Culture + Arts > Cinema

April 9, 2013

Filmriss Adieu! Filmclub Unterland steigt auf Digital um. Walter Mössler + Thomas Mitterer zum Abschied + Neuanfang

Kunigunde Weissenegger

Ich treffe mich mit den beiden Unterlandler Filmfreaks in der Laurin-Bar in Bozen – ein Vorschlag von Thomas. (Eigentlich war die Bar AurOra beim Bahnhof in Auer angepeilt gewesen, doch die manchmal allzu übertrieben flexible Zeiteinteilung von Medienmenschen, wie mir, hat eine Planänderung herbeigeführt. Ich bin froh, dass die beiden auch flexibel sind. Und das Laurin ist ja auch in der Nähe eines Bahnhofs…) Jedenfalls bin ich gespannt. Thomas meinte, sie hätten etwas Interessantes auf Lager und er käme nicht allein, aber etwas später. Sie, das sind Filmclub-Unterland-Greenhorn Thomas Mitterer und Filmclub-Unterland-Urgestein Walter Mössler; esterer Vize von zweiterem, der Filmclub-Unterland-Sektionsspielstellenkoordinator ist (so die korrekte gesamte Bezeichnung). Ihre weitere Rolle dort: Vorführer (Walter schon seit Ewigkeiten und Thomas „erst seit jungfräulichen zwei Jahren“). Neben den beiden engagieren sich noch weitere sieben von der Kinoleidenschaft besessene Menschen ehrenamtlich für den Filmclub im Unterland, wie ich dann später erfahren werde…

Also schaue ich mich in besagter Bar um und erspähe einen allein stehenden, mitteljungen Herrn. Da wir kein Erkennungszeichen vereinbart haben und ich auch sein Alter nicht weiss, versuche ich mein Glück einfach so und spreche ihn frohen Mutes an. „Sind Sie Walter Mössler?“ „Ja,“ meint er. – Uau, das ging aber schnell, denk ich mir. – „Nein, Scherz,“ meint er dann grinsend und will noch wissen, warum ich den Herrn denn suche… – Witzknochen, denk ich mir. Also weiter zum nächsten…Vielleicht ist es der da drüben… Wieder kein Glück (dieser rät mir, in Zukunft immer ein Erkennungszeichen auszumachen). Danke und weiter. Und Versuch Nummer drei ist endlich erfolgreich: Ich hab den Richtigen vor mir. Wir setzen uns. Und fangen schon mal an zu plaudern. Das AurOra in Auer haben mir die beiden nicht umsonst als Treffpunkt vorgeschlagen: Walter erzählt mir, dass der Projektor des Filmclubs Unterland zuerst im Don-Bosco-Saal der italienischen Pfarre im Zentrum von Auer mit 150 Sitzplätzen ratterte, dann im Wartesaal des Aurer Bahnhofs mit 40 Sitzplätzen und seit 2005 darf es („Gemeinde sei Dank“) in der Bibliothek in Neumarkt für 50 Augen- und Ohrenpaare „Film ab“ heissen.

Filmclub Unterland Don Bosco SaalFilmclub Unterland im Don Bosco Saal in Auer

Wie war das nun damals und wann hat alles angefangen, möchte ich zunächst wissen? Walter weiss den Tag noch genau – es war der 20. November 1985 – und beginnt zu erzählen: „Angefangen hat, aus meiner Sicht, alles damit, dass ich den Zivildienst beim VKE in meiner Heimatgemeinde Auer ableisten wollte. Der damalige Leiter des VKE, Martin Gschleier lud mich deshalb zu deren Sitzungen ein, woran bereits Reinhold Giovanett aus demselben Grund wie ich teilnahm. Irgendwann kam der Gedanke auf, dass auch für die Jugend im Dorf etwas unternommen werden müsse und so entstand die Idee, eine Sektion des Filmclubs zu gründen. Martin Gschleier hat die Verbindung zum damaligen Präsidenten des Filmclubs Bozen, Martin Kaufmann, aufgenommen, welcher sich anfangs wenig begeistert zeigte, nach der gerade dazu gekommenen Sektion Schlanders eine weitere Sektion des Filmclubs im Unterland zu gründen. Doch nach hartnäckigen Verhandlungen kam es dann doch soweit, dass wir im November 1985 mit dem Programm starten konnten. Unser erster Film war „Mitten ins Herz“ von Doris Dörrie.“

Neben dem Filmclub Unterland gibt es heute auch Sektionen in Bruneck, Brixen, Sterzing, Meran (nicht mehr lange) und Schlanders. Die Filmauswahl erfolgt durch alle Sektionen gemeinsam und die Filme machen dann sozusagen eine Südtirol-Tour: Mittwoch in Neumarkt, Donnerstag in Bruneck, Freitag in Brixen, Montag in Sterzing, Dienstag in Meran und Mittwoch in Schlanders; die Saison läuft von Mitte September bis Mitte Dezember und von Mitte Januar bis Mitte April. Und der Zeitpunkt, also Anfang–Mitte April ist mit ein Grund für unser Treffen: Am Mittwoch, 10. April, und kommenden Mittwoch, 17. April 2013 (Achtung, erinnerungswürdiges Datum!) wird im Filmclub Unterland zum vorletzten bzw. letzten Mal eine Filmrolle eingespannt. Danach wird umgestellt auf Digital. Zum Abschied einer Filmära  kann das Publikum gegen eine Spende in der Pause oder nach der Vorstellung 1 Meter Filmrolle erstehen und so den Ankauf eines Digitalprojektors unterstützen.

thomas mittererDie Dachbodentreppe hoch!

Inzwischen ist auch Thomas eingetroffen und erzählt, dass er als Vorführer seine letzte Filmrolle vor einigen Wochen abgespielt habe. Ich will sogleich wissen, wie das war, wie schwer ihm das Abschiednehmen von der Filmrolle fällt, und ob er es vermissen wird? Ganz in seinem Element erzählt er: „Uhh, da sprichst du bei mir, liebe Kunigunde, einen wunden Punkt an. Ich bin ein romantischer Filmvorführer der es sehr liebt etwas einfache und verstaubte Filmtechnik vorzuführen – wie schon seit fast einem Jahrhundert üblich. Man steigt die Dachbodentreppe hoch, um ins Kämmerlein zu gelangen, wo sich der Projektor und Filmrollen befinden. Dort im Kämmerlein angelangt, wird dann eine gefühlte 10 kg schwere Rolle hochgehoben und im monströsen Projektor eingespannt – von meinen Vorgängern wurde er auch liebevoll “das MONSTER“ genannt. Das Abspielen des Films vom viel zu kleinen Guckloch aus auf der Leinwand zu verfolgen,“ meint er weiter „hat schon sein gewisses Fair muss ich sagen. Im Kämmerlein rauscht es nur so von der lauten Luftabzugsvorrichtung und der Film wird durch die Glasscheibe an der Rückwand wider gespiegelt und dadurch flimmert es in der Kammer, während der Projektor vor sich hin rattert… Dann kommen wir schon nach 45 Minuten, meistens, zu einer notwendigen technischen Pause. Unglaublich aber wahr, die Filmrolle muss getauscht werden, da ein Film nicht auf einer einzigen Rolle Platz hat. Das ist die Gelegenheit für rauchende Kinogänger eine schnelle Zigarette durchzuglimmen, Filmvorführer inklusive,“ grinst Thomas. „Nach fast 5 Minuten geht’s dann wieder los und die Kinoleinwand hellt wieder auf…“

filmclbu unterland Neumarkt Projektor franzmagazineRattern Adieu

Aber damit ist ja nun bald Schluss, hole ich Thomas zurück in die Realität. Ausgerattert hat es sich. Wie geht’s sonst mit dem Filmclub Unterland weiter? Thomas ist zuversichtlich: „Stets munter drüber und drunter. Irgendwie werden wir den Umstieg auf das digitale Zeitalter auch schaffen und etwas vom Früheren erhalten, wir versuchen zum Beispiel den alten Projektor in der Vorführkammer zu behalten, ich bin nämlich überzeugt, dass Filme auf Filmrollen weiterhin erhältlich sein werden. Und Walter fügt hinzu: „Wir sind zur Zeit im Umbruch, wir wissen theoretisch, wie ein digitaler Projektor funktioniert, aber ich muss schon sagen, dass ich selbst gespannt darauf bin: Nach 28 Jahren so ein Sprung, das ist wie ein Neuanfang. Keine schweren Rollen stemmen, kein Rattern aus der Vorführkabine, keinen Filmriss (vielleicht gibt’s in Zukunft dafür einen Festplattencrash?). Also, wie Thomas bereits gesagt hat, wenn es technisch irgendwie möglich ist, möchten wir den alten Projektor auf jeden Fall stehen lassen und bei besonderen Anlässen (vielleicht irgendeiner Retrospektive) wieder zum Leben erwecken. Auch unsere Kinder sollen mal sehen, wie es früher war. Und das ist für mich auch das nächste Stichwort. Wie war’s früher, was waren beispielsweise die Publikumsrenner „in der guten alten Zeit“? „Da war zum Beispiel im Herbst 1986 ‘Susan verzweifelt gesucht’, ein Film, wo Madonna mitspielte und uns verständlicherweise die 14-Jährigen die Türen eingerannt haben,“ schmunzelt Walter. „Im Frühjahr desselben Jahres hatten wir den schwedischen Dokumentarfilm ‘Die Rache der Natur’ als Anlass genommen, um eine Podiumsdiskussion mit einem Biobauer, einem traditionellen Bauer und einem Umweltschutzvertreter zu veranstalten. Ein weiteres Highlight war im November 1989 ‘Herbstmilch’ von Josef Vilsmaier – dieser Film hat auch das ältere Publikum, darunter auch meine Mutter, wieder einmal ins Kino gelockt.“

Filmclub Unterland 1988.comFilmclub Unterland 1988

Abschließend erzählen mir die beiden noch ein paar Anekdoten – in knapp 30 Jahren haben sich eine Menge Geschichten angesammelt: Von seiner Schwester Maria, die auch von Anfang an dabei ist, weiss Walter, dass ganz hinten auf der Galerie immer die wärmsten Plätze waren, dass anfangs im Don-Bosco-Kinosaal nach dem Film (mit Thema Umwelt, Atomausstieg oder auch Erotik) in der Teeküche immer heftig diskutiert oder als Alternative Calcetto gespielt wurde, dass es regen Kontakt mit Bozen und anderen Spielstellen gab und sogar gemeinsam gegrillt wurde. Einmal seien mehrere Projektorlampen nacheinander kaputt gegangen und die Leute mussten heim geschickt werden. Und  der Regisseur Karl Saurer erinnerte sich auch nach Jahren noch an einen legendären Abend im Keller…

filmclub unterlandDitti und Martina vom Filmclub Unterland und seit 10 Jahren dabei

Und Walter packt noch die Memoiren der Unterlandler Filmclub-Projektoren aus: „Angefangen hatten wir mit dem Projektor, der zum Kinosaal gehörte. Allerdings, wie schon Maria gesagt hat, hatte der ein Lampenproblem. Eine Lampe kostete damals 60.000 Lire und einmal sind in einer Vorstellung beide geflogen. So haben wir vom aufgelassenen Kino in Naturns den Projektor samt Zubehör gekauft, den wir dann bis zum Umzug in die Bar AurOra im Jahre 1998 verwendeten. Die Pächterin der Bar hatte damals die Schalterhalle des Bahnhofs der ehemaligen Fleimstalerbahn als Theatersaal eingerichtet und für uns eine Vorführkabine dazu gebaut. Der Projektor kam diesmal aus Innsbruck vom befreundeten Cinematograph. 8 Jahre hatten wir in dem romantischen, aber kalten Kinosaal zugebracht, bis uns die Gemeinde Neumarkt den jetzigen Kinosaal in der neu errichteten Bibliothek anbot. Die 20-Jahr-Feier wurde zugleich die Abschiedsfeier von Auer und dank der Gemeinde Neumarkt haben wir von nun an nicht nur warme Füße, sondern auch eine richtige Tribüne, wo man nicht mehr seinen Vordermann ständig anstupsen muss, wenn man die Untertitel nicht lesen kann.“

Thomas Mitterer, Kunigunde Weissenegger, Walter Mössler

Und das sind sie: links Thomas Mitterer und rechts Walter Mössler

Beim Rausgehen will ich noch eines wissen: Warum sind die beiden überhaupt beim Filmclub? Und Thomas meint prompt: „Ich habe stets auf der Homepage von franzmagazine die „Dieci buone ragioni per vivere in Alto Adige“ von Anna Quinz gelesen und mir immer gedacht, meine undicesima ragione hinzuzufügen: Filmvorführer im Unterland zu sein – des Filmvorführens wegen. Kult bleibt Kult.“ Und Walter nicht weniger kultig: „Für mich war es immer und ist es noch heute eine gute und sinnvolle Freizeitbeschäftigung. Der Filmclub ist nicht nur ein Kino, es ist ein Treffpunkt geworden. Mich freut es zu sehen, wenn unsere Stammgäste kommen und fragen, was heute überhaupt läuft. Das zeigt, dass sie nicht nur wegen des Films ihre vier Wände verlassen, sondern auch andere Beweggründe haben.“

Foto ganz oben: Filmclub Unterland 1988

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There is one comment for this article.
  • Martin Kaufmann · 

    Habe den Bericht mit Vergnügen gelesen und bei mir sind Erinnerungen an die gastfreundlichen
    Leute vom Filmclub Unterland zurückgekommen. Ich wünsch dem Filmclub Unterland weiter
    alles Gute und daß die Digitalisierung gut verläuft. Aber sicher wird es manchmal noch
    35mm Filme aus dem Archiv geben. Sehr klug, wenn ihr dem alten Flimmerkasten auch noch
    eine Chanche gebt!