Geliebte Söhne – Le fils de l’autre (Il figlio dell’altra)

25.03.2013
Geliebte Söhne – Le fils de l’autre (Il figlio dell’altra)

Die Motive könnten aus der Bibel stammen oder aus einer klassischen griechischen Tragödie, und bis zur Auflösung hin bleibt die Frage offen, ob das dramatische Geschehen versöhnlich oder in einer Tragödie enden wird. Die Antwort soll hier nicht vorweggenommen werden. Levy erzählt von zwei 18-Jährigen und deren Eltern. Joseph lebt in Tel Aviv. Sein Vater ist Soldat in der israelischen Armee, seine Mutter Psychotherapeutin. Er liebt Musik und möchte zur Armee. Yacine hat gerade die Matura in Paris abgelegt, er möchte dort Medizin studieren. Seine Eltern sind Palästinenser und leben hinter der Mauer im Westjordanland. Es gibt keine gravierenden sozialen Unterschiede zwischen den Familien, außer jenen, die davon herrühren, dass die einen in Israel, die anderen in Palästina leben. Eine simple Blutprobe für Josephs Musterung hatte es ans Tageslicht gebracht: Die Säuglinge sind bei einem SCUD-Raketenalarm im Krankenhaus von Haifa vertauscht worden. Levy legt ihre Geschichte so an, dass die Familien nach Zusammensetzung, Bildung, Familienleben, Kinderliebe, Integration in die Gesellschaft ähnlich sind. Das erlaubt es der Regisseurin, sich auf die wesentlichen Fragen zu konzentrieren, die Frage nach der Bedeutung von biologischer Herkunft und Sozialisation oder jener, ob eine anscheinend gottgegebene Unversöhnlichkeit überwunden werden kann. Levy schildert die Entwicklung in etwas schematischen Paketen: einmal die Reaktion der kleinen Schwestern, die rasch einen natürlichen Umgang mit den neuen Gegebenheiten finden. Dann die emotionale aber praxisorientierte Reaktion der beiden Mütter, die lernen, die Herausforderung als Chance zu sehen. Und schließlich die hilflose Reaktion der Väter, die sich schwer tun, Worte für ihre Gefühle zu finden und Gefahr laufen, sich hinter Formeln zu verbarrikadieren. Vielsagend. Levy bietet starke emotionale Momente und die Möglichkeit, im Kino über die eigene Position in dieser hoch komplexen Fragestellung nachzudenken. Ganz nebenbei gibt es einen interessanten Blick auf die Lebensverhältnisse im Nahen Osten heute.

Le fils de l’autre (Il figlio dell’altra), (F 2012), 105. Min., Regie: Lorraine Levy, Bewertung: Interessant

Erschienen in der Südtiroler Tageszeitung vom 23./24.3.2013. 

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