickelt hat.

„Nichts ist so sicher wie der Wandel.” – So steht es neben anderen zufriedenen, auch kritischen und empörten Bemerkungen im Gästebuch des Touriseum in Meran: „Gläsern?! Sie glauben doch nicht, dass wir da mitmachen.“ Und ich lese auch:„beunruhigend“, „interessant“, „anregend“, „informativ“. Weiters: „gläserner Tourist“, „sind wir als Urlauber wirklich so?“ und „warum muss mensch so viel Anspruch stellen?“. Eines ist schon mal am Anfang meines Besuchs im Touriseum Meran sicher: Die Ausstellung Urlaub Vacanze 2.0 regt auf und spornt zum Diskutieren, Nachdenken und Kontroversitäten Austauschen an. 

Wie hat sich der Gast gewandelt? Was fordern Urlauberinnen und Urlauber heute, im Gegensatz zu früher? Unsere Umgebung hat sich verändert, unsere Ansprüche sind gestiegen. – Und wie reagieren Touristikerinnen und Touristiker darauf? Was tun oder müssen Hoteliers tun, um mitzuhalten? Wie ergeht es den Kleinen? Und wie den Großen? 11 Trends und Entwicklungen kristallisieren recherchiert heraus, was in der Tourismus-Branche in den letzten zehn Jahren alles weiter gegangen ist. touriseum urlaub vacanze 2.0 franzmagazineZehn Jahre – sind nicht wirklich lange und doch ist viel passiert in diesem Jahrzehnt, sehe ich im rückblickenden Bereich der Ausstellung: Beispielsweise ging 2003, als das Touriseum eröffnet wurde, die Urlaubsbewertungsplattform HolidayCheck online und erinnert ihr euch an die Hitzewelle in diesem Jahr? 2004 wurde die neue Dachmarke Südtirol vorgestellt und Facebook ging online, ein Jahr später Youtube. 2007 kam das erste iPhone auf den Markt und Pfelders wurde autofrei. 2008 wurde die Wirtschaftskrise gestartet, mit Auswirkungen auf den Tourismus – die Lehmann Brothers meldeten Insolvenz an; ein Jahr später brach die Schweinegrippe aus, in L’Aquila wütete das Erdbeben und die Dolomiten wurden zum Weltnaturerbe erklärt. 2010 wurde mit der museumobil Card in Südtirol ein Paket eingeführt, das für den Gast Museen und öffentliche Verkehrsmittel verbindet. Einmalig weltweit erhielt das Skigebiet Kronplatz 2011 den Direktanschluss an die Eisenbahn. Ein Jahr später meldete Kodak, vom Digitalen in Bedrängnis gebracht, Insolvenz an und der Schnalser Gletscher brachte seine letzte Sommerskisaison hinter sich – 2013 fährt im Sommer kein Lift mehr hinauf und keine Snowboarderin mehr hinunter.touriseum urlaub vacanze 2.0 franzmagazineNach diesem global-regionalen Intro geht’s in der Ausstellung gleich mit dem ersten Trend los: Erinnert ihr euch noch, wie es früher war (und vielleicht mancherorts auch heute noch ist)? Die Gastwirtin weiss genau, dass Herr Dingsbums aus Dingshausen gerne zwei Kissen im Bett möchte, der Koch erinnert sich genau an die Mahlzeitenvorlieben von Signora Pincola, der Gast erzählt, dass er untertags auf jenem Berg war und in jenem Dorf. In der Zwischenzeit ist das ein wenig anders geworden, anonymer, weniger persönlich. Mit den Guestcards, die viel genutzt sind, weil sie viele Vorteile beinhalten, wird der anonyme Gast zwar gläsern – „ich weiss, wo du heute Nachmittag warst“, aber kann durch die digitale Erfassung seiner Schritte und Aktivitäten auch wieder persönlicher behandelt werden. So haben alle etwas davon, Gast und Wirt.touriseum urlaub vacanze 2.0 franzmagazineAusserdem ist dies besonders für kleine Betriebe interessant, weil sie das Angebot eines 4-Sterne-Hotel haben (Schwimmbad, Seilbahnen und Lifte, öffentliche Verkehrsmittel, Museen, Klöster…). Gleichzeitig ist es aber auch besonders für die Kleinen schwierig und sie schließen, der Gast wird immer anspruchsvoller, bestimmt, was das Hotel bieten soll, die Konkurrenz ist groß. Die Herausforderung der Hoteliers ist es, mit dem Erwirtschafteten auf Erneuerung zu setzen, „Mängel“ wettzumachen, zeitgemäß und nie stehen zu bleiben. Dies hat zur Entwicklung von hauptsächlich zwei Quartierarten geführt: 4–5-Sterne-Hotels und Urlaub auf dem Bauernhof – Komfort oder Idyll. Und die Professionalität, Ausstattung, Freundlichkeit und so weiter wird in der nächsten Sekunde bewertet.touriseum urlaub vacanze 2.0 franzmagazineJa, es gibt neben dem gläsernen Gast auch das gläserne Hotel. HolidayCheck, Booking.com oder Tripadvisor und wie sie des weiteren heissen, übernehmen zunehmend die Funktion der früheren Werbeprospekte, von denen Hotels einst angepriesen wurden. Doch wie ernst sollen solche Bewertungen genommen werden? Im Netz fnden sich auch jeden Menge mysteriöse Hotelbewertungen mit absurden Bemerkungen von Gästen, wobei manches teilweise auch als Erpressung bezeichnet werden könnte (entweder ich zahl nix oder es gibt eine schlimme Bewertung).  Auf der anderen Seite gibt es auch Agenturen, die von den Hotels selbst beauftragt fingierte Bewertungen abgeben.touriseum urlaub vacanze 2.0 franzmagazineDer „always connected guest“ nutzt das Internet aber nicht nur, um Informationen zu holen, sondern auch um den Urlaub zu planen und zu buchen. Spontan wird via  Smartphones, unkompliziert entschieden, wohin es gehen soll. Somit wird mit den neuen technischen Möglichkeiten auch eine Ambivalenz im Urlaubenden ausgelöst: Zum Entspannen in den Urlaub fahren und sich über das Funkloch beschweren. – Da es ja dann nicht möglich ist, das Erlebte und Dokumentierte sofort ins Netz zu stellen und mit Freunden zu teilen – via Facebook, Youtube, Twitter und so weiter…touriseum urlaub vacanze 2.0 franzmagazineIn der Folge hat sich auch die Bewerbung von Destinationen in die virtuelle Welt verlagert: In der Ausstellung erzählen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Südtirol Marketing Gesellschaft, welche Märkte auf welche Weise bedient werden. Da das Reisen nun im Web beginnt, muss die Strategie geändert werden. Damit reagiert die SMG, wie andere Destinationsmarketingorganisationen auf den Wandel, um unter anderem nicht vergessen zu werden oder unentdeckt zu bleiben. Der Gast verlangt, wir liefern – online und offline. Beispielsweise wird Frau Holle mit dem Schnee nachgeholfen, wenn mal keiner gefallen ist und es ist immer Saison, auch damit die hohen Betriebskosten der Strukturen durch intensive Nutzung gedeckt werden.touriseum urlaub vacanze 2.0 franzmagazineEiner der dargestellten Trends zeigt auch in Richtung kürzerer Urlaub (vier bis fünf Tage), dafür aber sechs bis zehn Mal pro Jahr. Das kann darauf zurück geführt werden, dass unsere Gesellschaft mehr leisten muss und gestresster ist. Deshalb muss auch immer Saison sein. Disco, Disco, Party, Party – das ganze Jahr lang. Wegen Ferien geschlossen gibt’s nicht mehr. Der Erfindergeist von Wirt und Wirtin ist gefragt, Vieles wird zum Event. Es gibt Genusswanderungen, Seespiele, Oldtimer- und Musikfahrten, Sommererlebnisse, Natur und Musik und Essen, Highspeed Race, Lake Sessions, Konzerte, Festivals, Marathon… Saisonsbedingt werden Lifte geschlossen, aber Spezialitätenwochen organisiert und besondere Pakete für Frauen oder Vater und Sohn geschnürt. touriseum urlaub vacanze 2.0 franzmagazineEs gilt immer dran zu bleiben, „ständig das Rad neu zu erfinden, um Gäste anzulocken“, wie einer der für die Ausstellung interviewten Gastwirte meint. Und immer im Hinterkopf: der Gast kommt kürzer und entscheidet von einem Moment auf den anderen. Die Folgen dieser Mobilität rücken deshalb auch immer stärker ins Bewusstsein: Anstatt Vogelgezwitscher ist Motorenlärm zu hören. Grundsätzlich muss alles schneller gehen und niemand will nix verpassen. Die Nase in die Sonne strecken und lümmeln ist zu wenig. Immer auf Trab wollen alle im Urlaub so viel als möglich erleben – damit sie dann etwas zum Twittern und Posten haben – und da wären wir wieder bei einem der vorher angesprochenen Trends… touriseum urlaub vacanze 2.0 franzmagazineDoch zum Glück entsteht zumeist dort, wo sich ein Wandel in eine Richtung vollzieht, die entsprechende Gegenbewegung dazu: die gesundheitsbewussten und nachhaltigkeitsliebenden Lohas (Lifestyle Of Health And Sustainability) sind auch in Südtirol angekommen und stehen auf regionale und 0-Kilometer-Produkte und selbst Gemachtes und selbst Gezopftes. Die DINKs, Yindies und Yollies übrigens auch. – Wenn ihr wissen wollt, was die lieben, und ihr auf den Rest der Ausstellung neugierig geworden seid, dann nix wie hin – bis Mitte November geht das. Mehr Infos gibt’s hier: www.touriseum.it. Und vergesst nicht, etwas ins Gästebuch zu schreiben…

Auf jeden Fall können wir gespannt sein, wohin die Reise im Tourismus allgemein geht. 2015 ist auf alle Fälle der Start eines Weltraumhotels geplant… 

Installationen von Teo Mahlknecht, St. Ulrich

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