Culture + Arts > Literature

August 23, 2012

Literaturtage Lana – „Ausgewandertes“ Sprechen: Was tut Sprache?

Christine Kofler

Ein Mann, ein serbischer Schriftsteller in Kanada, der heimlich Landsleuten hinterhergeht, die zufällig seinen Weg kreuzen, nur um Serbisch zu hören, um die Wörter aufzusaugen, die Wörter aus seiner Heimat.
Ein serbischer Schriftsteller in Kanada, der kein serbisches Radio hört, keine serbischen Zeitungen liest, der sich selbst verboten hat, die großen Klassiker serbischer Dichter zu lesen. Um nicht nostalgisch zu werden, etwas, das er sich selbst nämlich auch verboten hat. Deshalb liest er nur jüngst erschienene serbische Literatur. Bald sind es 20 Jahre, in denen der Mann in Kanada lebt. Er geht auf Distanz zu seiner Heimatsprache, dem Serbokroatisch – aber gleichzeitig ist er ihr ganz nah: Denn seine Romane schreibt er – trotz Anglistikstudium – schließlich immer noch in seiner Muttersprache. Aber Sprache wandelt sich mit rasender Geschwindigkeit, und seine Sprache sitzt nicht mehr an der Quelle, sie ist „alt“, gefroren – es ist ausgewanderte Sprache, Exilsprache.

David Albahari: „Der Bruder“

Der Mann, von dem hier die Rede ist, ist David Albahari, ein Schriftsteller mit jüdischen Wurzeln, der längst zum europäischen Kanon gehört und schon bekannt war, als Jugoslawien auseinanderbrach. Er zählt zu jenen Exilautoren, die über das Land schreiben, in dem sie geboren wurden und das sie später verstoßen hat, über das Land, in dem sie angefeindet und verachtet wurden. Albaharis Bücher werden grundiert von der Geschichte der Juden im ehemaligen Jugoslawien – als Vorsitzender der jüdischen Gemeinden auf dem Balkan organisierte er in den 1990er-Jahren die Emigration der Juden aus Sarajewo und wanderte schließlich selbst aus.

Die ersten 30 Seiten aus seinem neuen Werk „Der Bruder“ erinnern an Becketts „Warten auf Godot“, das zwei Akte lang auf der Stelle tritt: Die Gedanken der traurigen Hauptfigur Filip mäandern in Endlosschleife um den Brief, den er eines Tages erhält und den er nach einer (für den Leser gefühlten) Ewigkeit schließlich doch öffnet. Absurder Höhepunkt der Erzählung ist der Auftritt des neugewonnenen Bruders als Transsexueller, der schließlich in der Badewanne Filips verblutet.

„Nach Ausschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“

Mit der Frage, was Sprache tut, wie Sprache als gesellschaftliches Instrument Macht ausübt, wie Exil das Sprechen verändert, beschäftigen sich auch die anderen eingeladenen Autoren der Literaturtagen Lana: Allen voran Georges-Arthur Goldschmidt, dem 1938 nur knapp die Flucht vor den Nazi-Schergen nach Frankreich gelang und der heute in seine Werken die Erfahrung des Verlusts von Heimat, von Vertreibung und Überleben in literarische Form bringt.

Die Europäische Exilliteratur 20. Jahrhunderts ist unentwirrbar mit Hitler-Deutschland verknüpft: Hunderte Schriftsteller – von Walter Benjamin über Berthold Brecht bis zu Stefan Zweig, flüchteten oder wurden vertrieben. Die Sprache, die das Übel benennt, wird immer als erstes bekämpft. Die europäische Exilliteratur ist vor allem auch die Literatur danach, nach dem Unaussprechlichen: „Nach Ausschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“ – dieses Aussage von Theodor W. Adorno wurde jahrzehntelang kontrovers diskutiert. Was kann, was darf noch gesagt werden nach dem Holocaust? Macht es noch einen Sinn, irgendetwas zu sagen? Sollte eine Kultur, die solche Gräuel verantwortet, nicht besser Schweigen?
Doch das Verstummen hat den Holocaust erst ermöglicht. Deshalb sollen Künstler nicht nur sprechen, es ist ihre – und auch unsere – moralische Pflicht zu sprechen. Während der anregenden Literaturtagen Lana versammelten sich dieser Tage jene Schriftsteller, die sich zwar nicht unbedingt gegen das Schweigen, aber für das Sprechen entschieden haben und damit weit mehr tun, als ihre Leser glücklich zu machen.

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.