Schaler Nachtzug nach Lissabon

Amedeu de Prado hat das sentenzenreiche Büchlein „Goldschmied der Worte“ geschrieben, das der etwas verhuschte Berner Professor Raimund Gregorius bei einer jungen Frau findet, die er vor dem Selbstmord rettet. Dieses Büchlein schickt den Vielsprachigen auf den Weg. Sätze wie „Was könnte man mit all der Zeit anfangen?“ bringen ihn dazu, alles liegen zu lassen und nur mit Kreditkarte auf den Spuren von Amedeu de Prado nach Lissabon zu fahren. Dort erschließen sich ihm viele Leben und die Geschichte des Landes. Dort keimt auch Zuneigung zu einer Frau auf, die ihm als Augenärztin mit einer leichteren Brille äußerst symbolträchtig neuen Durchblick verschafft. Auf den Spuren Prados lässt sich der Professor von Zeitzeugen die jüngere Geschichte Portugals erzählen. Prado war nämlich während des Salazar-Regimes im Widerstand. Das alles erzählt Paul Mercier (dahinter steht der Philosoph Peter Bieri) in seinem hoch gelobten 495-Seiten-Wälzer „Nachtzug nach Lissabon“. Bille August hat die Seiten auf einen 111-Minuten-Film geschrumpft, in dem vom philosophischen Aspekt nur Sentenzen-Dreschen bleibt. Um die verschiedenen Zeitebenen zu verschränken, greift Bille August auf klassische Rückblenden zurück. Daran kann man sich gewöhnen. Ansonsten arbeitet er mit ein paar Stadtlandschaften und vor allem mit guten Schauspielern, die aber nicht alle glänzen. Der verhuschte Professor von Jeremy Irons ist gut gelungen. Sonst noch mit dabei: Charlotte Rampling (synchronisiert von Krista Posch), Mélanie Laurent (Inglorous Basterds), August Diehl, Martina Gedeck, Jack Huston, Christopher Lee, Bruno Ganz. Wer das Buch gelesen hat, sagt, es hinterlasse eine ganz andere Stimmung als der Film. Wer das Buch nicht gelesen hat und sich nicht zu sehr von Sentenzen und Geigen ablenken lässt, kann sich einen Kinoabend lang Lissabon und die Geschichte Portugals geben. Oberflächlich.
Nachtzug nach Lissabon, (DE, PT, CH), 110 Min., Regie: Bille August. Bewertung: Durchschnittskost
Erschienen in der Südtiroler Tageszeitung vom 16./17. März 2013.