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January 21, 2013

Traumwelt Venezia: Das Venedig Prinzip – Teorema Venezia

Renate Mumelter

Mit dieser Reisevorliebe zähle ich zu jenen 58.000 Barbaren, die täglich in die faszinierendste Stadt der Welt einfallen, ohne ihr etwas Gutes zu tun. In „Das Venedig Prinzip“ entführt Andreas Pichler in einen Traum aus Wasser und Licht, und es gelingt ihm, das ambivalente Venediggefühl von Traum und Dekadenz, von Liebe zur Stadt und hastigem Tourismus, den Widerspruch zwischen Einheimischen und Gästen zu vermitteln und in ein paar aussagekräftige Bilder zu packen. Denn wenn sich ein Megakreuzer lautlos und gnadenlos durch wunderbare Fassaden schiebt, ist eigentlich alles erzählt. Und Venedig liefert diese Bilder frei Haus. In Venedig lässt es sich gut träumen, aber schlecht leben, denn das Obst fault schneller also sonst wo, die Wohnungen sind dunkel, der Alltag ist etwas komplizierter, die Feuchtigkeit kriecht einem in die Knochen. 2030 werden alle weg gezogen sein. Vor 20 Jahren lebten hier noch 200.000, jetzt sind es nur mehr 58.000, genauso viele wie täglich als Touristen in die Stadt kommen. Venedig als Beispiel dafür, was passiert, wenn Gewinnmaximierung oberstes Gebot ist. Andreas Pichler interessiert dieser Mechanismus. 1,5 Milliarden Euro jährlich setzt Venedig um, das meiste landet bei großen Tourismuskonzernen. Auf dem Wohnungsmarkt sind die Mieten unbezahlbar, Kaufpreise sind nur für Betuchte erschwinglich, die sich eine teure Sommerfrische leisten. Wer keine Eigentumswohnung hat, muss früher oder später aufs Festland ziehen. Und wenn die Menschen weg ziehen, schließen die Läden, die Bars, die Treffpunkte. Was 2030 übrig bleiben wird, ist eine schöne, leere Hülle – für Touristen allemal gut genug. Ein desolates Bild, das Pichler noch verschärft, indem er nur ältere Venezianerinnen und Venezianer bei feuchtem Nieselwetter zu Wort kommen lässt. Was durch den Film trägt, sind neben der Musik die Bilder, die Venedig der Kamera anbietet. Diese Stadt mag zwar am Sterben sein, aber ein Traum aus Wasser und Licht ist sie nach wie vor. Frage am Rande: Was bedeutet diese Diagnose eigentlich für Venedig als Kulturhauptstadt? Noch mehr Touristenströme? Oder radikale Maßnahmen zur Wiederbesiedlung einer aussterbenden Stadt? Möglich wäre beides.

Das Venedig Prinzip (I, 2012), 80 Min., Regie Andreas Pichler, Bewertung: Eine Reise wert.

Erschienen in der Südtiroler Tageszeitung vom 19./20.1.2013. 

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