Verloren auf Litauisch #1

Mit einem Mischmasch aus persönlichen Eindrücken, Erlebtem, allgemeinen und besonderen Informationen über Stadt und Menschen wird uns Daniel Depellegrin ab heute aus Litauen berichten. Das wird für die nächste Zeit seine Zuhause sein. …und natürlich werden wir auch seine Fortschritte in der Litauischen Sprache mitbekommen…
…Labas vakaras, viena autobuso bilietai į Klaipėdą. Aikstele trysdecimt septini…, Aciu, gerai! Hoffentlich hat sie mich verstanden, konnte mich nämlich nicht mehr erinnern, wie man Bahnsteig sagt. Na ja, letztendlich lerne ich Litauisch nur seit zwei Monaten.
Vilnius (11:35), Kaunas (12:35), Kryžkalnis (14:20) und dann endlich Klaipeda (15:20). 400 km durch die Litauische Hügellandschaft, eine so genannte Jungmoränen-Landschaft, entstanden vor ca. 20.000 Jahren in der Weichseleiszeit. Heutzutage sieht man außerdem auch isolierte Bauernhöfe, unendliches Weideland, Wälder und Vieh.
Im Oktober ist Litauen schon längst in tiefem Herbst und bereitet sich auf einen langen Winterschlaf vor. Auf der Höhe von Klaipeda am Bothnischen Meer sind Häfen während des Winters eisfrei, doch Packeis wird vom Fluss Memel (Nemunas) ins Kurische Haff (Kuršių marios) getrieben und von dort in die Ostsee (Baltijos jūra).
Klaipeda ist die einzige Hafenmetropole an der Litauischen Küste (Lietuvos pajūris), ca. 175 thousand Einwohner, Tendenz stark fallend. Die Baltischen Staaten wie Litauen, Lettland und Estland zählen insgesamt 7,6 Millionen Einwohner. Nach offiziellen Angaben sollen im Zeitraum 2004 bis 2007 über 15.000 Esten und Letten und zirka 57.000 Litauer ihre Heimat verlassen haben. Die Quote der Heimkehrer ist nur sehr gering. Für rund 70 Prozent der litauischen Emigranten hat die Auswanderung arbeitstechnische Gründe.
Am Klaipėdos autobusų parkas angekommen begebe ich mich durch das Wohnviertel von Lietuvininkų in Richtung Stadtzentrum (Klaipėdos Senamiestis).
12 Uhr mittags in der Cafeteria and der Tiltų gatve (Brücken-Straße). Es regnet, starker Südwest-Wind. Links von mir ein alter Herr, Ende 60, starrt ununterbrochen aus dem Fenster. Es ist kein Litauer, bestimmt kommt er aus Irland oder den USA, wahrscheinlich ein Segler oder einfacher Tourist. Plötzlich steht er auf, geht zur Theke: „Can I have another one. Some water please as well!“ Und dann war er weg.
Kurz darauf ein kleines Mädchen mit Vater auf dem großen, braunen Ledersofa gegenüber von mir. Mein gebrochenes Litauisch sagt mir, er muss Russe sein. In Klaipeda lebt eine starke russische Minderheit. Etwa 21,3 Prozent der Bevölkerung ist Russisch, der Litauische Anteil liegt bei 71,3 Prozen, dazu gibt es noch Ukrainer, Weißrussen, Polen und andere wie mich.
Nächster Tag, 17:30 Uhr Danes gatve 25. Yuriy, etwa 55 Jahre alt, kommt aus St. Petersburg. Bevor er zum Immobilienmakler wurde, war er am Russischen Konsulat tätig und noch davor war er Offizier auf der Moskwa, einem Flugdeckkreuzer der sowjetischen Schwarzmeerflotte. Yuriy spricht ein akzeptables Englisch. Er überzeugt mich, die Wohnung zu nehmen. Die Wohnung liegt im vierten Stock der Danes-Straße, zirka 50 Meter vom Danes-Fluss, der die Altstadt (Senamiestis) von der Neustadt (Naujamiestis) trennt und 70 Meter entfernt vom Wahrzeichen Klaipedas, der große weiße Segler namens… – Heute nur mehr Touristenattraktion und vielleicht bald auch nicht mehr das, da er in nächster Zeit sogar abgetragen wird. Südöstlich der Altstadt dehnt sich bis ans Ende der Stadt eine in sowjetischem Stil angesetzte Allee namens Taikos Prospektas, dort liegen die Stadtviertel von Dubyse, Nemunas, Baltija und und und…
Für die Periode 2007 bis 2013 wurden für Litauen zirka 6,8 Billionen Euro EU-Strukturfonds zur Verfügung gestellt. EU-Strukturfonds dienen EU-Ländern und -Regionen mit Strukturproblemen.
Eines der größten Infrastrukturproblemen in Litauen und vor allem Klaipedas, ist das veraltete Heizungssystem der Stadt. Es stammt aus sowjetischer Zeit, ist 20 bis 35 Jahre alt und besteht grundsätzlich aus Wollfaserisolierung mit einen beträchtlichen Wärmeverlust um die 18 Prozent. Geheizt wird auf nationaler Ebene, wenn die Durchschnittstemperatur von 10°C für drei Tage in Folge nicht überschritten wird – das war in den letzten Tagen auch hier in Klaipeda der Fall und deshalb sind auch bei mir zuhause die Heizungen lauwarm.