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November 27, 2012

Ändere die Welt – sie braucht es! – Brechts Schlachthof-Johanna auf der Bühne des freien theaters bozen

Kunigunde Weissenegger

Weltwirtschaftskrise. Chicago. 1929. Zwei Menschen. Die Gute: Johanna Dark, Angestellte einer Armenhilfsorganisation. Der Böse: Pierpont Mauler, fleischerzeugender Spekulant. Sie treffen aufeinander. Und nicht bloß sie, sondern auch zwei verschiedene Prinzipien. Das und den Inhalt dieses bisher selten gespielten Theaterstücks „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, lassen wir uns nun genauer vom Regisseur des freien theaters bozen, Reinhard Auer, höchstselbst erläutern. Mit dem Stück ist das freie theater bozen derzeit auf Tournee durch Südtirol und noch morgen und übermorgen (28. und 29. November) um 20 Uhr im Theater in der Telsergalerie in Bozen zu sehen.

Worum geht es in “Die heilige Johanna der Schlachthöfe”, kurz gesagt? Und warum habt ihr das Stück gewählt? Warum Bertold Brecht?

In „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ geht es um das Auseinandertreffen von zwei Prinzipien. Was passiert da? – Eines bleibt (meist) auf der Strecke. So auch in Bertolt Brechts Stück. Die „Heldin“ Johanna Dark, Idealistin und engagierte Kämpferin für die Armen, steht für Glaube und Moral; ihr „Gegenspieler“, Pierpont Mauler, Fleisch-Großfabrikant und Börsenspekulant, für Profit und philanthropisch verbrämte Raffgier. Der Kapitalist siegt, aber Brecht hält mit einem seiner berühmtesten Sätze dagegen: „Ändere die Welt – sie braucht es!“ Gewählt haben wir das Stück wegen seiner ungebrochenen Aktualität und der künstlerischen Herausforderung (komplexe Handlung, Vielzahl der Rollen, Herausarbeitung der „Botschaft“). Und Brecht ist ein Autor, der gespielt werden muss, ein deutscher Dichter mit hoher sprachlicher Qualität, von scharfem Denken und Witz und mit Überzeugungen.

Nun fein, Wirtschaftskrise, Spekulation, Profitgier und der entsprechende Kampf dagegen – die Parallelen zu heute sind klar. Aber sind diese Themen mittlerweile nicht auch etwas abgedroschen? – Es ändert sich ja doch nichts. Die Resignation ist nicht weit… Ist Theater noch imstande, Menschen mitzureißen, zu überzeugen, wach zu rütteln…?

Genau das ist es ja: Der Resignation muss entgegen gearbeitet werden. Und das ganze ökonomische Desaster muss dargestellt werden. Immer wieder hört man: Es ist ja alles so kompliziert. Dieser Komplexität muss man sich stellen. Wie leicht ist es doch, die Augen zuzumachen, sich in der Sülze zu suhlen, der Sehnsucht nach der „heilen Welt“ und dem „bunt Angemalten“ anzuhängen. – Ob Theater imstande ist, zu überzeugen, mitzureißen, wachzurütteln? Das hängt (auch) davon ab, ob es Menschen gibt, die sich überzeugen, mitreißen, wachrütteln lassen… Aber zumindest versuchen muss es das Theater!

Gerade werden landauf, landab unzählige Theateraufführungen gezeigt. Wie versucht das freie theater bozen sich von den anderen zu unterscheiden? Gelingt euch das?

Richtig: Landauf, landab tobt eine Theaterbetriebsamkeit sondergleichen. Da wird zum Beispiel gecsardasfürstint, geheidit, gefelixkrullt, gekleinkunstfestivalt, von den Heimatbühnenorgien ganz zu schweigen. Die „Unterhaltungsseite“ hat ihre Maschine angeworfen, wir wollen der „Belehrungsseite“ Rechnung tragen. Garcia Lorca hat einmal gemeint, Theater solle der Erzieher des Volkes sein. Wenn es diesen Anspruch aufgibt, verfällt es dem seichten Treiben, der Blödelei, dem Gefühlsmatsch, kurz: trägt zur Volksverdummung bei. Wir halten dagegen, so gut es geht!

Und wie ist ein 0815-Mensch wie ich in dieser Flut imstande, gutes Theater zu erkennen?

Um gutes Theater zu erkennen, muss man erst einmal hinein gehen. Und sich einer gewissen „Anstrengung“ unterwerfen (wollen). Sich rein setzen und flockige Inhalte abholen, da braucht’s keine Bemühung und keine „theatralische Bildung“. Diese muss erworben, die Sinne und der Geist müssen geschult, Standards und Kriterien für gutes Theater (die es objektiv gibt) auch subjektiv erarbeitet werden. Nur so kommt man über ein Gefallensurteil à la „das war ja ganz gut“ hinaus.

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