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November 9, 2012

Frau Pusch’s Punk-Parolen

Evelyn Gruber-Fischnaller

Großer Bahnhof! Und hoffentlich ein großer Geburtstagskuchen erwartet uns heute ab 19 Uhr bei der Vorstellung des neuen Alchemilla–Frauenkalenders für das aufregende Jahr 2013. (aus Wikipedia: Die Alchemilla (Frauenmantel) ist eine Pflanzengattung der Familie der Rosengewächse (Rosaceae), die in Europa, Asien und Afrika verbreitet ist und vorwiegend in den Gebirgen wächst.) Alchemilla wird nämlich 20! Die Südtiroler Frauenbande rund um Heidi Hintner hat als Festrednerin Luise F. Pusch nach Bozen geladen. Die Sprachwissenschaftlerin und feministische Sprachkritikerin bringt seit 30 Jahren das „Mannko“ wie keine andere auf den Punkt, auf www.fembio.org sind ihre sehr unterhaltsamen Glossen zu lesen. Ganz nebenbei sind dort auch die Biografien von über 8.000 bedeutenden Frauen gesammelt: Da staunt manch einer sicher nicht schlecht, was die Frauen in der Geschichte schon alles so geleistet haben. Wir haben Luise F. Pusch und Heidi Hintner getroffen und natürlich interviewt.

Alchemilla wird 20, für eine Rückschau fast zu jung, aber dennoch: Wie war’s bisher?

Heidi Hintner: 20 Jahre feministisch-solidarisch, frauennetzwerkend, entschieden und überzeugt engagiert für Frauenthemen. 20 Jahre Frauenkalenderarbeit und Kulturarbeit in Südtirol. 20 Jahre frauenpolitischer Einsatz. 20 Jahre Präsenz für Frauen zeigen, so wie andere Frauengruppen auch. Alchemilla ist eine wichtige Stimme in Südtirol für die Sache der Frauen – und das seit 20 Jahren! Die Lust am Mehr der anderen zu wachsen besteht nach wie vor.

“Eine Frau braucht ihre Schwesternschaft,” sagt Gloria Steinem und Alchemilla ist in dieser Hinsicht gut getragen. Was verbindet euch?

Heidi Hintner: In erster Linie unser Frauenkalender! Gemeinsames Engagement für Frauenthemen, Sichtbarmachen von Frauen und deren Leistungen. Frauensache als gemeinsames Anliegen, gemeinsame kreative Schaffenslust, gemeinsamer Respekt am jeweiligen Anderssein, verbunden mit Wertschätzung und Großzügigkeit. Und natürlich 20 Jahre feministisches Kontinuum. 20 Jahre nachhaltiges Denken und Arbeiten.

Wer gut geputzte Ohren hat, der tönt es hell, klar und ziemlich aufdringlich, dass wir zuallererst durch Sprache unsere Welt beschreiben. Was genau macht die Sprachwissenschaft dabei?

Luise F. Pusch: Die traditionelle Sprachwissenschaft, überwiegend von Männern betrieben, kümmert sich fast überhaupt nicht um das Problem, dass die Frau “buchstäblich nicht der Rede wert ist”. Da sie sich Ihre Frage nicht stellt, kann sie sie auch nicht beantworten. Die internationale feministische Sprachwissenschaft dagegen befasst sich mit der Problematik seit bald 50 Jahren und hat immerhin erreicht, dass es ein Problembewusstsein gibt.

Im Deutschen und Italienischen, z. B., werden 99 Schülerinnen und 1 Schüler zu 100 Schülern. Kein Kraut dagegen gewachsen?

Luise F. Pusch: Viele finden, dass männliche Bezeichnungen Frauen nicht stehen und auch nicht passend sind für gemischtgeschlechtliche Gruppen oder hypothetische Personen (“fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker” – warum nicht mal die Ärztin?). Die Sprache ändert sich durch Aufklärung über ihre Defizite – das leistet die feministische Linguistik. Sie ändert sich zweitens durch einen andersartigen Gebrauch. Statt des veralteten “generischen Maskulinums”, werden Alternativformen eingesetzt wie:
Doppelformen: Dozentinnen und Dozenten
Partizipien: Lehrende
Abstrakta: Lehrkörper
Das ist aber erst die Grundlage und der Anfang. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche Baustellen, sonst hätte ich über das Thema nicht sieben Bücher schreiben können.

Auch die meisten Geschichtsbücher, viele Medien und Organisationen sind männliche Monokultur. Ihre Tipps, wie die Frauen zu Befruchterinnen werden können?

Heidi Hintner: Männliche Monokultur hört da auf, wo weibliche Vielfalt beginnt. Alchemilla hat bereits vor zwanzig Jahren damit angefangen, Eigenes auf die Beine zu stellen. Nämlich: den ersten Südtiroler Frauenkalender. Heute gehört der Alchemilla Frauenkalender (jährlich 20.000 Exemplare!) zu den beliebtesten Publikationen im Land. Weitere Best Practice Beispiele: Tannas Publikationen „Frauen der Grenze – donne di frontiera“ über Frauenbiopgraphien aus Nord-, Süd-, Osttirol und dem Trentino, Schülerinnenpublikationen aus dem Maria-Hueber-Gymnasium – die kleine rote Reihe –, die FemBio Frauen-Biographieforschung von Luise F. Pusch und Joey Horsley, die sich der Aufklärung der Gesellschaft über ihre bessere Hälfte widmet. Eine große FemBio-Datenbank (offline) mit über 31.000 bedeutenden Frauen aller Epochen und Länder, die nach zahlreichen Kriterien (zirca 250 Attribute) durchsucht und verknüpft werden können. Also: Weibliche Vielfalt versus männliche Monokultur. Männliche Eintönigkeit versus weibliche Mehrstimmigkeit. Was es braucht: den politischen Willen, SEHEN, VERSTEHEN, HÖREN zu wollen. Die persönliche Bereitschaft dazu. Bewusste und kritische Bildungs- und Erziehungsarbeit. Zivilcourage. Weibliche Vorbilder. Erfinderinnengeist. Lust, sich ins Spiel zu bringen. Mut. Frauenrechtlerinnen. Mitstreiterinnen, Mitkämpferinnen, Wegbegleiterinnen, Unterstützerinnen, Mentorinnen, Freundinnen. Also: Weibliche Netzwerke.

20 Jahre Alchemilla Frauenkalender, 1993–2013
Freitag, 9. November 2012 um 19 Uhr in der Museion Passage in Bozen
Festrednerin: Luise F. Pusch
Begleitet von
Helene Maria Delazer alias Lene Morgenstern – Lautpoesie zum Geburtstag
Bgirl Queen Juliane Klotz – Headspins & more, Breakdance
Helga Plankensteiner (Saxophonistin) und Silvia Bolognesi (Bassistin)
Ollerhand Selbergemochts – fair und regional, zum Genießen

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