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October 11, 2012

Publikumsmagnet und Schatz der Wissenschaft – Ötzi²° im Südtiroler Archäologiemuseum

David Thaler

„Der große Unbekannte, L’homme des glaces, die kahlköpfige Mumie, Alpenadam, Gesamttiroler, Frozen Fritz oder Alpenindianer“, dies ist lediglich eine kleine Auswahl der Namen, welche die Medienwelt und unsere Gesellschaft für die 5.300 Jahre alte Feuchtmumie vom Hauslabjoch gefunden bzw. erfunden hat. Namen hat er viele bekommen. Die Kreativität von Künstlern, Karikaturisten oder einfachen Fans gaben ihm im Laufe der Jahre auch viele Gesichter. Nun sind schon über 20 Jahre seit seinem Fund am 19.09.1991 in den Ötztaler Alpen vergangen und das Interesse an dieser auf der ganzen Welt einzigartigen Gletschermumie lässt keinen Atemzug nach. Die Menschheit brennt geradeso danach, ihn auf jede erdenkliche Art und Weise einzuordnen und alle wollen ein eindeutig umrissenes Bild von ihm, ÖTZI, im Geiste tragen.
Wir wissen, dass sich der Name Ötzi, vorgeschlagen vom Wiener Journalisten Karl Wendl, mittlerweile weltweit durchgesetzt hat. Doch was gibt es nun nach diesen Jahren der Nachforschungen Neues zu berichten? Welche Theorien haben sich bestätigt und welche wurden verworfen? Und bekommen wir endlich ein Bild von ihm vorgestellt, welches wir ins Herz schließen können, als wäre es die ferne Erinnerung an einen guten alten Bekannten?
Die Antwort ist: Ja. Und noch einiges mehr!

Ötzis Namen © Südtiroler Archäologiemuseum Foto O. Verant

Die Sonderausstellung Ötzi²°, welche man noch bis 13.01.2013 im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen besuchen kann, spannt auf vier Etagen und rund 1200 m² Fläche einen großen Bogen beginnend mit der anfänglich omnipräsenten Medienresonanz, hinüber zu den Erkenntnissen bezüglich seines Lebensumfeldes und natürlich ihm selbst, weiter über wissenschaftliche Neuentdeckungen anhand ausgeklügelter neuer technischer Verfahren, bis hin zu Kuriositäten rund um seine Person und der Ötzi-Manie. Als sehr angenehm habe ich die Betitelung der jeweiligen Etagen mit Life, Reality, Science und Fiction empfunden. So verliert man bei allem Anschauungsmaterial und den interaktiven bzw. „hands-on“ Stationen nicht den Faden.

Ötzi20 Reality © Südtiroler Archäologiemuseum Foto foto-dpi.com

Sobald man das Erdgeschoss betritt, ist man umgeben von Wänden, welche graphische Bearbeitungen von Zeitungsausschnitten aus aller Welt abbilden. Chinesische und japanische Ideogramme schießen mir ins Auge und machen mir bewusst, dass die Entdeckung damals zu einem globalen Event wurde. Auf Bildschirmen laufen im ständigen Zyklus Fernsehberichte und Interviews zum Jahrhundertfund. Hinauf in den ersten Stock. Bekanntes begegnet mir. In Schaukästen schön aufgebahrt mit dreisprachigen Beschriftungen seine Kleidungsstücke, seine halbfertigen oder fertigen Waffen, sein Kupferbeil – angebliches Symbol seines hohen Status und sonstige seinerzeit hilfreiche Habseligkeiten wie z. B. Zunderschwamm und Birkenpilz. Und wenn auch schon oft gesehen, ist der Blick durch das Fenster in sein gekühltes Schlafgemach doch immer wieder spannend. Er glänzt immer so schön, umgeben von seinem schützenden Eisfilm!

Vorbei am Menhir geht es weiter rauf in die nächste Etage: Science. Dort schlägt jedes Forensikerherz höher. Alle Krimiliebhaber kommen endlich zum Zug und können über den Mordfall am Similaun fachsimpeln. Doch nicht nur das. In dieser Etage wird ein sehr naturalistisches Bild von Ötzi dargeboten. Man kann Getreidepflanzen begutachten, die ihm als Nahrungsgrundlage dienten und man erfährt vieles, was ihn uns heutigen Menschen sehr nahe bringt. Wer von uns hat nicht mal Rücken- oder Knieschmerzen? Ötzi ging es da nicht viel anders. Er war ein 1,60 cm großer Mann, mit kräftigen Beinen, braunen Augen, dunklem gewelltem Haar, litt unter Arthrose, war laktoseintolerant und hatte wahrscheinlich des öfteren Bauchschmerzen und Durchfall, weil von einem parasitären Wurm befallen. Nicht zuletzt kann man die neue sehr menschengetreue und lebensgroße Rekonstruktion Ötzis von den holländischen Künstlerzwillingen Adrie und Alfons Kennis bewundern. Ötzis Image hat sich gewandelt. Tätowiert, Mitte vierzig und vom harten Leben geschunden wie er war, steht er da. Gefällt mir, würde ich sagen.

Reconstruction by Kennis © South Tyrol Museum of Archaeology Foto Augustin Ochsenreiter

Seine DNS konnte weitgehend entschlüsselt werden. Genetisch kann man ihn jetzt in die Haplogruppe K1ö einordnen, und wer weiß, womöglich finden sich in Zukunft noch direkte Nachfahren des Ötzi. Das gehört nun aber in den Bereich Fiction im letzten Stockwerk des Museums. Die skurrilen Geschichten auf Bildern, Postkarten, Briefen usw., auf die man sich hier einlassen kann, zeichnen jedem Besucher ein amüsiertes Lächeln aufs Gesicht. Musik kann man sich ebenso anhören, wie seine digitalisierte Stimme aus dem Jenseits, hehe! Es wird mir bewusst, wie gerne sich Menschen allerorts, in den über zwei Jahrzehnten seines Daseins als Mumie im Archäologiemuseum, von ihm inspirieren haben lassen. Und wie verbissen manch einer gern Teil des Stammbaumes Ötzi wäre.
Die Ötzi-Manie geht also weiter.

Infos zur Sonderausstellung unter: oetzi20.it und www.iceman.it.

Ein Tipp noch zum Schluss: Am 21. Januar 2013 eröffnet das Südtiroler Archäologiemuseum eine neue Sonderausstellung: mysteriX – Rätselhafte Funde aus Südtirol. Diese Ausstellung ist die erste und einzige Familienausstellung in Südtirol und speziell auf die Bedürfnisse von Erwachsenen mit Kindern zugeschnitten.

 

Ötzis Leggins © Südtiroler Archäologiemuseum Foto O. Verant

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