Amour

Note: 9
Angenehm ist das Lebensende in den seltensten Fällen, vermeidbar ist es allerdings auch nicht. Michael Haneke nennt seine Geschichte vom Ende des Lebens „Amour“. Er erzählt von einem alten Ehepaar, Georges und Anne, das sich gern hat und in eine große Herausforderung gerät. Anne erleidet einen Schlaganfall und die kluge, schöne und interessante Frau wird zunehmend zu einem Pflegefall. Georges, auch nicht mehr der Jüngste, kümmert sich liebevoll. Es bleibt ihm auch gar nichts anderes übrig, er liebt sie. „Es ist ein Kreuz“ würde man katholischerseits wohl dazu sagen. Überhaupt geraten einem angesichts solcher Existenzfragen gleich haufenweise religiöse Assoziationen in den Kopf, Begriffe wie Barmherzigkeit; es kommt aber auch Verständnis für diejenigen auf, die ans Paradies glauben. Haneke sieht das Ganze nüchterner, wohltuend nüchtern und religionsfrei, auch wenn es nicht einfach ist, sich dieser Nüchternheit zu stellen. „Eure Sorgen helfen mir nichts“, sagt Vater George zu Tochter Eva. „Anne wird zu einem hilflosen Kind, und das ist traurig und demütigend, für sie und für mich.“ Das Grausamste im Leben ist, dass der Körper verfällt. Das geht bei den einen schneller, bei anderen langsamer. Wie man alt wird, kann man sich nicht aussuchen. All diejenigen, die im Lehnstuhl einschlafen dürfen, sind zu beneiden. Anne und George ist das nicht vergönnt. Haneke erzählt klassisch in der Einheit von Ort und Handlung. Das Leben des Paars spielt sich in einer schönen Altbauwohnung ab, einer Wohnung, die gelebtes Leben spiegelt, und in die sich ab und zu eine Taube verirrt. Am Ende der Geschichte sitzt Tochter Eva allein in der sauber geputzten Wohnung, der nun jedes Leben fehlt. Es ist ausgelöscht, hat sich verbraucht. Ganz normal, und doch werfe ich einen verstohlenen Blick in meine Wohnung. Erzählt sie auch schon so viel Leben?
Auf der Wikipedia-Seite gibt es übrigens viele interessante Detailinformationen zum Cannes-Gewinner „Liebe“ und zu den hervorragenden Darstellern.
Amour, (F, D, AU 2012), 127 Min., Regie: Michael Haneke, Kamera: Darius Khondji, Schnitt: Nadine Muse, mit: Jean-Louis Trintignant, Emmanuelle Riva, Isabelle Huppert, Alexandre Tharaud. Bewertung: Sehenswert
Erschienen in der Südtiroler Tageszeitung am 29./30.9.2012