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May 1, 2013

Hole’s Lovers #01: Dominik Stahlberg

Kunigunde Weissenegger

Seit 29. April 2013 residieren sie in der Bait del Simela bis 5. Mai auf 2.000 Metern Höhe inmitten der Dolomiten (so sieht’s da oben grad aus). Sie sind: Nicola Degiampietro aus Fiera di Primiero im Trentino, Dominik Stahlberg aus Hildesheim in Deutschland, Namsal Siedlecky aus der Toskana, Helena Hladilovà aus der Tschechischen Republik, Veronica Pellegrin aus Truden und Pierangelo Giacomuzzi aus Moena (auch einer der Initiatoren – hier auch das Interview mit ihm über dieses Projekt). Die vom Künstler-Duo Treefisters (neue Konzeption der Mensch-Natur-Beziehung) initiierte Artists-in-Residence Hole’s Lovers liegt auf der Grenze der beiden Täler Val di Fassa und Val di Fiemme und ist sowohl von Moena als auch von Predazzo aus erreichbar (wenn ihr hier oder hier klickt, wisst ihr genau, wohin).
Nach und nach stellen wir euch hier auf franzmagazine die sechs Künstlerinnen und Künstler vor. Heute lässt uns Dominik Stahlberg tiefer in sein Schaffen und Denken blicken.

Persönlich könnt ihr die sechs dann am 3. Mai 2013 um 17 Uhr im Istitut Cultural Ladin in Vigo di Fassa beim Talk mit Claus Soraperra kennen lernen. Oder bei der abschließenden Präsentation am 6. Mai 2013 um 18 Uhr im Centro Arte Contemporanea Cavalese (die Ausstellung geht bis 20. Mai 2013, 21 Uhr). Alles Wissenswerte und Kuriose ist auch auf dem Blog zu finden: www.treefisting.blogspot.it.

Wer bist du?

Davon abgesehen, dass man diese Frage nicht mit letzter Sicherheit beantworten kann, bin ich ein männlicher, 35jähriger Reflektor meines seltsamen Umfeldes. Ich lebe und arbeite seit ca. 2007 hauptsächlich in Carrara, welches bekannterweise in der Toskana liegt. Skulptur und Installation sind meine Lieblingsspielwiesen, ich habe aber den Steinfresser nie ganz aus mir heraus bekommen, daher hält mich der Marmor hier in Carrara in Ketten und zwingt mich, selbigen als Medium meiner Gedanken Zweck zu entfremden. Das hat den Vorteil einer kontinuierlichen Produktion von dreidimensionalen Kunstobjekten, aber den Nachteil der absolut brutalen Provinz. Carrara ist wunderschön und gleichzeitig potthässlich! Doch da ich kein Altansässiger bin, muss ich mich damit nicht in allerletzter Konsequenz auseinandersetzen. Ich habe eine Fluchtperspektive.
Dank des Internets jedoch gelingt es mir, diese kulturelle Einöde zu überwinden und ringsherum in Europa Projekte zu begleiten, auszustellen und, vor allem, zu reisen.
Was bin ich noch? No!art-Aktivist / Steinbildhauer / Pirat / Hobbyastronom / Hundebesitzer / Zweifler / tätowiert / Raucher und ich liebe es, mich an den „schöneren Dingen“ des Lebens zu überfressen. Am Ende ist es jedoch leichter, sich dieser Frage zu nähern, indem man fragt: Was bin ich nicht? – Ich bin kein Arschloch.

Warum bis du ein Hole’s Lover?

Als ich zum ersten Mal vom Projekt „Tree Fister“ hörte, war ich von Anfang an begeistert. Das Konzept ist so ver-rückt, dass es entweder keinen interessiert oder ein Selbstläufer werden wird. Diese spontanen Ideen, in diesem Fall entsprungen aus den Gedanken meines Toast-Kollegen Pierangelo Giacomuzzi, haben mir immer schon gefallen (A.d.R.: Toast = Werkstatt für junge Kunstinitiativen in Carrara). Viele von solchen Eingebungen bleiben leider immer unter der Schädeldecke gefangen, umso mehr zolle ich Respekt für die Arbeit von Pier, verschiedene Menschen zusammenzuführen und zu schauen, was man diesem Thema roundabout um die „Baumfisterei“ so entlocken kann.

Natur + Kunst + Leere/Loch = ?

Ein Experiment.
Natur und Kunst vs. Loch und Leere, der ewige Kampf zwischen good & bad, welchen wir alle in uns tragen. Ich denke, die Kunst liegt darin, Prioritäten zu setzen und nie zu vergessen, dass wir ein Teil der Natur sind, dass das Loch und die Leere uns alle noch früh genug bekommen und die Zwischenzeit mit Kunst im weitesten Sinne zu füllen ist. Es kommt natürlich darauf an, genug zu fressen zu haben und ein Dach über dem Kopf, aber da gehören wir Europäer ja (noch) zu den Begünstigten. Jeden lieben Tag bewege ich mich ca. 2,5 Stunden durch die schöne Natur der Apuanischen Alpen (Hund), sehe die Jahreszeiten kommen und gehen, Eichhörnchen springen und höre die Wildschweine quietschen. Leider jedoch fehlt mir die deutsch-romantische Ader, die Natur in all Ihrer Pracht zu glorifizieren; ich gehöre dazu, nimm sie hin, wie sie ist und nehme meinen Dreck wieder mit, wenn ich sie besuche. Allerdings habe ich,vals nordisches Flachlandkind, meine Zuneigung zu den Bergen entdeckt. Toll! Berge! Absoluter Sympathiepunkt für die Location der Art-Residence! …auch wenn’s noch saukalt sein dürfte.
Zu Loch und Leere habe ich während eines dreimonatigen Aufenthalts in der Altstadt von Jerusalem Anfang dieses Jahres einiges dazu gelernt; und das werde ich während der Residence (zumindest teilweise) versuchen aufzuarbeiten. Ich hatte unter anderem das zweifelhafte Vergnügen, mich an Restaurierungsarbeiten in der Grabeskirche zu beteiligen, und stehe sozusagen immer noch unter schwerem Kulturschock. Das habe ich mir nicht erwartet: Wer Hass, Lüge, Zwietracht und vor allem Geltungssucht sucht, ist dort genau richtig. Die Situation in der heiligsten Kirche der Christenheit ist schlimmer als in der übelsten Hafenkneipe und ich bin wirklich nicht zart besaitet. Sechs Konfessionen die sich gegenseitig nicht die Butter auf dem Brot gönnen. Dieser Religionstourismus, die gezielte Bevormundung von Millionen von Menschen, machen mir Angst. Nichts gegen Glauben oder Irrglauben oder what-ever, nur diese Industrie, diese profane Geld- und Neidmaschine hat mich doch etwas vor den Kopf gestoßen. Am Grabe Jesu… – wenn der wüsste! Dennoch hatte ich die Gelegenheit, einige Kunstprojekte dort umzusetzen, unter anderem eine Fotoreihe von Gläubigen am Salbungsstein. Diese werde ich während der Residence in eine Installation integrieren, welche sich den besagten Fetisch zum Vorbild nimmt, nur mit veränderten Vorzeichen. Quasi weg von Loch und Leere -> Back to Nature!

Dominik Stahlberg - Black Virgin - marble - mixed media - 2012

Hole/Loch/Leere versus Umgebung/Natur: förderlich oder/und beschränkend für die Kreativität?

Knifflig. Persönlich arbeite ich lieber in geschlossenen Räumen, meine Inspiration hole ich mir aus unserer Gesellschaft. Bin kein abstrakter Formen-Junkie. Die Weite der Natur wirkt auf mich eher beschränkend, ich kann dieses System nur erahnen, aber nicht verstehen. Abbilden schon gar nicht, da verliert man immer. Außerdem verfalle ich nach längerem Betrachten dieses Wunders immer in die Sinnsuche und das bringt mich nicht weiter. Was mich aber freut, ist der Austausch mit anderen Kreativen, jeder geht anders an so ein Thema ran, bringt seine Erfahrung und Leidenschaft mit. So sehe ich dann Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten, letzteres immer etwas mehr, aber das ist eine andere Problematik…
Wenn wir diese Woche ohne Lagerkoller und Zwist hinter uns bringen, ist schon viel gewonnen. Künstler sind ja bekanntermaßen keine einfach gestrickten Zeitgenossen. Aber da bin ich voll und ganz Optimist! Unter anderem finde ich es belustigend, wie man unser Konzept etwaigen Besuchern/Anwohnern schildert, wie wir da den Bogen bekommen, bin ich gespannt.
Stichwort -> Treefister! Ich habe an einigen Bildhauersymposien und Art-Projects teilgenommen, weltweit, und ich muss sagen, dass das Wichtigste an der „Zusammen-Arbeit“ das ist, eine gewisse Dynamik in Gang zu bringen. Wenn diese nicht zustande kommt, wenn jeder nur sein Ding durchzieht, ist ein Projekt gescheitert. Die Kunst ist es, sein Ego zurück zu nehmen und einen Dialog zu fördern, damit man reicher „rauskommt“, als man „reingegangen“ ist. Leider ist das nicht die Regel, sondern eine Ausnahme. Aber vielleicht liegt dort meine romantische Ader verborgen, man weiss es nicht. Da ich mit meinen 35 Jahren unter den Hole’s Lovers ja schon zum alten Eisen (Neudeutsch: Gammelfleisch) gehöre, werde ich mich mit Weisheiten zurückhalten, denn ich habe es immer gehasst, wenn mir einer die Welt erklären wollte. Anyway… Ich gebe mir Mühe, ‘ne Menge Spaß zu haben.

Was ist hinderlich für deine kreative Arbeit?

Hier wird es schwer, nicht in Plattitüden zu verfallen. Nur soviel, wenn ich mich „ungeliebt“ fühle, driften meine Arbeiten in einen aggressiv-destruktiven Habitus ab, welcher manchmal notwendig ist, aber mich auf lange Sicht …bedrängt. Ich will hier keinen Kuschelkurs propagieren, („Kein Schwanz ist so hart wie das Leben!“ – H. Schimanski), aber Bestätigung, auf welche Art und Weise auch immer, ist unerlässlich. Der Terminus „ungeliebt“ ist bei mir auch eher von genereller Natur.

Was hingegen fördert sie?

Meine liebe Frau. Projekte wie dieses. Moderater Alkoholkonsum. Lebensbejahende Grundeinstellung. Sex.

More: www.mr-stahlberg.com/index.html und www.no-art.info/_involvement/en

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