Für die Engel – The Angels’ Share

Loach ist inzwischen 76 Jahre alt, ein Meister seines Fachs, very british im Humor aber auch in der knallharten Sozialanalyse. „The Angels’ Share – Ein Schluck für die Engel“ kommt zwar leichtfüßig daher, ist aber mindestens genauso sozialkritisch wie „It’s a Free World“ (2007), wo es um Leiharbeit ging. Erzählt wird diesmal die Geschichte von Straffälligen, die Sozialarbeit leisten müssen. Einer hatte illegal Denkmäler erklettert, ein anderer hatte Papageien gestohlen und Robbie, die Hauptfigur, bekommt seine Aggressionen nicht in den Griff. Er kommt aus gewalttätigen Verhältnissen, nun erwartet er ein Kind von Leonie, der Tochter des Erzfeindes seines Vaters. Drohungen und Schlägereien sind Alltag. Als Robbie den kleinen Luc im Arm hält, soll alles anders werden. Eine rührende Szene. Paul Brannigan spielt den Robbie sehr überzeugend, wohl auch, weil er selbst ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Loach hat ihn und alle anderen Darsteller nämlich direkt von der Straße geholt. Den Weg ins neue Leben der hoffnungslosen Truppe bestimmt der Zufall. Zufällig erweist sich Sozialarbeiter Harry als sehr menschlich, zufällig ist Harry auch Whiskyfachmann, zufällig stellt sich heraus, dass Robbie ein besonderes Gespür für Whisky hat. Aus diesem Gemisch entwickelt sich eine spannende, amüsante, halbkriminelle Geschichte, die auf dem Nichts aufbaut und doch den Weg in ein neues Leben bahnt. Märchenhaft. Und was haben die Engel damit zu tun? The angels’ share nennen die Schotten jene zwei Prozent Whisky, die jedes Jahr verdampfen, im Nichts verpuffen. Auf dieses Nichts gründen die Boys und Girls um Robbie ihre Zukunft. Zu Hilfe kommt ihnen dabei unsere Wohlstandsgesellschaft, der es schichtenweise so gut geht, dass sie bereit ist, für ein Nichts mit Qualität (guten Whisky z. B.), Unsummen auszugeben. Auch das scheinen Werte zu sein.

The Angels’ Share – Ein Schluck für die Engel, (GB, F, B, I 2012), 101 Min., Regie: Ken Loach, Drehbuch: Paul Laverty. Mit: Paul Brannigan, John Henshaw, Gary Maitland, Jasmin Riggins. Bewertung: Zauberhaft.

Erschienen in der Südtiroler Tageszeitung am 29./30.12.2012

http://www.youtube.com/watch?v=NcQIvmR21VU