Selbstfindung: Un giorno devi andare

„Un giorno devi andare“ ist Dirittis dritter Film, auch er ist nicht annähernd perfekt, und doch wird er sich einprägen. Erzählt wird die Geschichte von Augusta, einer jungen Frau, die ins Amazonasgebiet aufbricht, nachdem sie erfahren hat, dass sie keine Kinder mehr bekommen kann. Dort begleitet sie eine befreundete Missionsschwester bei ihren einsamen Fahrten auf dem Flussboot, danach mietet sie einen Schlafplatz in einer Pfahlbausiedlung bei den Armen von Manaus, schließlich bricht sie in die Wildnis auf und überlebt dort sinnierend. Wie’s weiter geht, wird nicht erzählt. Augustas Mutter ist Witwe, sie lebt sorgenvoll in einem Städtchen bei S. Romedio, schaut auf ihre rüstige Mutter und besucht jene Klostergemeinschaft, aus der auch die Missionsschwester kommt. Dort wird innig gebetet, in Brasilien auch. Nur Augusta hält sich bei diesen religiösen Übungen zurück, auch wenn sie mehr als alle anderen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens ist. Diritti schickt bewusst Frauen in verschiedenen Lebensphasen auf die Sinnsuche, Männer spielen eher Nebenrollen. Für jemanden, der’s nicht besonders mit der Religion und mit Gott hat, wird in diesem Film etwas arg viel gebetet, auch die immer wiederkehrenden Sinnsprüche, können bei mir nicht punkten. Die Bootsfahrten im Amazonasgebiet erinnern an „Fitzcarraldo“, hier erfreulicherweise ohne Wahnsinnige im Filmteam. Deshalb stellt sich auch die übliche Frage nach dem, was Dreharbeiten zwischen Indios und Favela-Bewohnern anrichten, nicht so aufdringlich. Diritti erzählt, er hätte vielen Siedlungsbewohnern vorübergehend Arbeit geben können, einige wurden als Darsteller eingesetzt. Außerdem habe er selbst eine Menge gelernt von ihnen. Das wird im Film fast schon überdeutlich, wenn der Wert der Gemeinschaft richtigerweise hoch gelobt wird. Diritti ist auf jeden Fall ein ausgezeichneter Beobachter, dem es gelingt, interessierte Filme zu machen, die sich auch durch Stille auszeichnen. Und zwischendurch glückt es ihm, die Natur in ihrer gewaltigen Schönheit und Bedrohlichkeit beeindruckend darzustellen, mit dem Menschen, der nur als vorüberhuschender Furz durch das Geschehen wieselt.
Un giorno devi andare (I/F, 2012), 110 Min., Regie: Giorgio Diritti, mit Jasmine Trinca, Anne Alvaro, Pia Engelberth. Bewertung: Einprägsam.
Erschienen in der Südtiroler Tageszeitung vom 6./7.4.2013